Rede von Filiz Polat Aktuelle Stunde: "Taschengelderhöhung für Asylbewerber"

14.03.2019

Filiz Polat (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Asylbewerberleistungsgesetz macht Geflüchtete in diesem Land zu Menschen dritter Klasse.

Anders als der Titel der Aktuellen Stunde – Frau Jelpke hat es gesagt – vermuten lässt, geht es mitnichten um ein Taschengeld. Es geht um ein Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

und zwar abgeleitet – ich erwähne es noch einmal als Nachhilfe für Sie, Herr Gauland –

(Dr. Alexander Gauland [AfD]: Ich brauche Ihre Nachhilfe nicht!)

aus unserer Verfassung: Artikel 1, Menschenwürde, und Artikel 20, Sozialstaatsprinzip.

(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Gucken Sie einmal hinein! Das Grundgesetz liegt in Ihrer Schublade!)

Die Bundesregierung ist somit gesetzlich verpflichtet, die Asylbewerberleistungen regelmäßig anzupassen. Sie könnte es im Übrigen auch jetzt schon ohne eine Gesetzesänderung tun.

Vor diesem Hintergrund ist die von Unionskollegen öffentlich losgetretene Debatte zynisch, meine Damen und Herren. Herr Weiß, bei uns entsteht der Eindruck, dass der Appell, den Sie gerade losgelassen haben, unsere Verfassung zu achten, an die Adresse Ihrer eigenen Fraktion gerichtet war.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Lachen bei der AfD – Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Nein, an die Grünen, im Bundesrat nicht zu blockieren!)

Denn gemessen am Bundesverfassungsgerichtsurteil – hören Sie gut zu – zum ALG II von 2010 zeigt sich doch, dass den noch viel niedrigeren Beträgen des Asylbewerberleistungsgesetzes eine Bemessungsgrundlage, die ja beim ALG II bezüglich ihrer Auslegung kritisiert wird, gänzlich fehlt. Sie fehlt gänzlich. Es gibt keine.

Das Asylbewerberleistungsgesetz ist auch in vielen weiteren Punkten verfassungsrechtlich sehr bedenklich. Das verschweigen Sie. Dies betrifft beispielsweise das Sachleistungsprinzip, die Bezugsdauer, die betroffenen Personengruppen sowie die Krankenbehandlung. Schauen Sie einmal in Ihre Gesetzesbegründung von 1993. Die haben Sie wohl vergessen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die Einschränkung der Krankenbehandlung auf eine Art Notfallversorgung und die damit verbundene restriktive Praxis führen oftmals zur Verschleppung von Krankheiten und deren Chronifizierung. Da brauchen Sie gar nicht zu grinsen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Selbst bei Kindern, insbesondere bei Eingliederungshilfen für Kinder mit Behinderung, sind die Leistungen erheblich reduziert. Das vergessen Sie.

Ich will auch noch einmal Folgendes festhalten, weil Sie immer von ausreisepflichtigen Personen sprechen: Wir sprechen hier von den Geduldeten, für die Sie jetzt eine zusätzliche gesetzliche Grundlage schaffen, damit sie in Arbeit bleiben können. Wir sprechen nämlich von denjenigen, die schon seit vier, sechs, acht Jahren hier sind, weil sie aufgrund des Systemversagens beim BAMF lange im Asylverfahrenssystem hingen und jetzt faktisch Inländer geworden sind. Sie haben 2016 die Unternehmen aufgerufen, diese Menschen in die Unternehmen zu integrieren. Das haben die Unternehmen gemacht. Diese Menschen mit einer Duldung sitzen jetzt in Baden-Württemberg an den Werkbänken. Sie wollen diese Menschen eigentlich abschieben. Auf der anderen Seite diskutieren wir über eine Beschäftigungsduldung, damit Menschen hierbleiben können. Das Ganze ist also ein wenig schizophren in dieser Debatte, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Kinder werden nachhaltig geschädigt, weil therapeutische Hilfen für chronisch kranke, besonders förderungsbedürftige und Kinder mit Behinderung verschleppt und verweigert werden. Kinder werden in unzulässiger Weise zu Objekten migrationspolitischer Steuerungs- und Sanktionsmaßnahmen, die eigentlich, vielleicht, in ihrer Begründung auf das Verhalten ihrer Eltern abzielen. Sie konstruieren damit aber eine Sippenhaft.

(Hermann Gröhe [CDU/CSU]: Überlegen Sie einmal, was Sie für Begriffe gebrauchen! Ist ja nur peinlich, die Dame! – Gegenruf der Abg. Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Sie sind peinlich!)

Um das auch noch einmal zu betonen: Bei den Geduldeten sind fast 60 Prozent Kinder und Jugendliche. Dennoch will das Bundesministerium für Arbeit und Soziales am alten System grundsätzlich festhalten – obwohl schon der Name des Gesetzes eine Mogelpackung bleibt, wie Pro Asyl zu Recht feststellt. Es geht nämlich nicht, Konstantin Kuhle, nur um Asylbewerberinnen, Asylsuchende, die im Verfahren sind, und es geht auch nicht nur um Geduldete, die ausreisepflichtig sind. Nein – und das wissen viele nicht –, es geht auch um die Menschen, die bereits einen Aufenthaltstitel haben, nämlich aus humanitären Gründen. Die haben Sie nämlich mit erfasst im Asylbewerberleistungsgesetz, und das ist aus unserer Sicht absolut abzulehnen, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Konstantin Kuhle [FDP]: Die sollen arbeiten!)

– Die sollen arbeiten? Dann sagen Sie mal Ihren Kollegen, auch in NRW, dass sie keine Arbeitsverbote erteilen sollen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Konstantin Kuhle [FDP]: Gerne!)

Es wird leider nicht statistisch erfasst, wie viele Menschen ein Arbeitsverbot in Deutschland haben, obwohl sie arbeiten wollen.

(Konstantin Kuhle [FDP]: Zeigen Sie mir den FDPler, der für ein Arbeitsverbot ist!)

Sie lassen die Menschen im Transfersystem versauern. Die Leute wollen arbeiten, meine Damen und Herren.

(Konstantin Kuhle [FDP]: Zeigen Sie mir den Liberalen, der für ein Arbeitsverbot von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern ist!)

– Melden Sie sich zu einer Frage, Herr Kuhle!

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Das geht in der Aktuellen Stunde nicht!)

Herrn Minister Heil und den Kollegen der SPD möchte ich deshalb ein Zitat Ihres niedersächsischen SPD-Kollegen, Innenminister Pistorius – er hat im Übrigen heute Geburtstag –, nicht vorenthalten. Er hat im Landtag gesagt:

Wir brauchen den Wegfall des Asylbewerberleistungsgesetzes.

Meine Damen und Herren, recht hat er, und die SPD im Bund sollte sich an dieser Forderung ein Beispiel nehmen!

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Aber das BMAS will nicht nur an einem diskriminierenden Sondergesetz festhalten, sondern – wir haben es gehört – Sie schieben die nächste Neuberechnung auf 2020. Für die Betroffenen bedeutet dies einen nicht hinnehmbaren Einschnitt in ihre verfassungsrechtlich garantierte Würde. Die Betroffenen müssen vor Gericht ihre Leistungsanpassung mühselig einklagen.

Meine Damen und Herren, ein breites Bündnis aus Wohlfahrtsverbänden, Pro Asyl und vielen weiteren zivilgesellschaftlichen Akteuren spricht sich deshalb nachdrücklich für eine vollständige Aufhebung des Asylbewerberleistungsgesetzes aus. Diese Forderung teilt Bündnis 90/Die Grünen. Meine Damen und Herren, eine Menschenwürde mit Rabatt widerspricht dem Sozialstaatsprinzip und lässt sich mit dem Grundgesetz nicht vereinbaren.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)