06.06.2019

Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Tatsache ist: Sowohl die Kosten von nunmehr sage und schreibe 1,4 Milliarden Euro als auch der Testlauf mit den Klardaten der gesamten Bevölkerung haben diesen Zensuslauf bereits jetzt zu einem veritablen Desaster des BMI gemacht, und das nicht, weil ein registergestütztes Zensusverfahren nun leider einmal so teuer ist und es sich nicht vermeiden ließe, auch im Testlauf den vollen Klardatensatz zu verwenden. Denn andere Mitgliedstaaten der Europäischen Union verfügen bereits über rein registergestützte Zensusverfahren für wenige Millionen Euro Kosten.

Es ist richtig: Deutschland ist aufgrund einer EU-Verordnung verpflichtet, im Jahr 2021 erneut einen Zensus durchzuführen. Und natürlich müssen die Statistikbehörden der Länder, die Meldebehörden der Länder und das Statistische Bundesamt hierfür zusammenfinden. Auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat einige Änderungen und Anpassungen gegenüber dem letzten Zensusverfahren erzwungen. Aber diese immensen Kosten bei einem Vorlauf von zehn Jahren belegen auch ein Versagen in der politischen Steuerung. Es ist für die Bürgerinnen und Bürger schlicht nicht mehr zu verstehen, warum der Zensus immer umfänglichere Datenverarbeitungen nach sich zieht und warum der Zensus immer teurer wird und wer dafür eigentlich die Verantwortung trägt.

Regelmäßige Volkszählungen erfüllen dem Grundsatz nach eine wichtige Funktion bei der Unterstützung faktenorientierter Politik und Planung. Aber der EU-Rechtsrahmen lässt zahlreiche Spielräume bei der konkreten Ausgestaltung der Volkszählung, die im Sinne von Digitalisierung, Effizienz und Datenschutz genutzt werden muss, um die Belastungen für alle Betroffenen und auch die Steuerzahler so gering wie möglich zu halten. Und diese Spielräume haben Sie leider nicht genutzt. Mehr noch: Leider hat der vorliegende Gesetzentwurf in einigen Punkten Mängel, die wir nicht mittragen können und weshalb wir hierzu einen Entschließungsantrag eingebracht haben. So haben Sie den Bedenken des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, BfDI, nicht entsprochen und das Erhebungsmerkmal der Religionszugehörigkeit nicht gestrichen. Zudem ist die in dem Gesetzentwurf weiterhin vorgesehene pauschale Speicherfrist von vier bzw. zwei Jahren bezüglich der Pilotdatenlieferung nicht nachzuvollziehen. Wie für Datenschutzregelungen üblich, müssen die jeweiligen Elemente sukzessive unmittelbar nach Abschluss ihrer Überprüfung (vergleiche 17./18. Tätigkeitsbericht der BfDI, Seite 71) gelöscht werden.

Zuletzt fehlt in dem Gesetzentwurf eine Klarstellung, dass eine nach EU-Datenschutz-Grundverordnung – Artikel 35 Absatz 10 DSGVO – notwendige Datenschutzfolgeabschätzung noch vor Beginn des Zensus 2021 abgeschlossen und auch die Festlegung der im Einzelnen zwischen Bund und Ländern notwendigen Einigung über Verantwortlichkeiten der Elemente des Datenschutz- und Sicherheitskonzeptes geklärt sein muss. Das dahinterstehende Problem ist offensichtlich: Seit Jahren behandelt das Innenministerium das bürgerrechtlich hoch relevante Thema Statistikwesen absolut stiefmütterlich. Ihr Desinteresse und Ihre massive Überforderung im Verständnis der zugrundeliegenden technischen Fragen sind mit Händen greifbar. Aber es kann und darf nicht sein, dass die Volkszählung weiterhin solche gravierenden Defizite aufweist und dass am Ende die Bürgerinnen und Bürger den Preis zahlen, sowohl wortwörtlich mit den von ihnen entrichteten Steuern als auch bürgerrechtlich mit Abstrichen bei den ihn zustehenden Grundrechten.

Und deshalb muss der nächste Zensus zwingend, wie in anderen EU-Mitgliedstaaten bereits jetzt möglich, als ein vollständig registergestützter Abgleich durchgeführt werden, um die Potenziale der Digitalisierung zu nutzen, um eine erneute Probevolkszählung mit Klardaten zu vermeiden und damit die Risiken und die Belastungen für die Betroffenen zu vermeiden und zuletzt um die immensen Kosten deutlich zu senken. Das ist ein Kraftakt – keine Frage – und setzt erhebliche Anstrengungen aller beteiligten Stellen im Hinblick auf die verbesserte Nutzbarkeit und die Datenqualität der heranzuziehenden Register voraus. Aber dieser Kraftakt ist eben notwendig in einem Rechtsstaat – zur Wahrung der Bürgerrechte und auch, um die Belastungen für die Steuerzahler so gering wie möglich zu halten.