Habeck, Baerbock, Lemke, Özdemir, Spiegel: Was packen die grünen Minister*innen jetzt an?

Wir haben Robert Habeck, Annalena Baerbock, Steffi Lemke, Cem Özdemir und Anne Spiegel getroffen. Mit unseren fünf grünen Minister*innen sprechen wir über ihre ersten Tage im Amt, ihre wichtigsten Projekte und was sie in den nächsten vier Jahren auf den Weg bringen wollen. Und sie erzählen uns, wie es sich in den letzten Wochen angefühlt hat, ein Ministerium zu übernehmen.
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Transkript des Podcasts
Robert Habeck: Ich muss es geschafft haben oder ich verantworte das, die CO2-Emissionen so zu senken, dass wir wieder auf 1,5-Grad-Pfad sind. Das ist schwer genug und ich kann nicht versprechen, dass wir komplett alles erreichen, aber die Tendenz und die Maßnahmen, die dann über die Legislatur hinausgehen, müssen uns auf diesen Budgeteinhaltungspfad bringen.
Annalena Baerbock: Und es macht eigentlich auch deutlich, was das große Projekt für die nächsten vier Jahre ist, nämlich die Werte unseres gemeinsamen Europas hochzuhalten und deutlich zu machen, auch in der Welt dafür zu werben: Für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte.
Steffi Lemke: Deshalb werde ich den natürlichen Klimaschutz voranbringen, das heißt, Kohlenstoff in unseren Ökosystemen zu speichern, aber auch Wasser dort zu speichern gegen Dürre, gegen Hochwasser und die Klimavorsorge vorantreiben und den Ressourcenschutz über die Kreislaufwirtschaft stärken.
Cem Özdemir: Dass es jetzt endlich Zeit ist, dass es eine Tierhaltungs-Kennzeichnung gibt. So ähnlich, wie das Renate Künast vor vielen Jahren hier in diesem Haus mal gemacht hat mit den Eiern, müssen wir das jetzt eben auch bei der Tierhaltung machen.
Anne Spiegel: Ich werde jeden einzelnen Tag dafür kämpfen, dass wir in vier Jahren sagen können: Diese Gesellschaft ist bunter, vielfältiger und offener geworden. Und vor allen Dingen, dass wir die gesellschaftliche Vielfalten-Realität, die wir ja jetzt schon haben, dass wir die für die politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen endlich angepasst haben.
Intro/Outro: Uns geht es ums Ganze. Der Podcast der grünen Bundestagsfraktion.
Robert Habeck: Hallo, ich bin Robert Habeck, seit Anfang Dezember Minister für Wirtschaft und Klimaschutz.
Annalena Baerbock: Hallo, ich bin Annalena Baerbock und seit 8. Dezember Außenministerin der Bundesrepublik Deutschland.
Steffi Lemke: Hi, ich bin Steffi Lemke, seit dem 8. Dezember Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz.
Cem Özdemir: Ich heiße Cem Özdemir und bin seit dem 8. Dezember Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft.
Anne Spiegel: Mein Name ist Anne Spiegel und ich bin seit 8. Dezember 2021 Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
Tim Meyer: Hallo, schön dass ihr wieder dabei seid beim Podcast der Grünen Bundestagsfraktion. Nach vielen Jahren in der Opposition hat die grüne Bundestagsfraktion jetzt die Chance, gemeinsam mit der Bundesregierung die Politik für Deutschland zu gestalten. In der letzten Woche haben die Minister:innen im Bundestag ihre politischen Vorhaben vorgestellt. Wir haben unsere fünf grünen Minister:innen befragt, was sie jetzt als erstes angehen werden. Natürlich haben wir auch mit ihnen darüber gesprochen, wie sie dabei mit der grünen Bundestagsfraktion zusammenarbeiten werden. Wir wollten aber auch von ihnen wissen, wie es sich in den letzten Wochen angefühlt hat, ein Ministerium zu übernehmen. Ich bin Tim Meyer, Referent in der Öffentlichkeitsarbeit der grünen Bundestagsfraktion. Wir reden zuerst mit Robert Habeck und dann folgen die Gespräche mit Annalena Baerbock, Steffi Lemke, Cem Özdemir und Anne Spiegel. Robert Habeck haben wir am 13. Januar in seinem Büro im Jacob-Kaiser-Haus getroffen.
Tim Meyer: Lieber Robert, in deiner Rede im Bundestag hast du gesagt, es gab keine Warmlaufphase für dein Haus, sondern ihr musstet direkt loslegen. Du hast am 11. Januar in der Bundespressekonferenz das Sofortprogramm für mehr Klimaschutz vorgestellt. Was muss denn jetzt sofort passieren und warum?
Robert Habeck: Es müssen eigentlich ganz viele Dinge gleichzeitig passieren. Wir haben zum Beispiel einen großen Fachkräftemangel in Deutschland. Und wenn am Ende alles gesetzgeberisch richtig gemacht wurde, aber niemand die Solaranlagen aufs Dach schraubt oder die Windkraftanlagen errichtet, dann kommen wir da auch nicht weiter. Aber klar, es gibt eine große Vordringlichkeit und das ist der schnelle, beschleunigte Ausbau von Wind und Photovoltaik, vor allem von Wind, weil es so eine sperrige Angelegenheit ist und die Widerstände so groß sind und letztlich die Länder die Flächen ausweiten müssen. Und das, was am schnellsten geht - und da bin ich schon in den Gesprächen - ist, dass man genehmigte Flächen frei räumt, wo andere Schutzgüter die versperren. Und es sind vor allem Flächen, die vom Deutschen Wetterdienst, der Deutschen Flugsicherung und von der Bundeswehr ebenfalls beansprucht werden. Ich rede mit den drei Kollegen, dass wir vielleicht eine Chance haben, da einen Großteil der Flächen frei zu bekommen. Dann würde es sofort losgehen, weil da sind die Genehmigungen eigentlich schon erteilt, nur gerade blockiert durch die anderen Belange.
Tim Meyer: Du hast in der Bundespressekonferenz auch gesagt, dass aber auf individuelle Befindlichkeiten nicht immer Rücksicht genommen werden kann. Was heißt das denn? Du willst auch Widerstände überwinden?
Robert Habeck: Wenn man sich anschaut, woran der Windkraft-Ausbau lahmt, dann ist jeder Grund für sich ein guter. Man sagt, die Landschaft verändert sich oder es gibt eine Beeinträchtigung des Wohnumfeldes oder wir wollen die Arten schützen und das stimmt; alles für sich genommen kann es immer wieder gute Gründe im Einzelfall geben, aber die Summe der Einzelfälle führt im Moment dazu, dass wir das, was klimapolitisch und auch volkswirtschaftlich geboten ist, nicht hinbekommen. Und deswegen müssen wir neue Wege finden. Das wäre meine Antwort. Wir müssen jetzt nicht sagen, dann brechen wir eben alle anderen Rechtsgüter. Aber man kann vielleicht intelligentere Lösungen finden als die, die wir bisher haben. Ich nehme mal ein Beispiel: Im Moment gibt es - es ist unglaublich kompliziert und teuer, artenschutzfachliche Gutachten zu erstellen. Da geht sehr viel Geld auch von den Windkraft-Betreibern rein. Dadurch werden die Arten aber nur indirekt geschützt. Würde man das Geld oder anderes nehmen, um den Artenschutz an anderer Stelle voranzubringen, findet man vielleicht Raum für die Windkraftanlagen. Also es muss kein Gegeneinander sein, aber man muss neue Wege finden. Die alten haben uns jetzt in eine Sackgasse reinmanövriert.
Tim Meyer: Ist das Sofortprogramm das wichtigste Projekt zum Beginn deiner Amtszeit? Und was wirst du außerdem als erstes anpacken, weil es dir besonders am Herzen liegt?
Robert Habeck: Nein, so würde ich es nicht sagen. Es ist vielleicht das wichtigste Projekt bei dem Ausbau der erneuerbaren Energien, aber es gibt ganz viele andere Sachen, die nicht weniger wichtig sind. Das sind viele Sofortmaßnahmen, die Corona-Überbrückungsgelder, die ja neu strukturiert werden mussten, dass die Unternehmen überhaupt noch da sind, wenn wir wieder loslegen können mit voller wirtschaftlicher Kraft. Die MV-Werft in Mecklenburg-Vorpommern ist ins Straucheln geraten. Mit großer Anstrengung haben wir versucht, sie zu retten. Es gibt ewige Debatten und Telefonate und Anträge mit der Europäischen Kommission, um beihilferechtliche Fragen zu klären. Die wieder lösen dann Geld aus für Grünen Stahl oder eine Wasserstoff-Infrastruktur, also es sind viele Schiffe, die gleichzeitig losgeschickt werden.
Tim Meyer: Für dich ist es nach deiner Zeit als Minister in Schleswig-Holstein nicht neu, ein Haus zu führen. Das Wirtschaftsministerium als Bundesbehörde mit einem riesigen Apparat dürfte trotzdem etwas anderes sein. Wie haben sich die ersten Wochen im Ministerium für Wirtschaft und Klimaschutz angefühlt? Und gab es vielleicht eine besondere Begebenheit, die dir das Ankommen erleichtert hat?
Robert Habeck: Es ist einerseits ganz anders, weil es alles größer und mehr und noch komplexer ist und andererseits dann doch nicht so anders, weil ja in den Rücksprachen dann doch wieder nur zehn oder 15 Leute sind und nicht 2000. Das heißt, die eigentliche Arbeit ähnelt schon sehr der, die ich in Schleswig-Holstein gemacht habe oder gelernt habe, auch in der Struktur, auch da. Damals hatte ich ja Umwelt, Landwirtschaft, Energie, und man musste da auch verschiedene Interessen zusammenkriegen, damit das Ganze funktioniert. Jetzt ist es hier Wirtschaft und Industrie und Strompreise und erneuerbare Energien. Aber Widerstände oder Widersprüche zu einem neuen System zusammen zu bauen, das, glaube ich, war bei beiden Häusern die gleiche Aufgabe. Und wenn ich etwas gelernt habe, wenn ich das sagen darf, dann, dass dieses Ministerium und die vielen Menschen, die da arbeiten, ja eigentlich helfen und helfen wollen. Da sind 2000 Leute unterwegs, um mich zu beraten und mir die richtigen Ratschläge zu geben. Also hängt alles davon ab, die richtigen Fragen zu stellen und nicht besserwisserisch aufzutreten, aber eben auch nicht seine politische Agenda fallen zu lassen, und mein Eindruck ist - und das sage ich voller Dankbarkeit, dass das sehr gut geklappt hat in den ersten Wochen -, dass das Ministerium uns sehr freundlich aufgenommen hat, nicht nur mich, sondern die ganze neue Hausleitung, und wir hoffentlich diese Freundlichkeit mit großer Offenheit beantwortet haben, sodass sich das gerade sehr gut anfühlt. Du hast mich gefragt: Wie fühlt es sich an? Ich würde sagen: Vom ersten Moment an wie 'Das ist genau richtig. Es ist wie füreinander gebaut.'
Tim Meyer: Du hast jetzt ja auch gerade im Plenum noch gesagt, wenn die Mitarbeiterinnen nicht die Sonderschichten über Weihnachten geschoben hätten, dann wäre das mit den Corona-Hilfen jetzt gar nicht so reibungslos gegangen.
Robert Habeck: Na klar, man stellt sich das immer so so vor: Kann doch nicht so schwer sein. Corona-Hilfen, Überbrückungsgelder IV. Es gab ja schon III, II, I davor. Da müsst ihr doch einfach nur die Daten ändern oder so etwas. So ist es aber nicht. Die werden von den Ländern administriert. Die Länder ändern dauernd ihre Verordnung. Alle haben unterschiedliche Antragsformulare, die ändern sich auch permanent. Du musst quasi jedes Mal neue Software-System aufbauen, also ein- das macht man sich auch als Minister gar nicht klar, was das für eine wahnsinnige Arbeit ist. Und da haben ganz viele Leute zwischen den Feiertagen dran geschraubt, weil unser Wunsch war, das fertig zu haben, wenn die Ministerpräsidentenkonferenz tagt, nicht danach. Und die haben das gemacht. Da kann ich nur sagen: Hut ab, danke dafür. Und das gilt für andere Bereiche auch. Den Jahreswirtschaftsbericht, also die Standortbestimmung der deutschen Wirtschaft, jährlich wird sie vorgenommen, den haben wir diesmal anders geschrieben. Der war schon drei Viertel fertig, eigentlich war er schon fertig. Dann sind wir reingekommen und haben gesagt: Wir wollen ihn noch mal ein bisschen anders aufgesetzt haben. Dann haben die alle noch mal eine extra Schicht gemacht. Dieses Sofortprogramm ist tatsächlich ja in wenigen Wochen entstanden, also die Eröffnungsbilanz Klimaschutz. Das liegt nur daran, dass die Leute alle mehr gearbeitet haben, als man eigentlich verlangen kann von ihnen. Und das meine ich, so ist die Energie gerade in diesem Haus, dass einen trägt, das mich trägt. Und ich hoffe, dass ich fair genug den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bin, und die wissen, wie dankbar ich bin, da Minister sein zu können. Und was hat geholfen? Eine besondere Begebenheit war Bananen. Ich vergesse immer zu essen im Tag, der ist halt eng gestrickt und ich messe dem Essen nicht so eine große Bedeutung zu, aber wenn man dann auf einmal um 16 Uhr merkt, dass man noch gar nichts gegessen hat, das kennen ja alle, dann sackst du auf einmal so zusammen und ein netter Kollege aus dem Vorzimmer sagte: Guck mal hier, ich habe noch zwei, drei Bananen über, die habe ich mir eigentlich für mich für morgen gekauft, aber iss die doch. Und dann habe ich die gefuttert und dann ging es wieder. Und jetzt bin ich schlauer und nehme mir ein bisschen was zu essen mit.
Tim Meyer: Jetzt gibt es in deinem Büro auch immer eine Schale mit Bananen.
Robert Habeck: Es gibt in einem Regal eine Müsli-Bar mit Hafer, H-Milch und Rosinen.
Tim Meyer: Stellen wir uns vor, du blickst in vier Jahren auf deine Amtszeit zurück. Was willst du erreicht haben und was würde dich in diesem Rückblick glücklich machen?
Robert Habeck: Ja, in diesem Ministerium ist ja nun mal klar, dass die Erfolgsbilanz objektiv ist. Da geht es jetzt nicht um individuelle Zufriedenheit, sondern wir müssen es geschafft haben. Ich muss es geschafft haben. Oder ich verantworte das, die CO2-Emissionen so zu senken, dass wir wieder auf 1,5-Grad-Pfad sind. Das ist schwer genug und ich kann nicht versprechen, dass wir komplett alles erreichen. Aber die Tendenz und die Maßnahmen, die dann über die Legislatur hinausgehen, müssen uns auf diesen Budgeteinhaltungspfad bringen. Wenn wir jetzt am Anfang schlechter sind, und so sieht es aus, einfach weil die Genehmigungen von Windkraftanlagen so lange dauern, weil Förder-Bescheide in Brüssel notifiziert werden müssen, weil wenn sie notifiziert sind, die Hochöfen erst gebaut und montiert werden müssen. Das dauert alles, also wenn wir gut sind, dauert zwei, drei Jahre, bis das alles in die Gänge kommt und nicht 20 oder 30 Jahre. Trotzdem muss am Ende der Legislatur eine Bilanz da sein, die sagt: Die Arbeit hat sich gelohnt, sie zeitigt Erfolge. Und wenn die jetzt umgesetzt werden, sind wir 2030 da, wo wir hinwollen. Das ist, das muss so sein, sonst sind wir da nicht gut genug gewesen.
Tim Meyer: Robert Vielen Dank für das Gespräch.
Robert Habeck: Danke euch!
Tim Meyer: Das Gespräch mit Annalena Baerbock haben wir am 16. Januar im Außenministerium geführt.
Tim Meyer: Liebe Annalena, neben den vielen Antrittsbesuch in den USA, Paris oder Polen sind deine ersten Wochen als Außenministerin durch den Konflikt mit der Ukraine bestimmt. Kannst du trotzdem sagen, welches Projekt aus dem Koalitionsvertrag für dich das Wichtigste ist, was du jetzt als erstes anpacken wirst?
Annalena Baerbock: Außenpolitik ist vom Tagesaktuellen geprägt und da erleben wir gerade, wie du gesagt hast, dass die Bedrohung der Ukraine die zentrale Herausforderung auch für uns Europäerinnen und Europäer ist. Weil klar ist, dass die Grenzen in Europa nicht verhandelbar sind, dass das internationale Recht für alle gelten muss. Und es macht eigentlich auch deutlich, was das große Projekt für die nächsten vier Jahre ist, nämlich die Werte unseres gemeinsamen Europas hochzuhalten und deutlich zu machen, auch in der Welt dafür zu werben für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte und zugleich eben, wenn diese herausgefordert oder gar angegriffen werden, selbstbewusst als Europäer, diese zu verteidigen. Und deswegen ist die Souveränität Europas für mich eine der zentralen Leitlinien für die nächsten vier Jahre, ist auch im Koalitionsvertrag verankert. Aber wir haben viele andere große Projekte, zum Beispiel Klima-Außenpolitik. Es wird jetzt ja erstmalig die Außenpolitik auch für die Klimapolitik, für die Klimakonferenzen zuständig sein, weil die Klimakrise eine unserer größten Herausforderungen dieser Zeit ist. Und der dritte Punkt, der mir wichtig ist, ist das Thema Abrüstung, der auch im Koalitionsvertrag stark verankert ist und der eben auch eine Antwort auf eine der größten Spannungen in diesen Tagen mit Blick auf Russland sein kann.
Tim Meyer: Du hast gerade schon Werte angesprochen. In deiner Rede im Bundestag hast du auch gerade gesagt, dass Werte und Interessen keine Gegensätze sind, sondern zwei Seiten derselben Medaille. Ist das die Richtschnur deiner Amtsführung? Und kannst du vielleicht noch mal an einem Beispiel das erläutern?
Annalena Baerbock: Wertegeleitete Außenpolitik bedeutet, dass man immer wieder deutlich macht, wofür man eigentlich einsteht? Das Friedensprojekt Europa, was ja gerade für meine Generation, für die Generation meiner Kinder bedeutet, dass wir und sie niemals Krieg erlebt haben, dass wir immer in Frieden aufwachsen konnten, in Freiheit aufwachsen konnten. Im wiedervereinigten Deutschland habe ich den größten Teil meines Lebens verbracht, und das ist eben keine Selbstverständlichkeit, sondern das muss man gemeinsam jeden Tag immer wieder leben, und das ist auch unser größtes Interesse. Unser größtes Interesse ist, dieses Friedensprojekt Europa für zukünftige Generationen zu sichern. Und wenn man es dann mal ganz praktisch macht im Alltag, weswegen ich immer sage: Das ist kein Gegensatz, sondern zwei Seiten der gleichen Medaille sind Werte und Interessen. Wenn zum Beispiel europäische oder auch deutsche Firmen sich daran halten müssen, dass Produkte in Zukunft eben nachhaltig sein müssen, dass man sie reparieren kann oder eben auch sich an soziale Standards halten müssen, wie zum Beispiel Arbeitnehmerinnen-Rechte oder - natürlich in Europa -, dass es keine Zwangsarbeit gibt, dann wäre es ein absoluter Wettbewerbsnachteil für europäische Unternehmen, wenn man sagt: Aber Unternehmen aus Drittstaaten müssen sich nicht daran halten, dass Produkte vielleicht auch in Zwangsarbeit hergestellt werden können. Und das macht für mich so deutlich, was manche aufzeigen, man muss sich entscheiden zwischen wirtschaftlichen Interessen und auf der anderen Seite den Grundfesten unserer Werte-Union, dass das in der Realität so überhaupt nicht ist, sondern ein Europa ohne Werte, wäre der größte Schaden für unseren volkswirtschaftlichen Erfolg.
Tim Meyer: Lass es uns kurz vom Ende her betrachten Was willst du in vier Jahren erreicht haben? Was werden die Menschen davon konkret haben?
Annalena Baerbock: Das kann man gerade mit Blick auf diese Spannung finde ich das wirklich vermessen und anmaßend zu sagen: Diese Krise X will ich alleine gelöst haben. Weil die Stärke von Außenpolitik ist, das Zusammenarbeiten mit anderen Akteuren, sich auch in schwierigen Momenten, wie jetzt eben in der Spannung mit Russland, aber auch mit Blick auf den Iran, sich immer wieder an den Dialog-Tisch zu setzen, lange Ausdauer und Nerven zu haben, damit Krisen nicht eskalieren. Aber was ich als Maßstab nehme, was wir angehen müssen, ist, dass man vorausschauender handelt. Wir können einige Krisen vorhersehen, wie zum Beispiel die Klimakrise. Wir wissen, dass mit jedem Zehntel Grad Erderwärmung nicht nur unsere Freiheit eingeschränkt wird, sondern dass sich auch Konflikte in anderen Regionen der Welt verschärfen werden. Und dieses vorausschauende Handeln, sei es bei der Klimakrise, sei es aber auch zum Beispiel bei der Pandemie, dass man eben Impfstoff Versorgung weltweit voranbringen muss oder auch vorausschauendes Handeln mit Blick auf Menschenrechte. Deswegen habe ich auch zum Beispiel das Thema feministische Außenpolitik stark verankert, weil Frauenrechte oftmals der Gradmesser für den Zustand von Gesellschaften sind. Das ist eine der Leitlinien, wo ich hoffe, dass wir sie gemeinsam als Bundesregierung in den nächsten vier Jahren als vorausschauender Multilateralismus wirklich auch verankert haben können.
Tim Meyer: Wie wird sich in Zukunft die Zusammenarbeit mit der grünen Bundestagsfraktion gestalten? Und auf was freust du dich dabei besonders?
Annalena Baerbock: Die gestaltet sich schon, weil die Herausforderungen außenpolitisch und europapolitisch, die haben jetzt nicht darauf gewartet, dass eine Ministerin sich erst mal drei Monate lang einlebt, sondern wir haben in einer der ersten Parlamentswochen diesen Jahres das Irak-Mandat zum Beispiel in den Deutschen Bundestag eingebracht und dann zwischen Weihnachten und Neujahr auch intensiv, ich als Außenministerin mit den unterschiedlichen Fraktionen, aber natürlich auch der Grünen Fraktion, darüber gesprochen, wie verändern wir dieses Mandat so, wo wir in der Vergangenheit als Grüne es ja abgelehnt haben, dass das, was wir immer kritisiert haben, nämlich die starke rechtliche Basis, auch wirklich gesichert ist, deswegen haben wir zum Beispiel Syrien aus dem Mandatstext herausgenommen, weil es da eben aus unserer Sicht die rechtlichen Grundvoraussetzungen nicht geschaffen waren. Und diesen Austausch, also mal schnell zum Telefonhörer zu greifen und zu sagen: Lasst uns mal gemeinsam in kleiner Runde telefonieren oder dann auch ins Parlament zu kommen - bei Corona leider mit viel digitaler Zuschaltung auch noch -, um auch mal offen darüber zu sprechen, wie können wir jetzt das mit der Klima Außenpolitik wirklich gemeinsam verankern? Weil es bringt nichts, wenn ich das im Außenministerium mache, im Bundestag dann aber zum Beispiel es keinen Ausschuss gibt, der sich da federführend mit drum kümmert, weil die Stärke der Außenpolitik, aber eigentlich der gesamten Bundesregierung liegt ja darin, dass wir ein starkes Parlament haben, was sich auch selbstbewusst einbringt und auch mal sagt: Hier möchten wir gerne Dinge auch in eine andere Richtung leiten und dafür brauchen wir einen engen und starken Austausch. Und ich glaube, der ist gerade bei uns Grünen dadurch gesichert, dass wir uns alle auch sehr, sehr gut kennen.
Tim Meyer: Welcher Moment bei der Übernahme des Außenministeriums wird für dich immer im Gedächtnis bleiben?
Annalena Baerbock: Das sind viele kleine Momente und ich glaube, jeder, der sagt, dass er da nicht irgendwie etwas dolleren Herzschlag gehabt hat, der sagt vielleicht nicht ganz so die Wahrheit, weil es natürlich nicht nur eine große Herausforderung ist, sondern auch eine große Verantwortung ist, jetzt für die nächsten Jahre an federführender Stelle das Gesicht in Deutschland zu sein, was ja auch dafür wirbt, für unser Land, für unser Verständnis, für seine Bürgerinnen und Bürger mit anderen Nationen ins Gespräch kommt. Und ich glaube, der Moment des Herzklopfens, als man im Parlament stand und vereidigt wurde und zugleich, da war so eine positive Stimmung im Bundestag. Das hat sich schön und richtig angefühlt.
Tim Meyer: Und wie ist es für dich jetzt weltweit unterwegs zu sein?
Annalena Baerbock: Man kann Diplomatie schlecht allein am Telefon voran führen. Man sollte sich zwischenzeitlich auch mal wirklich in die Augen schauen. Und wie so oft im Leben, ich glaube, in jedem Verhältnis, ob es Familie, im Sportverein oder in Freundschaften ist, kommt es ja auch oftmals darauf an, dass die Chemie stimmt. Und so ist das auch in der Politik. So ist es in einer Bundesregierung, dass es wichtig ist, dass man sich kennt, dass man auch mal beim anderen sieht, oh, dem geht es heute offensichtlich nicht so gut, und wenn wir uns gleich in die Haare kriegen, liegt es vielleicht an einer anderen Sache. Und so ist es auch in der Außenpolitik, weswegen es mir wichtig ist, mit möglichst vielen Kolleginnen und Kollegen, Außenministerinnen und Außenministern trotz Corona schnell auch den persönlichen Draht aufzunehmen, dass, wenn es wirklich mal hakt, man auch zum Telefonhörer greifen kann und nicht sagen muss: Wer bist du eigentlich? Sondern weiß, wie der andere so tickt.
Tim Meyer: Als du Parteivorsitzende geworden bist, hast du angesprochen, dass du Mutter von kleinen Kindern bist. Jetzt bist du Außenministerin. Wie bekommst du das alles hin?
Annalena Baerbock: An manchen Tagen sehr gut, an manchen Tagen mittel und manchmal, wenn man dann ganz schnell los muss, und dann fehlt aber noch die eine Schulmappe, dann ist auch eine Herausforderung. Auch wenn ich natürlich einen Mann habe, der mich nicht nur stark unterstützt, sondern der jetzt vor allen Dingen noch mal mehr die volle Verantwortung auch zu Hause trägt. Aber mir war damals schon als Parteivorsitzende wichtig, deutlich zu machen: Es muss eine Selbstverständlichkeit in diesem Land sein, dass Frauen alles werden können: Chefärztin, Spitzenpolitikerin oder auch in der Nachtschicht beim Sicherheits-Service zu arbeiten. Und der Staat hat die Verantwortung, Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu garantieren. Und da gibt es sehr viele unterschiedliche Familienkonstellationen, und mir war immer wichtig, auch deutlich zu machen, dass man nicht so tut, das ist alles ganz einfach. Deswegen habe ich in der Corona-Situation auch immer wieder selber von mir aus angesprochen zu sagen: Auch ich spüre als Mutter mit Kindern, was eseigentlich in den Familien bedeutet, wenn Schulen geschlossen sind. Und jetzt mit Blick als Außenministerin müssen wir uns natürlich noch mal ein bisschen anders sortieren, weil ich viel weg bin, hast du gerade schon angesprochen, viel im Ausland unterwegs bin, aber meine Kinder kennen das eigentlich so, dass ich viel unterwegs bin und trotzdem will ich, dass sie wissen, wo mein Herz zu Hause ist, wo ich zu Hause bin. Und so wie ich vor vier Jahren als Parteivorsitzende gesagt habe: es gibt Momente, da bin ich dann ganz Mutter, so wird das natürlich auch jetzt in dieser Situation sein. Und wir stehen hier gerade am Sonntag im Außenministerium, und das sind die Momente, wo man dann seiner Tochter auch mal zeigen kann, wo eigentlich der neue Arbeitsplatz so ist.
Tim Meyer: Ach so, die bringst du dann auch mit ins Außenministerium?
Annalena Baerbock: Eigentlich nicht, aber sie soll schon wissen, wo ich hier arbeite. Und sie wussten auch, wie es im Bundestag aussieht. Und sie wussten auch, wie es in der grünen Parteizentrale aussieht. Und so sollen sie auch wissen, wie es hier im Auswärtigen Amt aussieht. Jetzt ist nur die Herausforderung, dass Sie gerne auch wissen wollen, wie es in Rom, in Warschau oder in Peking so aussieht. Und da kann ich sie natürlich nicht überall hin mitnehmen.
Tim Meyer: Liebe Annalena, vielen Dank für das Gespräch.
Annalena Baerbock: Danke, ebenso!
Tim Meyer: Steffi Lemke haben wir am 17. Januar im Ministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz getroffen.
Tim Meyer: Liebe Steffi, in deiner Rede letzte Woche im Bundestag hast du an den Beschluss des Bundesverfassungsgericht erinnert. Das Gericht hat im April 2021 festgestellt, dass das Klimaschutzgesetz verfassungswidrig ist, weil es künftigen Generationen ihre Freiheit nimmt, wenn wir das Klima und unsere Umwelt durch Treibhausgasemissionen zerstören. Wo setzt du mit deinem Haus an, um das zu verhindern?
Steffi Lemke: Ich bin Ministerin für Umwelt und Naturschutz, in allererster Linie aber natürlich auch für Verbraucherschutz, nukleare Sicherheit, und alle vier Bereiche betreffen den Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen in ganz eklatanter Art und Weise. Deshalb werde ich den natürlichen Klimaschutz voranbringen, das heißt, Kohlenstoff in unseren Ökosystemen zu speichern, aber auch Wasser dort zu speichern gegen Dürre, gegen Hochwasser und die Klimavorsorge vorantreiben und den Ressourcenschutz über die Kreislaufwirtschaft stärken.
Tim Meyer: Wir bekommen die Wucht der Klimakrise durch die Extremwetterereignisse immer stärker zu spüren, auch hierzulande. Ist und war das der letzte notwendige Weckruf, um uns endlich zum Handeln zu bewegen?
Steffi Lemke: Unsere Bundesregierung wird und will jetzt handeln, das ist klar. Deshalb werden wir die Erneuerbaren stärken, werden wir den natürlichen Klimaschutz stärken, aber auch die Kreislaufwirtschaft für den Ressourcenschutz stärken. Die Punkte habe ich alle aufgeführt. Und ich glaube nicht, dass es ein letzter Weckruf war, sondern dass sich in den letzten Jahren immer stärker einen Blick darauf entwickelt hat, dass die Klimakrise uns auch hier trifft. Sei das, angefangen von der Dürre in den letzten vier Sommern über die Hochwasser-Ereignisse in den letzten Jahren, aber auch durch Fridays for Future, die das Thema auf die Straße, in die Parlamente getragen haben. Also ich sehe eher eine Entwicklung, die dieser Bundesregierung hoffentlich den notwendigen Rückenwind geben wird.
Tim Meyer: Viele Vorhaben wirst du in Zusammenarbeit mit den Ministern Robert Habeck und Cem Özdemir umsetzen dürfen. Wie kann man sich den Austausch zwischen euch vorstellen?
Steffi Lemke: Wir planen jetzt die Vorhaben für die nächsten Monate und letztendlich damit auch schon für die nächsten Jahre. Das tun wir gemeinsam. Mit Cem mache ich beispielsweise morgen den Agrar-Kongress des Bundesumweltministeriums. Zusammen mit Robert arbeiten wir im Moment sehr intensiv, wie wir die Energiewende beschleunigen können, wie wir die Themen Klimaschutz, natürlicher Klimaschutz, Ausbau der erneuerbaren Energien zusammenbinden können und den Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen insgesamt stärken.
Tim Meyer: Als Oppositionspolitikerin im Bundestag konntest du zum Beispiel Anträge für mehr Bienenschutz stellen, die dann aber meist im Plenum abgelehnt wurden. Jetzt kannst du als Bundesministerin Gesetze auf den Weg bringen, die wirklich etwas verändern. Wie fühlt sich das an für dich?
Steffi Lemke: Es ist natürlich eine wahnsinnig große Verantwortung, die ich jetzt persönlich als Ministerin habe, die aber auch alle Mitglieder des Kabinetts haben. Und der große Reformstau, den wir haben, viele Probleme, die einfach über Jahre nicht angepackt worden sind, nicht nur im Klima und Naturschutz, sondern auch in den gesellschaftspolitischen Bereichen, und das jetzt wirklich ganz nahe gestalten zu können, an allererster Stelle gestalten zu können, das ist Verantwortung, aber es macht auch wirklich Spaß.
Tim Meyer: Weißt du schon, wie sich die Zusammenarbeit mit der grünen Bundestagsfraktion gestaltet? Wirst du auch in Zukunft auf Ihre Expertise beispielsweise zurückgreifen?
Steffi Lemke: Auf jeden Fall. Ich will eng mit der AG Umwelt natürlich zusammenarbeiten, aber auch mit dem Fraktionsvorstand, der gesamten Fraktion und den vielen Referenten, die ich ja seit so vielen Jahren kenne und schätze. Und wir haben natürlich mit den beiden Parlamentarischen Staatssekretären Bettina ( Hoffmann, Anmerkung der Redaktion) und Chris (Kühn, Anmerkung der Redaktion) zwei Schlüsselglieder, die die Zusammenarbeit mit der Fraktion auch im Alltag organisieren werden, weil ich es vielleicht nicht jeden Tag machen kann.
Tim Meyer: Als Ministerin kannst du vier Jahre lang an deinen Projekten arbeiten. Was willst du in dieser Zeit erreichen?
Steffi Lemke: Ich habe es im Bundestag gesagt: Wir werden den natürlichen Klimaschutz vorantreiben, gegen das Artensterben vorgehen, die Städte und Dörfer gegen die Klimakrise wappnen. Wir werden ein Recht auf Reparatur einführen, gegen die Retourenvernichtung vorgehen. Wir werden die Atom-Endlager-Suche weiter vorantreiben und den Atomausstieg in Deutschland vollenden. Wir werden die Kreislaufwirtschaft und den Ressourcenschutz massiv ausbauen und wir werden gegen die Plastik-Vermüllung unserer Landschaft vorgehen und Mehrweg stärken.
Tim Meyer: Liebe Steffi, vielen Dank für das Gespräch.
Steffi Lemke: Auch von meiner Seite. Vielen Dank!
Tim Meyer: Cem Özdemir hat uns am 14. Januar ins Ministerium für Landwirtschaft und Ernährung eingeladen.
Tim Meyer: Lieber Cem, du hast in deiner Rede im Bundestag gesagt für notwendige Veränderungen gibt es kein Erkenntnisproblem, sondern ein Anwendungsproblem. Was ist viel zu lange liegengeblieben und wird jetzt von dir als erstes angepackt?
Cem Özdemir: Ich habe hier im Schreibtisch vorgefunden die Zukunftskommission Landwirtschaft, die eine großartige Arbeit geleistet hat. Da saßen Leute drin aus der Landwirtschaft, aus den verschiedenen Bauernverbänden. Da saßen Leute aus der Wissenschaft drin, da war der Verbraucherschutz dabei, da war die Umweltseite stark vertreten und die alle haben gemeinsam getagt und einen Bericht vorgelegt. Sehr umfassend. Es gibt eine Kurzfassung, eine Langfassung. Es gibt eine englische Fassung. Also es lag jetzt nicht daran, dass man es nicht hätte lesen können. Und dann gibt es die Borchert Kommission, die hat sich in Sachen Tiere und Zukunft der Tierhaltung, der Nutztierhaltung Gedanken gemacht. Alles das liegt hier vor. Deshalb habe ich gesagt, es gibt hier eigentlich gar kein Erkenntnisproblem, mehr so ein Umsetzungsproblem. Da hat sich die Große Koalition in den vergangenen Jahren gegenseitig blockiert und auch innerhalb der Union. Die Modernisierer einerseits und diejenigen, die sagen wir mal, jetzt eher Fans davon sind, dass alles so bleibt, wie es ist, also dass sich nichts verändert, die haben sich jahrelang blockiert und jetzt ist es einfach Zeit, dass die Dinge angepackt werden. Denn der Output, wenn man den als Maßstab nimmt, der ist desaströs. Wir haben ein Höfesterben ohne Ende. Wir haben das "Wachse oder Weiche", das heißt, die Kleinen haut es raus aus dem System und die anderen müssen permanent quasi immer größer werden mit dramatischen Folgen fürs Wasser, dramatischen Folgen fürs Klima, dramatischen Folgen aber auch für das Thema Tierschutz und so weiter. Also das ist ein System, das nicht nachhaltig ist. Und das müssen wir ändern. Und das habe ich mir fest vorgenommen, das habe ich damit gemeint.
Tim Meyer: Kannst du noch so ein paar Stichworte geben? Vielleicht so in Richtung Tierhaltung, Ökolandbau? Was sind da die Projekte, die du als erstes anpackst?
Cem Özdemir: Also das sind so viele Dinge, dass man sich Schwerpunkte setzen muss. Und ein Schwerpunkt ist selbstverständlich das Thema, dass es jetzt endlich Zeit ist, das es eine Tierhaltungs-Kennzeichnung gibt - so ähnlich wie das Renate Künast vor vielen Jahren hier in diesem Haus mal gemacht hat mit den Eiern, müssen wir das jetzt eben auch bei der Tierhaltung machen. Anfangen bei den Schweinen, da sind wir am weitesten und dann Schritt für Schritt weiter, so dass die Käufer, der Käufer sofort im Ladenregal erkennen kann, wie die Tiere gehalten wurden und dann auch durch die Kaufentscheidung sich bewusst entscheiden kann. Jetzt ist aber ganz wichtig: Das Geld, das eben durch bessere Tierhaltung erwirtschaftet wird, das muss auch bei den Betrieben landen, damit künftig die Ställe so gebaut werden, dass die tiergerecht sind und nicht die Tiere den Ställen angepasst werden, wie wir es eben bis jetzt gemacht haben. Bis jetzt ist es so: Von dem einen Euro, den man ausgibt, beispielsweise für Schweinefleisch, kommen genau 22 Cent beim Hersteller, also beim Landwirt, bei der Landwirtin an. Das ist kein gerechtes System. Das zu ändern gehört da eben auch dazu. Das haben wir uns in der Koalitionsvereinbarung für dieses Jahr vorgenommen. Das ist mega ehrgeizig. Daran arbeiten wir jetzt mit Nachdruck hier im Haus. Und da wollen wir dieses Jahr Resultate präsentieren. Und da geht es Schlag auf Schlag weiter. Und ein anderes Thema, das auch damit zu tun hat, das ist die Herkunfts-Kennzeichnung, das heißt, dass die Käuferinnen und Käufer auch bewusst sich entscheiden können, einheimische Produkte zu nehmen, damit auch regionale Strukturen stärken, Netzwerke stärken. Auch das gehört da dazu. Dann ist der Bundeslandwirtschaftsminister, da bin ich ganz stolz darauf, auch der Ernährungsminister. Da geht es um das Thema, dass die Leute zu Recht den Anspruch haben, gesunde Lebensmittel zu bekommen, aber auch bezahlbare Lebensmittel zu bekommen. Das in ein gesundes Verhältnis zueinander zu setzen, ist da ganz zentral. Gerade diejenigen, die am benachteiligsten sind, sind am meisten betroffen davon, dass sie ernährungsbedingte gesundheitliche Probleme haben. Das Thema will ich in Angriff nehmen, also kurz, so wie wir es in der Koalitionsvereinbarung auch drin haben: Zu viel Fett, zu viel Salz, zu viel Zucker. Alle diese Themen will ich angehen.
Tim Meyer: Du selbst bist seit dem du 17 Jahre alt bist, wenn das stimmt, Vegetarier, willst aber als Minister niemandem vorschreiben, was er oder sie zu essen hat. Weniger Fleisch zu essen ist ja nicht nur gut für die eigene Gesundheit, sondern auch für die Umwelt und den Klimaschutz. Wenn es keine Vorschriften dafür geben soll, gibt es dennoch Pläne, wie du die Bürgerinnen im Land zu weniger Fleischkonsum animieren willst?
Cem Özdemir: Also zu mir selber erst mal: Ich habe für mich selber entschieden, Vegetarier zu sein, aber davon leite ich nichts ab, auch nicht für die Politik, weil das müssen alle für sich selber entscheiden. Das ist eine individuelle Entscheidung. Der eine lebt vegan, die andere lebt vegetarisch, der dritte ist leidenschaftlich gern sein Schnitzel. Ich habe übrigens in meinem Team alles, und dann gibt es wiederum Zwischenformen, die sogenannten "Flexitarier", die weniger Fleisch essen, aber sagen: Dafür will ich besonders gutes Fleisch haben. Es hört sich für mich sehr vernünftig an. Ich glaube, das wäre ich, wenn ich kein Vegetarier wäre, wäre ich "Flexitarier" und - aber das müssen die Leute selber entscheiden. Das Einkaufen kann ich ihnen weder abnehmen, noch entscheide ich darüber, welcher Preis nachher am Ladenregal steht. Ich laufe ja jetzt nicht mit dem Edding durch den Supermarkt und streiche die Preise durch und schreibe die Özdemir-Preise darauf. So funktioniert es natürlich nicht. Aber eins ist auch klar, wenn wir so, wie wir es bislang haben, Preise haben, harte Dumpingpreise haben, die unter den Herstellungskosten sind, dann hat es auch Konsequenzen. Nämlich die Konsequenz beispielsweise, dass wir halt irgendwann einmal normale Landwirtschaft nicht mehr haben, weil die kann davon nicht leben. Das heißt, da haben wir nur noch die Riesenbetriebe, dann haben wir nur noch die Riesen-Schlachthöfe, in denen auch zu skandalösen Bedingungen gearbeitet wird. Und wir haben vor allem keinen Tierschutz. Das heißt, das eine bedingt das andere. Jetzt weiß ich natürlich auch, dass auch die Landwirtschaftspolitik sozial sein muss. Aber Sozialpolitik wird ja nicht deshalb ersetzt, wenn das Schnitzel billig ist. Das heißt, wem es jetzt wirklich um soziale Anliegen geht, der soll bitteschön diese Regierung unterstützen, wenn wir uns für einen Mindestlohn einsetzen. Der oder die soll uns unterstützen, wenn wir uns für vernünftiges Bafög einsetzen. Wenn wir uns für eine Reform bei Hartz IV einsetzen. Wenn wir all diese Dinge in Angriff nehmen. Also da habe ich auch ein bisschen das Gefühl, da reden auch manche mit, die soziale Gerechtigkeit immer dann entdecken, wenn es um den Schnitzelpreis geht. Das finde ich ein bisschen bemerkenswert. Da kann sich jeder seine Meinung dazu bilden. Und klar ist unter gesundheitlichen Aspekten: Wir essen zu viel Fleisch, wir müssen weniger Fleisch essen und dann vielleicht auch gucken, dass wir besseres Fleisch essen. Also auch das gehört dazu. Ich mache da keine Vorschriften, das müssen alle für sich entscheiden. Aber was mir wichtig ist, dass die Produkte stärker die ökologische Wahrheit im Preis ausdrücken müssen. Die Zechprellerei, wie wir sie gegenwärtig betreiben, dass die Kosten externalisiert werden, also auf die Dritte Welt verlagert werden in Form von Regenwäldern, die wir abholzen, für die Futtermittel oder das Abgeben ans Grundwasser. Abgeben in Form von Methan ans Klima, an künftige Generationen. Das wird es mit mir nicht mehr geben.
Tim Meyer: Wir zeichnen hier den Podcast oder unser Gespräch in deinem Büro auf. Ich sehe da hinten den Stuhl, auf dem du wahrscheinlich sonst immer sitzt oder auch stehst, weil es ein Stehtisch ist -
Cem Özdemir: Ich stehe ganz viel, weil ich muss ja irgendwie auch aufpassen mit dem Rücken und von daher gucke ich, dass ich viel stehe, und außerdem: der Landwirtschaftsminister ist ja auch viel draußen. Und dann hilft mir natürlich auch noch mein Fahrrad.
Tim Meyer: Aber meine eigentliche Frage ist: Gab es da einen Moment, wo du gestanden oder gesessen hast und mal so in dich hineingefühlt hast, was es denn jetzt für dich auch bedeutet, Minister zu sein?
Cem Özdemir: Ich hatte gar nicht so arg viel Zeit dafür, weil das ja nonstop hier losging. Erst mal musste ich vor Weihnachten ganz viele Akten bearbeiten, Sachen freigeben, Urkunden ausstellen und so weiter. Aber den Moment gab es natürlich, klar. Und auch heute wieder, bei meiner ersten Rede im Bundestag als Landwirtschaftsminister gab es so einen Moment, dass ich irgendwie so dachte, ob mein Papa, meine Mama gerade irgendwie von oben zuhören und auf mich schauen und so gucken, macht er das richtig, macht er es gut? Denn die haben mir damals eingebläut, vor allem mein Vater: "Vergiss nie, wo du hergekommen bist. Du kommst aus einer migrantischen Arbeiterfamilie, auf dich schaut man anders wie auf andere. Wenn du einen Fehler machst, dann ist es eben nicht nur dein Fehler, sondern dann haben wir alle den Fehler mitgemacht. Also passe da immer auf, ziehe dich anständig an!" Ich versuche es, ob es mir immer gelingt, weiß ich nicht. "Und gucke, dass du eben immer weißt, dass du nicht nur für dich das machst, sondern für viele andere auch, die auf dich schauen." Das gilt für die Menschen mit Migrationshintergrund. Da stamme ich ja auch her. Es gilt aber natürlich auch für meinen Wahlkreis, die mich da gewählt haben. Das gilt für meine Partei, das gilt für meine Fraktion, das weiß ich schon und schleppe das immer mit ein bisschen. Trotzdem gucke ich, dass das jetzt nicht so rüberkommt, wie wenn ich jetzt zwei Zentner auf meinen Schultern habe und zum Lachen in den Kohlenkeller gehe. Das versuche ich in ein gesundes Verhältnis zu bringen. Also es darf auch gerne mal Spaß bei der Arbeit sein. Es darf auch gerne mal die Mundwinkel nach oben gehen. Aber ich weiß natürlich, an dem, was ich hier entscheide, hängen auch Schicksale. Menschen leben davon. Also eine Entscheidung von mir, die ich schlecht vorbereitet treffe oder falsch treffe, hat Konsequenzen für die Leute, und das weiß ich natürlich.
Tim Meyer: Du hast jetzt gerade auch schon die Bundestagsfraktion angesprochen. Du arbeitest jetzt hier an Projekten, die im Koalitionsvertrag festgelegt sind, aber natürlich arbeitet die Fraktion auch weiterhin an aktuellen Themen aus den Bereichen Ernährung und Landwirtschaft. Wie werdet ihr da in einen fruchtbaren Austausch kommen?
Cem Özdemir: Das hat schon angefangen. Also natürlich an vorderster Stelle mit Renate, die ja selber mal hier Ministerin war, Renate Künast, und da einfach wegweisend die Dinge damals schon angestoßen hat, die bis heute auch bleiben. Dann aber natürlich die AG in der Fraktion. Natürlich auch die Kollegen der anderen Fraktion, mit denen wir gemeinsam regieren, auch übrigens die demokratische Opposition, auch denen mache ich das Angebot, dass wir eng zusammenarbeiten. Bei manchen Sachen bin ich ja auch auf die Landes-Agrarminister angewiesen, die gibt es von unterschiedlichen Parteien. Also, so ist mein Stil und so wird er auch bleiben. Dass ich Grüner bin, ist ja nun kein Geheimnis. Ich bin Mitglied der Fraktion, einer großartigen Fraktion. Und dieses Haus soll eines sein, das nicht vergisst, dass der Gesetzgeber das Parlament ist. Und deshalb gibt es da eine sehr, sehr enge Zusammenarbeit.
Tim Meyer: Beschreibe doch bitte mal, wie unsere Teller, die Felder, die Höfe der Landwirt:innen mit ihren Tieren und die Supermärkte aussehen, wenn deine Arbeit nach vier Jahren erfolgreich war.
Cem Özdemir: Also erst mal hoffe ich, dass sie vier Jahre erfolgreich ist, aber sie wird dann, da muss ich ein bisschen Wasser in den Wein schütten, nicht zu Ende sein. Weil wir haben zwar schon uns das Ziel gesetzt '30 Prozent Biolandbau bis 2030', also in vier Jahren werde ich damit nicht einen Haken dahinter machen können. Sondern ich werde hoffentlich wesentliche Schritte dahingehend erreicht haben bei der Nachfrage, weil es geht ja nicht nur 30 Prozent Bio auf den Bauernhöfen, sondern es gilt auch 30 Prozent im Ladenregal, im Supermarkt. So, und da werde ich hoffentlich vieles auf den Weg gebracht haben. Ich hoffe, dass wir dafür sorgen können, dass die Bauern und Bäuerinnen eine vernünftige Existenzsicherung haben, auch angemessen verdient werden, eine Wertschätzung erfahren für ihre Arbeit, das gehört auch dazu, aber auch Wertschöpfung. Ich hoffe, dass sich die Situation der Tiere verbessert. Das ist mir ganz wichtig, denn ich bin nicht nur oberster Vertreter der Bäuerinnen und Bauern, sondern ich bin auch oberster Tierschützer dieses Landes. Dann hoffe ich natürlich auch, dass sie an der Ernährungssituation was verbessert. Wir sind gute Europäer, das heißt, für vieles brauchen wir die Europäische Union. Auch da hoffe ich, dass wir viele Partner in Europa finden. Die GAP-Reform ganz wichtig, die gemeinsame Agrarpolitik, dann sind wir natürlich auch Internationalisten. Ich will entwaldungsfreie Lieferketten. Ich will, dass das aufhört, dass wir uns beteiligen daran, dass Regenwälder kaputt gemacht werden. Da versündigen wir uns am Klima, an unseren Kindern. Und das wird am Ende eben ein Strich drunter gemacht werden. Und dann wird man sehen, ob ich da geliefert habe oder nicht.
Tim Meyer: Seitdem man dich auf einem Balkon mit einer Cannabis-Pflanze im Hintergrund gefilmt hat, bist du in der Öffentlichkeit immer wieder als Fürsprecher für eine Entkriminalisierung des Cannabis-Konsums und eine andere Drogenpolitik aufgetreten. Jetzt steht die Legalisierung im Koalitionsvertrag. Auch wenn das Projekt nicht im Verantwortungsbereich deines Hauses liegt, kannst du vielleicht sagen, wie es mit dem Thema weitergehen wird?
Cem Özdemir: Es ist tatsächlich nicht in meinem Verantwortungsbereich. Ich sehe ja immer, wenn ich in den sozialen Medien unterwegs bin, dass die Leute immer darunter twittern und schreiben: Ja, wann kommt es denn endlich? Ich schreibe es nicht. Aber das machen die Kollegen, insbesondere der Gesundheitsminister, der Justizminister, und die machen das sehr gut. Die sind da auch unterwegs und bereiten das vor. Aber ich kann für mein Haus sagen, den uns betreffenden Teil, den werden wir natürlich auch parallel dazu mit vorbereiten. Ob es das Thema Nutzhanf ist, da bieten sich ja vielfältige Nutzungsmöglichkeiten an. Zum Teil passiert es ja auch schon, ob es Dämmstoffe sind und so weiter. Da gibt es großartige Möglichkeiten, wo sich Hanf anbietet bis zu Textilien. Und dann natürlich aber auch das Thema, wenn Hanf endlich entkriminalisiert wird, der Cannabiskonsum entkriminalisiert wird und es dafür lizenzierte Fachgeschäfte gibt, mit Werbeverbot, mit Zugangskontrolle ab 18, mit Verbraucherschutz, so dass man weiß, was drin ist, dann geht es natürlich auch darum, wo wird er hergestellt. Und das sage ich jetzt einmal natürlich: Ich will jetzt nicht, dass das alles aus dem Ausland kommt. Da haben wir bei uns auch Landwirte, die sich schon dafür interessieren, dass das eben auch in Deutschland angebaut wird im Rahmen des Möglichen. Auch da werden wir sicherlich mithelfen.
Tim Meyer: Aber es kommt nicht morgen?
Cem Özdemir: Es kommt nicht morgen und ich befürchte, es kommt auch nicht übermorgen, aber es kommt. Wir haben das versprochen. Alle drei Fraktionen sind sich einig. Insofern gibt es auch eine politische Mehrheit im Deutschen Bundestag dafür und die zuständigen Ministerien arbeiten dran.
Tim Meyer: Lieber Cem, vielen Dank für das Gespräch.
Cem Özdemir: Gerne!
Tim Meyer: Das Gespräch mit Anne Spiegel führten wir am 13. Januar im Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
Tim Meyer: Liebe Anne, bei der Vorstellung deiner politischen Pläne im Bundestag hast du erzählt, wie du beim Lesen des Koalitionsvertrags zu den Themen deines Ministeriums bei jedem Satz gedacht hast: Endlich packen wir diese wichtigen Projekte an. Was davon ist schnell umsetzbar und dir besonders wichtig?
Anne Spiegel: Ja, genau das sortieren wir auch gerade im Ministerium. Was schnell gehen wird, ist der Sofortzuschlag für Familien und Kinder, die dringend auch ein Plus im Geldbeutel brauchen. Das packe ich mit Bundesarbeitsminister Heil jetzt ganz, ganz schnell an. Was auch schnell gehen wird, ist die Abschaffung des Paragrafen 219a. Die Debatten sind ja bekannt und letztlich muss man dafür keine großen Vorarbeiten mehr leisten. Und ich denke, was auch noch verhältnismäßig schnell gehen wird, ist, dass wir wirklich das auch in Teilen verfassungswidrige Transsexuellengesetz ersetzen durch ein modernes Vielfaltsgesetz.
Tim Meyer: Also du hast dich gefreut, endlich packen wir die Projekte an. Aber was hast du gedacht, als klar wurde, dass du selbst diese Projekte würdest anpacken können?
Anne Spiegel: Ja gut, da ist mir erst mal ziemlich heiß und kalt gleichzeitig geworden. Und das war natürlich so ein Moment, da habe ich auch erst mal mit meinem Mann und mit meinen besten Freundinnen und Freunden gesprochen. Aber eigentlich so vom Bauchgefühl her, war superschnell klar: Ich habe total Lust drauf. Das sind meine Herzensthemen. Der Koalitionsvertrag ist super verhandelt an der Stelle, und es wäre mir einfach eine große Ehre. Und ich freue mich jeden Tag, dass ich jetzt die Themen umsetzen darf.
Tim Meyer: In einem Interview hast du gesagt: "Ich habe eine klare Haltung, ich brenne für meine Themen und bei meiner Grundhaltung bin ich nicht bereit, Abstriche zu machen." Viele deiner Gesetzesvorhaben musst du mit anderen Ministerien verhandeln. Was ist dir bei diesen Verhandlungen wichtig, um bei deiner Haltung eben keine Abstriche machen zu müssen?
Anne Spiegel: Also bei den Themen, die ich gemeinsam mit anderen Ressorts anschiebe, finde ich es eigentlich toll, dass wir da auch das Gemeinsame dieser Regierung betonen können, indem wir zeigen, man packt auch gemeinsam an. Und ich werde auf keinen Fall Abstriche machen, wenn es zum Beispiel um den Kampf gegen Rechtsextremismus geht, um auch die vielen tollen Projekte im Bereich Demokratie leben, wenn es einfach auch darum geht, für eine offene und vielfältige Gesellschaft einzutreten. Da gibt es für mich nicht ein bisschen Eintreten, sondern nur entschiedenes Eintreten.
Tim Meyer: Inwiefern ist es als Frauen- und Familienministerin hilfreich, selbst Feministin und Mutter von vier Kindern zu sein?
Anne Spiegel: Also ich glaube, das ist von großem Vorteil, weil ich habe Kinder zu Hause. Ich weiß, wie Familienleben ist, wie Familienalltag ist, auch wo man so an seine Grenzen kommt und was es deswegen auch braucht. Zum Beispiel gute Schulen und Kitas, und die auch erst als allerletztes in der Pandemie geschlossen werden und nicht als allererstes. Und Feministin zu sein, ich glaube das hilft so ziemlich bei jedem Thema. Und mein Eindruck ist schon, als Feministin kommt man doch wesentlich besser durchs Leben.
Tim Meyer: Warum kommt man da besser durchs Leben?
Anne Spiegel: Na ja, ich finde es schon wichtig, dass man sich auch klar macht, dass es in unserer Gesellschaft ein Machtgefälle gibt. Und Feministin bedeutet für mich, dass ich das nicht nur einfach sehe und im stillen Kämmerlein sitze, sondern dass ich das auch artikuliere, und dass ich es vor allen Dingen ändern will. Dass ich das anpacken möchte, und dass Gleichberechtigung für mich viel mit gleichen Machtverhältnissen zu tun hat. Weil gleiche Machtverhältnisse, das würde auch den Sexismus reduzieren in unserer Gesellschaft, die Gewalt gegen Frauen und auch die gleiche Repräsentanz, das hat auch etwas mit Macht zu tun.
Tim Meyer: Wir haben darüber gesprochen, was du als erstes anpacken und umsetzen willst. Wenn du aber unabhängig von einzelnen Projekten in vier Jahren auf deine Amtszeit zurückblickst, wie könnte Deutschland aussehen, wenn deine Arbeit erfolgreich war?
Anne Spiegel: Na ja, ich will hoffen, dass nach vier Jahren man den Blick zurück dann auch wagen kann und sagen kann: Hey, wir haben jetzt eine Kindergrundsicherung eingeführt, wir haben damit eine Kampfansage, eine erfolgreiche, gemacht, Kinderarmut und Familienarmut endlich reduziert in Deutschland. Wir haben die Istanbul-Konvention umgesetzt und dadurch auch eine gute Beratungsinfrastruktur für von Gewalt betroffene Frauen umgesetzt. Wir haben insgesamt auch viel für queer gemacht und das wären so die Themen. Wenn wir es dann noch schaffen, dass tatsächlich junge Menschen ab 16 wählen können, dann wäre ich sehr, sehr glücklich.
Tim Meyer: Und wenn du noch einmal so ein bisschen von weiter oben schaust, so atmosphärisch, so wie Deutschland aussehen könnte?
Anne Spiegel: Also, ich werde jeden einzelnen Tag dafür kämpfen, dass wir in vier Jahren sagen können: Diese Gesellschaft ist bunter, vielfältiger und offener geworden. Und vor allen Dingen, dass wir die gesellschaftliche Vielfalt, eine Realität, die wir ja jetzt schon haben, dass wir die für die politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen endlich angepasst haben.
Tim Meyer: Du bist keine Abgeordnete des Bundestags und damit auch kein Mitglied der grünen Bundestagsfraktion. Wie läuft dann eigentlich der Austausch zwischen deinem Haus und der Fraktion?
Anne Spiegel: Der läuft sehr, sehr gut. Also, ich habe mich da mit offenen Armen aufgenommen gefühlt. Sowohl wenn es um den Fraktionsvorstand geht, als auch natürlich die Abgeordneten, mit denen ich fachlich viel zu tun haben werde: Maria Klein-Schmeink und Ulle (Schauws, Anmerkung der Redaktion) und viele, viele andere mehr. Wie gesagt, mit Britta (Haßelmann, Anmerkung der Redaktion) und Katharina (Dröge, Anmerkung der Redaktion) bin ich auch in einem ganz engen Austausch und dann natürlich mit meinen rheinland-pfälzischen Abgeordneten auch, also ich hoffe, wenn das mit der Pandemie besser wird, dass wir dann auch mal einen Rheinland-Pfalz Stammtisch machen können.
Tim Meyer: Liebe Anne, vielen Dank für das Gespräch.
Anne Spiegel: Sehr gerne.
Tim Meyer: Das waren die Gespräche mit unseren fünf Minister:innen. Die grüne Bundestagsfraktion freut sich sehr auf die Zusammenarbeit mit ihnen und allen anderen Häusern der neuen Bundesregierung. Wenn ihr Lob, Kritik oder Fragen loswerden wollt, schreibt uns gerne an podcast@gruene-bundestag.de. Wenn ihr informiert bleiben wollt, was die grüne Bundestagsfraktion noch alles macht, schaut auf unsere Website www.gruene-bundestag.de oder folgt uns in den sozialen Netzwerken auf Instagram, Twitter und Facebook. Vielen Dank fürs Zuhören, macht es gut und bleibt gesund.
Intro/Outro: Uns geht es ums Ganze. Der Podcast der grünen Bundestagsfraktion.
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