Bundestagsrede von 25.03.2010
Kommunalwahlrecht für Ausländerinnen und Ausländer
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächster Redner ist der Kollege Memet Kilic für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe gerade mit Erstaunen zur Kenntnis genommen, dass die Unionsparteien eine Erweiterung des kommunalen Wahlrechts auf Drittstaatler für verfassungswidrig halten
(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Da haben Sie aber nicht zugehört!)
und unsere Kollegen von der FDP eine Erweiterung des kommunalen Wahlrechts auf Drittstaatler für nicht erforderlich halten, sich vielmehr dafür aussprechen, dass die Kommunen das über eine Öffnungsklausel gestalten können.
(René Röspel [SPD]: Aber nur, wenn es deutsche Patrioten waren! – Gisela Piltz [FDP]: Da haben Sie auch bei uns nicht zugehört!)
Das zeigt, dass die Koalitionsparteien noch einiges zu klären haben.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Bereits in der letzten Wahlperiode haben wir Grüne einen Gesetzentwurf zur Erweiterung des kommunalen Wahlrechts auf Angehörige von Drittstaaten in den Bundestag eingebracht.
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In jeder Wahlperiode!)
Unser Entwurf wurde bedauerlicherweise mit den Stimmen der Fraktionen CDU/CSU, FDP und SPD abgelehnt. Es ist erfreulich und macht Hoffnung, dass die SPD unsere Meinung in dieser wichtigen Frage nun doch teilt.
(Rüdiger Veit [SPD]: Das tun wir eigentlich schon immer!)
Ein großer Teil unserer Bevölkerung, nämlich über 4 Millionen Menschen in Deutschland, darf an Wahlen nicht teilnehmen. Der Ausschluss dieser Menschen aus Drittstaaten von der politischen Teilhabe ist weder mit dem Demokratieprinzip vereinbar noch mit einer erfolgreichen Integrationspolitik.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung zum kommunalen Wahlrecht für Ausländer im Jahr 1990 betont, dass es der demokratischen Idee entspricht, eine Übereinstimmung zwischen der Wohnbevölkerung und der Wahlbevölkerung herzustellen. Folgerichtig hat es die Politik aufgefordert, möglichst viele dauerhaft in Deutschland lebende Bürgerinnen und Bürger in das Wahlrecht einzubeziehen.
Solange Bürgerinnen und Bürger aus Drittstaaten das kommunale Wahlrecht nicht erhalten, wird ein erheblicher Teil unserer Gesellschaft von der wichtigsten politischen Teilhabe in einer Demokratie ausgeschlossen. In einigen Kommunen mit einem hohen Anteil an Immigrantinnen und Immigranten entstehen so demokratiefreie Zonen.
Die Ausübung des kommunalen Wahlrechts ist aber auch für die Integration der in Deutschland lebenden Immigrantinnen und Immigranten von großer Bedeutung. Eine erfolgreiche Integration lässt sich nur durch Teilhabe, also die Einräumung von Rechten, erreichen.
Ein wesentliches Recht in der Demokratie ist das Wahlrecht. Die Notwendigkeit der politischen Teilhabe von Immigrantinnen und Immigranten haben wir Deutsche und Europäer bereits 1992 erkannt und mit dem Vertrag von Maastricht das kommunale Wahlrecht für EU-Bürgerinnen und -Bürger eingeführt. Seitdem haben jede Unionsbürgerin und jeder Unionsbürger mit Wohnsitz in Deutschland das aktive und passive Wahlrecht bei kommunalen Wahlen. Die Erfahrungen damit sind äußerst positiv.
Dass das Demokratieprinzip und der Integrationsgedanke für Nicht-EU-Immigranten nicht gelten soll, ist sachlich nicht gerechtfertigt und verfassungsrechtlich höchst bedenklich; denn die Lebenssituation von Drittstaatsangehörigen unterscheidet sich nicht von der Lebenssituation von EU-Bürgern und Deutschen. Es geht um Menschen, die seit Jahren legal in Deutschland leben, hier arbeiten und Steuern zahlen. Ihre Kinder besuchen gemeinsam mit unseren Kindern die Schule oder den Kindergarten. Der einzige Unterschied ist, dass diese Bürgerinnen und Bürger die Angelegenheiten ihrer Kommune nicht mitbestimmen dürfen.Diese Einteilung in Ausländer erster und zweiter Klasse ist ungerecht und stellt eine institutionelle Diskriminierung dar.
(Beifall der Abg. Sevim Daðdelen [DIE LINKE])
In vielen anderen europäischen Ländern ist das kommunale Wahlrecht für Drittstaatsangehörige eine Selbstverständlichkeit. In Finnland, Schweden, Dänemark, Estland, Luxemburg, Irland, Belgien und den Niederlanden traut man den Drittstaatsangehörigen längst mehr zu, als zu arbeiten, Steuern zu zahlen oder Fußball zu spielen. Dort dürfen sie mitbestimmen, wenn es um das Schicksal ihrer Kommune geht.
Deshalb fordern wir, das Grundgesetz dahin gehend zu ergänzen, dass auch Nicht-EU-Bürgerinnen und -EU-Bürger, die ihren ständigen Wohnsitz in Deutschland haben, das Kommunalwahlrecht erhalten.
Ich bedanke mich.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)