Rede von Markus Kurth Altersarmut

21.03.2019

Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir müssen uns bei Debatten wie diesen, wo es ja um Armutsrentnerinnen und ‑rentner geht, schon in die Lage derjenigen versetzen, mit denen wir es hier zu tun haben. Pascal Kober, wenn dann von Wohneigentum als der richtigen privaten Vorsorgeform die Rede ist, sollte man doch einmal überlegen, ausgehend von welchem Einkommen denn die Rentenansprüche, über die wir hier sprechen, erzielt werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Für die meisten ist doch gar nicht an Wohneigentum zu denken!

Man muss auch sehr sorgfältig und ernsthaft überlegen, welche Erwartungen man weckt. Denn wenn man Armutsrentnerin oder -rentner mit 750 oder 800 Euro Rente im Monat ist – die Hälfte geht für die Miete drauf –, dann ist das Versprechen, dass plötzlich vielleicht 100 Euro mehr im Monat da sein werden, schon etwas ganz Großes für diese Menschen. Es handelt sich ja um Personen, die auch nicht mehr die Gelegenheit haben, durch eine Veränderung im Erwerbsleben mehr Einkommen zu erzielen. Da werden unglaubliche Hoffnungen geweckt, und die darf man nicht enttäuschen. Das verlangt uns eine besondere Ernsthaftigkeit in den Überlegungen dazu ab. Dazu gehört im Übrigen auch, liebe Sozialdemokraten, dass man die Finanzierung seiner Vorschläge als Regierungspartei darlegt und im Bundeshaushalt berücksichtigt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Katja Mast [SPD]: Wenn wir es beschlossen haben, immer!)

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich:

Herr Kollege, der Kollege Kober würde gern eine Zwischenfrage stellen.

Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ja, bitte schön.

Pascal Kober (FDP):

Lieber Herr Präsident! Lieber Markus Kurth, vielen Dank, dass die Zwischenfrage möglich ist. – Vielleicht erinnern Sie sich an den Anfang meiner Rede, wo ich gesagt habe, was der Vorschlag der FDP zur Bekämpfung der Altersarmut ist, nämlich die Basisrente, die genau diese 100 Euro beispielweise ermöglichen würde, die Sie selbst völlig zu Recht nicht als vernachlässigbar, sondern als großen Schritt für viele Menschen in diesem Land bezeichnet haben.

Ich möchte aber Ihre Logik hinterfragen, dass Sie meinen Vorschlag zum mietfreien Wohnen im Alter kritisierten und sagten, dass dies infrage gestellt werden müsste, mit der Begründung: Weil es nicht allen möglich ist, soll es am besten keiner erreichen.

(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nein!)

Sollten wir nicht eher sagen: „Gerade denen, die es derzeit nicht schaffen, ermöglichen wir es“? Damit hätten wir in Zukunft mehr Menschen, die im Alter mietfrei wohnen können. Dann wäre doch zumindest diesen Menschen deutlich geholfen.

Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Worauf ich mit meiner Eingangsbemerkung, wir müssten uns in die Situation derer versetzen, die altersarm sind, hinweisen wollte, war nur, dass Empfehlungen – sicherlich gut gemeinte Empfehlungen – zur geeigneten Vorsorgeform auch zur Erwerbsbiografie passen müssen. Personen, die trotz jahrzehntelanger Versicherungs- und Beitragszeiten niedrige Renten erzielen, verfügten in aller Regel – ich würde fast sagen: in keinem Fall – nicht über das Erwerbseinkommen, das es ihnen ermöglicht hätte, Wohneigentum zu erwerben. Das wäre selbst mit dem komischen Baukindergeld – das sich ausgedacht wurde –, nicht möglich gewesen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])

Diese Personen, die gar nicht die Chance darauf hatten, die vielmehr auf bezahlbaren Wohnraum, auf neue Gemeinnützigkeit bei den Wohnungsgesellschaften und vieles andere angewiesen sind, müssen sich doch leicht verhohnepipelt vorkommen, wenn ihnen als Empfehlung von dieser Stelle aus angedient wird: Mietfreies Wohnen ist der beste Schutz vor Armut im Alter. – Das wollte ich zum Ausdruck bringen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Zum Modell der FDP komme ich nachher noch.

Wie gesagt: Ernsthaftigkeit und Wirksamkeit der vorgeschlagenen Maßnahmen tun in der Debatte aus Respekt vor denen, über die wir reden, not. Dazu, liebe Koalitionäre – auch das kann ich Ihnen nicht ersparen –, gehört es, in der Debatte vielleicht auf bestimmte beliebte Stilmittel zu verzichten, zum Beispiel auf dieses Prinzip der kalkulierten gegenseitigen Provokation. Dieses manchmal für das Publikum etwas unappetitliche Mittel kann man ja anwenden, aber vielleicht nicht gerade bei einem Thema, mit dem Menschen sehr große Hoffnungen in Bezug auf ihr persönliches Leben verbinden. Kerstin Tack, Sprüche wie: „Am Ende haben wir recht“, helfen an dieser Stelle keinem.

(Kerstin Tack [SPD]: Doch!)

So viel zum Grundsatz.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Jens Beeck [FDP] – Dr. Martin Rosemann [SPD]: Sind Sie spaßbefreit? Ein bisschen Humor!)

Jetzt zur Wirksamkeit der Instrumente. Der entscheidende Punkt muss doch sein, dass die Personen, die jahrzehntelang Versicherungsansprüche aufgebaut haben, aus der Grundsicherung herauskommen. Das Versicherungssystem, also die Rentenversicherung, muss gestärkt und ertüchtigt werden und muss Defizite aus dem Erwerbsleben ausgleichen. Das ist der entscheidende Punkt.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das schafft so richtig keines der hier vorliegenden Modelle. Im Übrigen schafft das – ich habe mich da noch einmal eingelesen – auch die Grundrente der SPD, deren Mechanismen wir durchaus gutheißen,

(Kerstin Tack [SPD]: Aha!)

nicht. Nein! Es gibt eine Studie vom 20. Februar dieses Jahres vom ifo-Institut, wonach in den allermeisten Fällen der Höherwertungsmechanismus, den Sie einführen wollen – ich erspare Ihnen jetzt die Zahlen im Detail –, nicht dazu führt, dass man aus der Grundsicherung rauskommt. Darum schlagen Sie auch ein Mischmodell mit einem Freibetrag in der Grundsicherung vor.

Der Freibetrag in der Grundsicherung scheint ja hier für viele das Allheilmittel zu sein. Die FDP will ihn, die AfD möchte ihn. Auch die CSU hat es jetzt vorgeschlagen. Meine Damen und Herren, ein Freibetrag in der Grundsicherung bedeutet: Man bleibt in der Grundsicherung – mit all den ganzen Regeln und Kautelen, mit der Bedürftigkeitsprüfung. Das ist keine Lösung innerhalb des Versicherungssystems. Genau das schlagen wir aber vor: eine Lösung innerhalb des Versicherungssystems. Wir nennen das Garantierente.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das sind aber auch nur 855 Euro netto! 57 Euro über der Grundsicherung!)

Einfach und klar: Wer 30 Versicherungsjahre hat, wozu im Übrigen dann auch Pflege- und Erziehungszeiten, auch Zeiten der Arbeitslosigkeit zählen, bekommt 30 Rentenpunkte. Ab dem 1. Juli 2019 würden das fast 1 000 Euro sein. Das ist eine klare, nachvollziehbare und vor allen Dingen im Versicherungssystem angesiedelte Lösung. Das sollte die Blaupause für Armutsbekämpfungsschritte sein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Rechtsansprüche statt Almosen oder Wohltaten oder Fürsorgeleistungen!

Diese Art von Rationalität, die sich aus dem Versicherungssystem ergibt, erspart es uns auch, wolkig solch lyrische Begriffe wie „Belohnung von Lebensleistung“ zu verwenden. Ich finde, ein Sozialstaat sollte nach klaren Regeln und Prinzipien funktionieren; gewährte Leistungen werden nicht wieder weggenommen. Der Begriff „Belohnung“ impliziert, dass man diese Belohnung auch wieder wegnehmen kann.

Ich finde auch: Wir als Gesetzgeber oder der Staat können es sich überhaupt nicht herausnehmen, die Lebensleistung oder irgendwelche Leistungen von Menschen zu bewerten. Wer wollte das schon? Die Menschen sollen sich nach einer Versicherungszeit, nach jahrzehntelanger Zugehörigkeit zu einem Versicherungssystem, auf daraus erwachsene Ansprüche verlassen können,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

nicht auf paternalistische Geschenke, nach dem Motto: Die bekommst du, weil du es in deinem Leben gut gemacht hast.

Selbst wenn man das so betrachten wollte, dann wären doch die Beträge, die hier in Rede stehen, ein bisschen wenig für eine Lebensleistung. Auch deswegen sollte man mit dem Begriff sehr vorsichtig sein und versuchen, etwas mehr Rationalität, Struktur und System in eine Sozialstaatsdebatte zu bringen, insbesondere mit Blick auf die Menschen, die Ansprüche auf Würde und darauf haben, dass ihre jahrzehntelange Zugehörigkeit als Beitragszahlerin und Beitragszahler einen entsprechenden Niederschlag findet.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)