Saison 2018: Gruene Tulpe - AutoNama

03.12.2018

Wofür spielen wir eigentlich Fußball?

Sie kennen das: Die ganz großen Athleten ihrer Sportart haben ihren Signature Move. Jeder hat ihn schon unzählige Male gesehen, jeder weiß genau, wann er kommt, und dennoch ist die gegnerische Abwehr machtlos, ihn zu verhindern.

Michael Air Jordan hatte seinen Turn around-Fade away-Jump Shot. Arjen Robben lief die rechte Außenbahn runter, schlug auf Höhe des Sechzehners einen Haken in die Mitte und bekam so den halben Meter Platz vor dem Sechzehner, den er für seinen Schuss auf das linke obere Eck brauchte. Damit machte er vor einigen Jahren, als er noch schnell war, jede Menge Tore bis ins Champions League Finale, als Inter da einen Verteidiger hinstellte, von wo Robben schießen wollte, noch bevor er an der Mittellinie überhaupt losgelaufen war. Die Älteren unter uns werden sich noch an Klaus Fischers Fallrückzieher erinnern. Diese Signature Moves sind es, die die ganze Grazie eines Sports in einem Moment verdichtet. Dafür spielt man. Gewinnen oder Verlieren wird dabei nebensächlich. Wie in der Politik, wo es für manche nur ein Mittel zum Zweck sein mag, Wahlen zu gewinnen und in die Regierung gewählt zu werden, wenn man unabhängig davon das eigene Programm durchsetzen kann und schließlich alle anderen dieses Programm übernehmen.

Nun, die Grazie des Fußballsports verdichtet sich leider nur sehr selten Montagabends auf Tenne 1, mit abnehmender Tendenz. An diesem Montag spielte die Tulpe 25 Minuten gepflegten Standfußball und bewies ihre ganze spielerische Qualität durch die Geduld, auf eben jene Qualität zu warten. In regelmäßigen Abständen übergaben sie ordentlich den Ball an die Autoren-Nationalmannschaft, die immer wieder ihre schnellen technisch ansprechenden Spieler mit Pässen in die Tiefe in Szene setzen wollten - was zugegeben auf dem rutschigen Geläuf nicht der besten Ideen eine war. So zeichnete sich schnell das wahre Duell dieses Kicks ab: Sweeper Keeper Stephan Schwartzkopff gegen die Duracell-Stürmer. Nur um das vorwegzunehmen: Von diesen Laufduellen verlor der "Irre im Kasten" (Keeperstereotype) kein einziges! Immer war er einen Schritt vor dem heranstiebenden Stürmer am Ball und ließ diesen ein ums andere Mal mit einer Körpertäuschung ins Leere laufen.

Dennoch zeigte sich die anfängliche Überlegenheit der Autoren in einem Lattentreffer, den die Tulpen mühsam klärten, einem weiteren Lattenkracher, den die Tulpen wegköpfen konnten und einem an Tor und Torwart vorbeigespitzelten Ball. Zählbares sprang jedoch nicht heraus. Die nur zu elft angetretenen Autoren mühten sich redlich wie weiland George Foreman in der Hitze von Kinshasa - bis die Tulpen in der 35. Minute mit einem Mal mit der Eleganz von Ali eine Passfolge über fünf oder sechs Stationen von der Mittellinie bis in den gegnerischen Strafraum wie eine perfekte Kombination aneinanderreihten. One Touch Football und ein Gegner, der Spalier steht. Und am Ende ein kurzer Pass schräg vors Tor auf Markus Kurdziel. Und der macht, was er seit 35 Jahren tut: er spitzelt den Ball, nicht unhaltbar, nicht sonderlich platziert, nicht hart und auch nicht überlegen, aber eben ins Tor. 1:0.

Und nur kurz darauf gibt es dann das zu sehen, worum es beim Fußball eben geht: Bei den Grünen Tulpen hat Toffi einen echten Signature Move. Vor zehn Jahren, als er noch schneller war, machte er das fast in jedem Spiel: im Niemandsland zwischen Sechzehner und Seitenauslinie bei der rechten Eckfahne, der Weg zum Tor versperrt, lief er mit dem Ball am Fuß zurück, vom Tor weg, wo will er nur hin? Doch am Strafraumeck, wo er vom Tor fortstrebend, die Verteidiger hinter sich lassend, einen Meter Platz hatte - soll er ihn haben, der läuft ja in die falsche Richtung, mögen sich ganze Mannschaftsteile gedacht haben - zog er den Ball aus der Drehung auf das linke obere, das entfernte Toreck und schlenzte ihn in den Winkel. Er musste gar nicht hinsehen, er wusste ja, wo das Tor steht. Doch mit den Jahren fehlte die Schnelligkeit, und wer seinen Signature Move nicht jede Woche mehrmals im Spiel macht, den verlässt er, wie eine vernachlässigte Geliebte. Zurück bleibt Enttäuschung, das Gefühl, verlassen worden zu sein, der Jagdhund, der seine Beute noch wittert, aber sie nicht mehr zur Strecke bringt. Es ist, als wenn das Licht für immer trüber geworden ist. Aber heute abend flammte sie noch einmal auf, die alte Liebe. Und der Zug zum Tor brach hervor wie eine letzte verspätete Blüte am Ende eines goldenen Sommers. Da war er wieder Toffis Signature Move, der Ball, der sich ins lange Eck senkt. Und irgendwer ruft, noch bevor der Torwart sich vergeblich reckt und den Ball durch seine Finder gleiten lässt, im Brustton tiefster Überzeugung: "Der is' drin!" 2:0

Die Tulpen kontrollieren das Spiel, die Autoren ihren Puls. Auswechselspieler sind keine da, ebensowenig wie Torchancen. Es folgt noch ein Lattentreffer, der dritte. Erst hatten sie kein Glück und dann kam auch noch das Pech dazu. Aber da, aus dem Nichts des Halbfeldes, streichelt der clevere Eilenberger mit der Kugel unter dem Trikot die Kugel am Fuß über den weit vor seinem Tor verweilenden Sweeper Keeper perfekt und sehenswert aus 40 Metern ins Netz. 2:1.

Und nun beweisen die Autoren Moral, keine Kraft, keinen Plan, aber Willen. Die deutschen Tugenden aus dem letzten Jahrhundert. Und irgendwie beißen sie sich über links durch, drücken und schleifen den Ball vor das Tor. Ein platzierter Abschluss, doch dieser Teufelskerl Schwartzkopff kratzt den Ball mit einem großartigen Reflex von der Linie. Der Ball rollt quer zum Tor durch den ganzen Fünfmeterraum, nur wenig vor dem leeren Tor, ins Niemandsland. Ein Autor rennt nach rechts dem Ball hinterher und macht ihn noch einmal heiß, tritt ihn irgendwie vors Tor. Und diesmal machen sie es besser und hauen das Ding ins Netz. 2:2.

Schon wird vom Sieg geträumt. Jetzt müssen die Tulpen wieder etwas tun. Eine Ecke von Toffi von links mit Unterschnitt getreten. Die fliegt über Freund und Feind hinweg, quer durch den ganzen Strafraum, so wie sie niemals so ungehindert fliegen dürfte und findet am zweiten Pfosten den, der niemals so ungehindert zum Kopfball kommen dürfte: Finn Pelke. 3:2.

Wenn die Kraft am Ende, das Ergebnis aber noch ein Rückstand ist, kommt man in unserem Alter öfter mal zu spät und diskutiert dann lieber aus, was man eigentlich läuferisch lösen müsste. Abseits ist, wenn man nicht mehr hinterher kommt. Die Diskussionsbeiträge werden unflätiger, die Fouls häufiger und schließlich meldet sich einer der Schreibkünstler mit einem Redebeitrag zu Wort, der ahnen lässt, dass, wenn er so schreibt, wie er redet, er nur ein Philosoph geblieben wäre, wenn er geschwiegen hätte. Der arme Verleger, der das ausputzen muss. Ratlos schlägt Teyfik den Ball daher freiwillig weit zu den Autoren, sollen die eben noch einen letzten Spielzug versuchen. Ein langer Ball landet bei Ehrmann kurz vor dem Sechzehner, annehmen kann er ihn schon nicht mehr, aber er lenkt ihn noch aufs Tor. Nicht unhaltbar, nicht sonderlich platziert, nicht hart und auch nicht überlegen, aber eben drin. 3:3.

Ein moralischer Sieg! Ein verdientes Unentschieden, am Ende der Kräfte. Nun könnte man hier das Spiel beenden, aber Finn Pelke nimmt sich den Ball noch einmal in der gegnerischen Hälfte, spielt zwei Gegenspieler aus, läuft auf das Tor zu, da kommt ebenjener Ehrmann von hinten und opfert sich für seine Mannschaft, wie damals Ballack im WM-Halbfinale, und reißt Finn um und sichert ihnen so... Ja, was eigentlich? Warum begeht man in einem Fußballspiel, in dem es nicht einmal um eine Tabellenplatzierung in einer belanglosen Freizeitliga geht, ein absichtliches taktisches Foul? Eine moralische Niederlage! Ein verblüffender Offenbarungseid, am Ende eine Armseligkeit. Wofür nur?