Rede von Claudia Müller Ost-Quote in Bundesbehörden

15.03.2019

Claudia Müller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Dass zu wenige Menschen aus den neuen Bundesländern in Führungspositionen in Verwaltung, Wirtschaft und Forschung sind, ist in den vergangenen Wochen mehrfach thematisiert und in Studien belegt worden. Deswegen ist es gut, dass wir hier heute darüber sprechen; denn es ist tatsächlich bitter nötig.

Nicht nur in der Zeit unmittelbar nach der Wiedervereinigung, sondern auch in den Folgejahren sind die meisten Führungspositionen mit Expertinnen sowie Fachleuten aus den alten Bundesländern besetzt worden, und zwar nicht nur in den Bundesbehörden, sondern eben auch – das ist mehrfach angesprochen worden – in den neuen Bundesländern selbst.

Das hatte damals zum Teil gute Gründe. Bei der Übernahme des ordnungspolitischen Systems der alten Bundesrepublik im Rahmen der Wiedervereinigung – das passierte ja praktisch von heute auf morgen – brauchte man die damit vertrauten Expertinnen, damit das Rechts- und Verwaltungssystem auch wirklich über Nacht zur Anwendung kommen konnte. Das heißt, man brauchte die damit vertrauten Beamtinnen, Juristinnen sowie Angestellten. Aber, meine Damen und Herren, das ist jetzt 30 Jahre her.

Auch heute ist die Situation für gebürtige Ostdeutsche vergleichbar. Dazu zähle ich auch die sogenannte dritte Generation Ostdeutscher, wozu zum Beispiel Herr Hirte und ich zählen, die ab Mitte der 70er- bis Mitte der 80er-Jahre geboren wurden, aber eben auch die nach der Wiedervereinigung Geborenen.

Diese Definition entspricht übrigens nicht der Auffassung mancher Teile der Linkspartei. Ich kann Ihnen das leider nicht ersparen: Ihre Kolleginnen haben sich einen echten Fauxpas erlaubt, indem sie hier eine Stichtagsregelung definieren. Herr Hirte ist kurz darauf eingegangen, dass Sie sich hier auf eine Studie der Uni Leipzig beziehen würden. Die Uni Leipzig hat diese Definition so tatsächlich nicht aufgestellt und sagt das auch.

(Matthias Höhn [DIE LINKE]: Das ist auch nicht unsere Definition!)

– Das ist nicht Ihre Definition, aber leider die Definition Ihrer Kollegin Oldenburg aus Mecklenburg-Vorpommern, die selbst auf Nachfrage diese noch einmal bejahte und sagte: Ja, ostdeutsch ist für sie nur, wer tatsächlich das gesamte Schulsystem der DDR durchlaufen hat. – Es tut mir leid, dass ich Ihnen das nicht ersparen kann. Da ist Ihnen an dieser Stelle eindeutig ein Fehler unterlaufen.

Ich finde diese Definition übrigens aus mehreren Gründen sehr falsch. Einer davon ist, dass sie im Prinzip einen Grund dafür liefert, warum wir über diese Frage überhaupt nicht mehr reden müssten: Wenn ich diese Definition anlege, dann heißt das, dass sich die Frage der Unterrepräsentanz von Menschen aus den neuen Bundesländern irgendwann demografisch von selbst erledigt, weil es dann offiziell keine Ostdeutschen mehr gibt. Das kann doch nicht in Ihrem Interesse sein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

17 Prozent der deutschen Bevölkerung lebt in den neuen Bundesländern. Nur 1,6 Prozent der Spitzenpositionen in der Wirtschaft sind mit Ostdeutschen besetzt. In Verwaltung und Justiz sind es ungefähr 5 Prozent, in den neuen Ländern nur knapp 33 Prozent. Zwei Drittel der Führungspositionen sind mit Menschen mit, ja, man kann sagen, westdeutschem Migrationshintergrund besetzt. Und das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist 30 Jahre nach dem Mauerfall eine wirklich verheerende Botschaft. Deswegen ist es so wichtig, hier darüber zu reden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Ob aber das in Ihrem Antrag geforderte Instrument einer Ostquote wirklich das geeignete Mittel ist, daran habe ich meinen Zweifel, zumal Ihr Antrag etwas in der Überschrift suggeriert, was dann nicht kommt; denn Sie sprechen danach über die Bundesbehörden. Sie beziehen sich auf den entsprechenden Artikel im Grundgesetz, der hier auch schon mehrfach zitiert wurde.

Es ist tatsächlich schwierig, „ostdeutsch“ abzugrenzen. Ich muss ganz klar sagen: Ich gestehe jedem Menschen dort das Selbstdefinitionsrecht zu. Wenn sich ein Mensch als ostdeutsch definiert, dann werde ich ihm nicht widersprechen. Auch dann, wenn jemand, wie Frau Dr. Merkel, in den alten Bundesländern geboren ist, aber die überwiegende Zeit seines Lebens im Osten verbracht hat oder wenn eine Person erst nach der Wende dorthin gezogen ist oder wenn beide Elternteile aus den alten Bundesländern kommen, das Kind aber im Osten geboren ist, ist dieser Mensch für mich ostdeutsch, wenn er sich selbst so definiert. Das müssen wir auch anerkennen. Sie sprechen Menschen ansonsten einen Teil ihrer Identität ab.

Die Frage also, wen man als ostdeutsch definiert, ist formal extrem ausufernd und schwierig zu beantworten. Eine solche Definition ist deswegen an dieser Stelle nicht griffig. Die Frage nach der regionalen Ausgewogenheit ist tatsächlich handhabbarer und auch im Grundgesetz genannt.

(Matthias Höhn [DIE LINKE]: Das ist ja auch unsere Forderung!)

Dieser Grundsatz kommt – auch das ist angesprochen worden – bereits aus der Weimarer Verfassung. Er ist damals übrigens eingeführt worden, um die Dominanz einer Region zu verhindern. Dabei ging es um Preußen. Es geht aber heute darum, dass bei allen Entscheidungen das Wissen um die Verschiedenheit der Regionen und die Erfahrungen aus den Regionen einfließen können und dass die Bedarfe aller Regionen wirklich bei allen Entscheidungen in den Blick genommen werden. Nur das kann zu einer wahren Akzeptanz und zu Vertrauen in Politik und Verwaltung in allen Teilen Deutschlands führen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch über die Ansiedlung von Institutionen ist hier schon mehrfach etwas gesagt worden. Ich finde, hier kann man wirklich gut nach Bayern gucken. Bayern hat es sehr vorbildlich gemacht und hat Institutionen auch in der Fläche angesiedelt, nämlich außerhalb von Großstädten. Was wir momentan bei der Ansiedlung von Institutionen und Verwaltungen nach Ostdeutschland sehen, ist – es ist mehrfach genannt worden –, dass nur Leipzig in diesem Zusammenhang genannt wird. Aber der Osten ist doch noch viel mehr als Leipzig. Wir sollten stärker darauf achten, auch in die strukturschwächeren Regionen, in andere Bundesländer zu gehen. Das ist eben nicht mit einer einfachen, starren Quote zu machen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich will, weil mir nicht mehr viel Redezeit bleibt, noch zwei Worte zu dem vorliegenden Antrag der AfD sagen. Sie fordern – ich zitiere –, „bestehende Bundesbehörden in die neuen Länder … zu verlagern“. Also, im Prinzip fordern Sie eine Umsiedlung aller Institutionen. Ganz ehrlich: Das ist in jeder Hinsicht kompletter Unsinn; denn damit sorgen Sie

(Dr. Anton Friesen [AfD]: Föderalismuskommission!)

– Sie fordern das für bestehende Bundesbehörden – für zusätzliche Zwietracht zwischen den Regionen. Sie tragen damit beim besten Willen nicht zur Einheit Deutschlands bei. Das ist ein einseitiger, unausgegorener Schnellschuss ohne Sinn und Verstand,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

und das bei einem Thema, das Fingerspitzengefühl und ehrliches Interesse an den Menschen vor Ort einfordert.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)