12.04.2019

Dr. Manuela Rottmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich weiß schon ziemlich genau, was in den Reden kommt, die nach mir folgen werden, nämlich dass wir Ihnen tierisch auf die Nerven gehen damit, dass wir schon wieder dieses Thema auf die Tagesordnung setzen,

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

schon wieder kollektiver Rechtsschutz, schon wieder die Regulierung von Plattformen. Ich kenne das aus dem Ausschuss. Sie denken: Jetzt haben Sie die Musterfeststellungsklage, und jetzt geben Sie doch endlich mal Ruhe. – So funktioniert das aber nicht.

(Sebastian Steineke [CDU/CSU]: Doch!)

Die Fragen, wie wir den Menschen besseren Zugang zur Justiz verschaffen, wie wir sie vor Betrug und Irreführung schützen, sind fundamental für das Vertrauen unserer Bürgerinnen und Bürger in diesen Staat.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Amira Mohamed Ali [DIE LINKE])

Hinter all diesen Fällen stehen Schicksale, und dahinter stehen auch Wut und viel Frust: wenn zum Beispiel Implantate schwere gesundheitliche Schäden auslösen, wenn Menschen deshalb nicht mehr arbeiten können, der Gang vor Gericht aber allein viel zu viel Geld und zu viel Kraft kostet; wenn Arbeitnehmer merken, dass in ihrem Betrieb bei Überstunden hier und da nicht richtig abgerechnet wird, sich aber kein Anwalt wegen der paar Pfennig vor Gericht begeben will; wenn Haushalte mit knappem Einkommen den Empfehlungen von Internetplattformen für den günstigsten Stromanbieter folgen, darauf vertrauen, um Geld zu sparen, dann aber dastehen und ihr Geld in den Wind schreiben können, weil dieser Anbieter insolvent ist.

(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)

Vor einem Jahr hat die EU-Kommission im Rahmen des New Deal for Consumers Vorschläge für eine europäische Verbandsklage vorgestellt. Ein Jahr später gilt dieser Vorschlag als gescheitert, und die Bundesjustizministerin hat an diesem Scheitern ihren Anteil.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die wesentliche europapolitische Position zu fast allen Fragen in der Rechtspolitik ist die folgende, sie ist richtig knallig: Die Meinungsbildung dazu ist in der Bundesregierung noch nicht abgeschlossen. – Vorn stellt man sich tot, hinter den Kulissen wird bei jeder Initiative geschoben und gezerrt in der Koalition. Mit dieser Methode haben Sie nun auch die europäische Verbandsklage absaufen lassen. Dabei wäre sie gerade für uns hier in Deutschland eine Chance gewesen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir verlieren beim kollektiven Rechtsschutz tatsächlich immer mehr den Anschluss an andere Rechtsstandorte, an andere Mitgliedstaaten. Ich weiß, was jetzt kommt: Aber wir haben doch die Musterfeststellungsklage, für die wir sogar noch die wunderschöne Verpackung gebastelt haben: die Eine-für-alle-Klage. Diese Musterfeststellungsklage ist so großartig, dass sie unbedingt für ganz Europa zum Maßstab werden muss.

(Dr. Johannes Fechner [SPD]: Ganz genau!)

– Das ist, mit Verlaub, ein überheblicher Unsinn, Herr Fechner.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die deutsche Musterfeststellungsklage ist ein Qualkonstrukt. Aus jeder einzelnen Vorschrift der ZPO dazu tropft die Furcht, dass unkontrollierbare Bürgerinnen und Bürger und Verbände das geltende Recht auch noch durchsetzen. Aber wo kämen wir da hin?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Caren Lay [DIE LINKE])

Die Klagebefugnis ist immer enger definiert worden, gespickt mit Voraussetzungen für die Klagebefugnis eines Verbandes, die kein Verbraucher durchschauen kann. Den Geschädigten wurde tatsächlich die Entscheidung darüber genommen, wer sie vor Gericht vertreten soll. In Bereichen, wo es überhaupt keine hinreichend erfahrenen und finanzstarken Verbände gibt, wird es auch in Zukunft keine Musterfeststellungsklage geben, etwa bei Schäden durch fehlerhafte Medizinprodukte. Hier bleiben die Menschen allein. Der Rechtsstaat ist für die meisten nicht erreichbar.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch nicht richtig!)

Gleichzeitig hängt die Zukunft des wichtigsten kollektiven Klageinstruments, das sich in der Praxis bereits gut bewährt hat, völlig in der Luft. Das Kapitalanleger-Musterverfahren hat Biss und Effizienz bewiesen in Deutschland,

(Dr. Johannes Fechner [SPD]: Was?)

aber die Richterinnen und Richter an den OLGs wissen derzeit überhaupt nicht, ob sie ihre laufenden Verfahren noch werden abschließen können; denn das Gesetz tritt Ende 2020 außer Kraft.

(Dr. Johannes Fechner [SPD]: Was hat das mit der Musterfeststellungsklage zu tun?)

Aus dem Justizministerium höre ich dazu nur: Wir können noch nicht sagen, was wir mit diesem Gesetz machen, ob wir es beerdigen, ob wir es sterben lassen, ob wir die Prozesse zersprengen.

Die Bilanz nach einem Jahr Katarina Barley ist: Um den kollektiven Rechtsschutz steht es schlecht. In Brüssel haben Sie ihn blockiert, in Deutschland haben Sie ihm die Zähne gezogen.

(Dr. Johannes Fechner [SPD]: 412 000 Verbraucher machen mit! Super!)

– Bei einem einzigen Verfahren, und Sie haben in der Zeit mit 150 gerechnet.

Auch bei der Regulierung von Vergleichsportalen hätte man sich von einer engagierten Verbraucherschutzministerin mehr erwartet. Sie haben doch das Beispiel der Insolvenz der Bayerischen Energieversorgungsgesellschaft vor Augen. Auf den Vergleichsportalen wurde noch für diesen Anbieter geworben, während die Verbraucherschützer schon längst gewarnt haben. Wir sind dem EU-Parlament dankbar, dass es zumindest hier nachgebessert hat, aber ausreichend ist diese Regulierung immer noch nicht, und das hat einen Grund: Deutschland hat im Rat für eine echte Regulierung nicht einen Finger gerührt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich hätte mir in diesem einen Jahr mit Katarina Barley als Justizministerin eines gewünscht. Ich hätte sie gern ein einziges Mal kämpfen sehen, egal für welches Thema. Bei irgendeinem Thema hätte ich gern gespürt, dass es ihr wichtig ist; aber da habe ich zu viel erwartet.

(Dr. Johannes Fechner [SPD]: Jetzt aber hallo! Billiger Wahlkampf!)

Mein Schluss daraus ist: Keine noch so schöne Verpackung nützt etwas, wenn es an der Überzeugung fehlt. Also, Frau Ministerin – sie ist nicht da, wir haben sie im Ausschuss in dem ganzen Jahr auch nur zweimal gesehen –:

(Stephan Brandner [AfD]: Dafür haben wir Parlamentarische Staatssekretäre!)

Machen Sie es gut in Brüssel, oder machen Sie es zumindest besser als in Berlin.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Johannes Fechner [SPD]: Das war schwach!)