Rede von Dr. Bettina Hoffmann Innovation bei Gesetzgebung und in den Behörden

12.04.2019

Dr. Bettina Hoffmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Welt braucht frische Ideen, neue Konzepte, bahnbrechende Innovationen, und das in allen Lebensbereichen. Wir stehen vor riesigen Herausforderungen: Klimakrise, Artensterben, Vermüllung der Meere mit Plastik. Und es ist völlig unstrittig: Um diese Herausforderungen zu bewältigen, brauchen wir innovative Ideen und auch Techniken.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was wir aber nicht brauchen, ist ein sogenanntes Innovationsprinzip. Wer die Geschichte dieses Begriffes und die dahinterstehende Haltung – Sie haben ja eben selber von einem Mentalitätswandel gesprochen – kennt, weiß: Das Innovationsprinzip ist nichts anderes als ein Trojanisches Pferd, das den Schutz von Umwelt, Gesundheit und Verbraucherrechten aushebeln soll.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Um das zu verstehen, muss man sich nur mal anschauen, wer den Begriff erfunden hat: Es war die Chemie-, die Kohle- und die Tabakindustrie. Deren Strategie lautet nämlich, Innovationen in einen künstlichen Widerspruch zum Vorsorgeprinzip zu stellen, dieses damit zu schwächen und irgendwann vielleicht zu ersetzen. Liebe FDP, Sie wollen damit Ihre Klientel bedienen, und das ist der falsche Weg.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Nicola Beer [FDP]: Was für eine Verschwörungstheorie!)

Das Vorsorgeprinzip ist das Fundament unserer Umwelt- und Gesundheitspolitik und schützt die Verbraucherinnen und Verbraucher. Diese Errungenschaft dürfen wir nicht leichtfertig aufs Spiel setzen, auch wenn die Verlockungen für manch eine oder manch einen vielleicht recht groß sind.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn wir einmal genau hinschauen, dann stellen wir nämlich fest, dass wir eigentlich mehr Vorsorge brauchen, weil jeder von uns 200 bis 300 Chemikalien im Körper hat, die da gar nicht hingehören;

(Martin Reichardt [AfD]: Warum werden wir eigentlich alle immer älter?)

mehr Vorsorge, weil Weichmacher in Plastik die Entwicklung von Kindern verzögern und Unfruchtbarkeit auslösen können; mehr Vorsorge, weil Pestizide und Hormongifte im Wasser zu Diabetes, Krebs und Fettleibigkeit beitragen können.

Eines ist mir noch ganz wichtig: Das Vorsorgeprinzip schränkt innovative Grundlagenforschung in keiner Weise ein. Das ist ein Gerücht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Wiebke Esdar [SPD])

Es setzt nämlich erst dann an, wenn Innovationen in Anwendung kommen, und es bildet einen verlässlichen Rahmen für Unternehmen. Wenn ihre Produkte die Zulassung durchlaufen haben, schützt es sie sogar teilweise vor Haftung.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Graf Lambsdorff?

Dr. Bettina Hoffmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Nein. – Es setzt hohe Ansprüche und treibt als Motor die Entwicklung voran. Das Gegenmodell davon sehen wir in Amerika. Da geht es nach dem Prinzip „Versuch und Irrtum“ – mit dem Ergebnis immenser Umwelt- und Gesundheitsschäden und Ersatzzahlungen. Wollen Sie das?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Letztlich ist das Vorsorgeprinzip eine entscheidende Voraussetzung für dauerhaft nachhaltige Entwicklung. Wir fordern: Sorgen Sie dafür, dass das Vorsorgeprinzip an sich und sein Verfassungsrang auf EU-Ebene und bei uns in allen Gesetzen nicht infrage gestellt, sondern verstärkt wird.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE])