Rede von Omid Nouripour Aktuelle Stunde: Lockerung des Rüstungsexportstopps

05.04.2019

Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir Grüne haben 2016 als Erste das Thema Jemen-Krieg hier auf die Tagesordnung gesetzt. Es gibt ein paar Konstanten. Es gibt beispielsweise die beiden Kollegen von der Union, die in fast jeder Debatte zu diesem Thema und auch heute geredet haben. Ich muss zugeben: Es ist schon ein wenig befremdlich, in diesen Reden immer wieder zu hören, wie sehr Sie mit dem Begriff „Moral“ auf Kriegsfuß stehen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Als wir 2016 das erste Mal dieses Thema aufgesetzt haben, konnte ich mir nicht vorstellen, dass wir 2019 immer noch über diesen Krieg reden würden, und ich konnte mir nicht vorstellen, welches Leid in der Zwischenzeit über die Menschen im Jemen hereingebrochen sein würde. Eine Gruppe von Nichtregierungsorganisationen schätzt die Zahl der direkten Kriegstoten auf 80 000. Mindestens genauso viele Kinder sind mittlerweile verhungert. Da wir über selektive Wahrnehmung sprechen: Ich würde mir wünschen, Herr Pfeiffer, dass Sie ein Wort zur Lage im Jemen sagen würden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Die Menschen im Jemen leiden unter der Seeblockade, die die saudische Koalition errichtet hat. Sie leiden darunter, dass alle Kriegsparteien Hilfsgüter veruntreuen. Sie leiden darunter, dass Familien im ganzen Land mittlerweile kein Geld mehr haben, um Lebensmittel zu kaufen. Sie leiden unter Cholera. Sie leiden unter Landminen, unter willkürlicher Verhaftung. Sie leiden unter Folter, und sie leiden unter Bomben. Das alles ist nicht neu; das alles ist seit vier Jahren bekannt. Schuld daran sind in erster Linie die Kriegsparteien, und zwar alle: die Huthis und die Iraner auf der einen Seite, die Regierungen Jemens, Saudi-Arabiens, der VAE und die Alliierten auf der anderen Seite.

Bei dieser Tragödie stellt sich doch die Frage: Tun wir alles, was in unserer Macht steht, um dieses Leiden zu beenden? Ich habe diese Frage von diesem Platz aus ganz oft gestellt, und nach vier Jahren muss ich weiterhin feststellen: Nein, Deutschland tut das nicht. Stattdessen gibt es einen Eiertanz der Bundesregierung: Obwohl der Koalitionsvertrag vorsieht, keine Waffen mehr an die Staaten, die am Krieg im Jemen beteiligt sind, zu liefern, werden weiter Exporte allein an Saudi-Arabien in einem Umfang von Hunderten von Millionen Euro genehmigt. In den letzten zwölf Monaten sind alleine 128 Genehmigungen für Waffenexporte in Staaten dieser Koalition außer dem Jemen und den Vereinigten Arabischen Emiraten erteilt worden.

(Tobias Pflüger [DIE LINKE]: Skandal!)

Nachdem man sich ganz viel gewunden hat, gibt es dann einen Exportstopp mit Schlupflöchern, die so groß sind, dass Patrouillenboote durchschwimmen können.

(Lachen bei der LINKEN)

Dann gibt es einen zweiten Exportstopp, aber nur für Saudi-Arabien und beispielsweise nicht für die Vereinigten Arabischen Emirate. Und jetzt geht es weiter, indem man sagt: Dann machen wir es über Frankreich und Großbritannien. – Der Exportstopp gilt im Übrigen nicht für Ersatzteile für genau die Flugzeuge, die ihre Bomben über dem Jemen abwerfen. Das ist schlicht beschämend.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Dann twittert Karl Lauterbach für die SPD: „Wir haben uns durchgesetzt.“ Und drei Tage später tauchen schon wieder neue Schlupflöcher auf.

(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das ist „mit Nebelkerzen werfen“!)

Das ist schlicht kaum zu fassen – und das in Zeiten, in denen das Europäische Parlament so oft gefordert und beschlossen hat, dass keine Waffen mehr geliefert werden. Gestern haben beide Kammern des US-Kongresses ein Ende der Unterstützung beschlossen. Und dann kommt die Bundesregierung und sagt: Wir nehmen doch sonst keinen Einfluss mehr auf Saudi-Arabien. – Ich bete für Ihr Seelenheil, dass Ihr Einfluss nichts damit zu tun hat, dass 80 000 Menschen im Jemen getötet worden sind,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

dass die lebensnotwendige Infrastruktur mittlerweile in Schutt und Asche liegt, dass Hochzeitsgesellschaften, Flüchtlingslager, Großbäckereien, Schulen und Fußballstadien dort weggebombt worden sind. Und dann wird auch noch behauptet, dass die Saudis überlegen, den Krieg zu beenden, da wir jetzt so zaudern. Das behaupten Sie seit vier Jahren. Es ist schlicht nichts passiert. Deshalb: Wenn Sie schon nicht das Richtige tun, dann hören Sie bitte wenigstens mit Ihren unerträglichen Ausreden auf,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

die bei den armen Menschen im Jemen permanent Hoffnung schüren! Bitte hören Sie wenigstens damit auf!

Es geht aber nicht nur um die Frage der Rüstungsexporte. Frau De Ridder hat recht: Es gibt so vieles, was die Politik tun könnte. Ich habe gerade eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung gestellt: Was tut sie denn eigentlich jetzt, wo Deutschland Mitglied des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen ist? Welche Initiativen gibt es? Es gibt laut ihrer Antwort keine einzige konkrete Initiative, die die Bundesregierung ergreift. Deshalb stellt sich die Frage, warum diese Bankrotterklärung mit einer überbordenden Rhetorik eigentlich permanent überspielt werden soll.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Das werden wir uns nicht weiter anschauen, und das wollen wir auch den Menschen im Jemen nicht weiter zumuten.

Der Jemen wird lange brauchen, um wieder auf die Beine zu kommen, sollte dieser Krieg demnächst aufhören. Das wird er wahrscheinlich nicht. Es ist eine Kriegswirtschaft mit vielen Partikularinteressen geschaffen worden. Der alte Konflikt zwischen Nord und Süd ist so manifest wie lange nicht mehr. Im Süden wird über Unabhängigkeit diskutiert, extremistische Gruppen haben sich wieder festgesetzt. Im Übrigen sehen wir beim Thema „Post-Shipment-Kontrollen und Endverbleib“ ja, dass mittlerweile G36-Gewehre bei al-Qaida im Jemen sind. All das ist ein weiterer Beitrag zur Instabilität in der Region. Da geht es nicht alleine um Moral – Moral ist im Übrigen wahnsinnig wichtig –; da geht es auch um Sicherheit und Stabilität. Aber das alles spielt keine Rolle, weil aus rein geografischen Gründen keine Flüchtlinge kommen. Das ist schlicht beschämend.

Wir brauchen ganz dringend eine andere Jemen-Politik, die mit den Rüstungsexporten an alle Kriegsparteien, die dort beteiligt sind, endlich sofort aufhört.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)