Rede von Maria Klein-Schmeink Terminservice und gesundheitliche Versorgung

14.03.2019

Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen hier im Hause! Was sind eigentlich die wirklichen Aufgaben, die sich in unserem Gesundheitswesen derzeit stellen? Wir haben eine zunehmende Zahl älterer Patientinnen und Patienten mit chronischen Erkrankungen und sehr komplexem Unterstützungsbedarf. Wir haben eine faktische Unterversorgung in den strukturschwachen Regionen und in den Stadtteilen. Wir haben einen faktischen Fachkräftemangel, insbesondere in den Pflegeberufen und in den Gesundheitsberufen. Und was legen Sie uns in dieser Situation als Gesetz zur Verbesserung der Versorgung vor? Ein Gesetz, dessen Kernstück es ist, Fachärzte besser dafür zu bezahlen, dass sie zusätzliche Termine ausgeben. Ich muss sagen: Kleiner geht es wohl nicht und teurer auch nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zu dem teuren Kompromiss, den das Gespann Karl Lauterbach und Jens Spahn ausgehandelt hat, muss man sagen: Mit diesem Kernstück gehen Sie an den eigentlichen Herausforderungen vorbei. Gleichzeitig geben Sie sehr viel Geld ungezielt, mit der Gießkanne, aus, das uns fehlen wird, wenn die eigentlichen Probleme angegangen werden müssen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Und dann schafft es Karl Lauterbach mit einer besonderen strategischen Meisterleistung, ausgerechnet 1,2 Milliarden Euro mehr für die Fachärzte als wesentlichen Schritt zur Verbesserung der Gerechtigkeit im Gesundheitswesen zu verkaufen. Das ist doch absurd ohne Ende.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Das versteht kein SPD-Wähler, und das versteht die Bevölkerung bei weitem nicht.

(Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Das habe ich doch erklärt!)

Dieses Geld würde man besser für eine Stärkung der Primärversorgung ausgeben,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

bei der es auch darum geht, wie wir die älteren, multimorbiden Patientinnen und Patienten unterstützen. Das ist im Übrigen das, was der Sachverständigenrat seit Jahren von uns fordert.

(Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Das machen wir doch! Die Hausarztverträge!)

Das Geld wäre besser bei einer Stärkung der Geburtshilfe angelegt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Heute ist es Fakt, dass die Frauen in einigen Regionen von einer Klinik zur nächsten fahren müssen, um überhaupt eine Station zu finden, auf der sie entbinden können. Wir haben eine Notfallversorgung, die nicht funktioniert, was ebenso dazu führt, dass die Menschen von einem Krankenhaus zum anderen gereicht werden. Das sind die Probleme, die Sie angehen müssen. Dafür brauchen wir die Mittel der gesetzlichen Krankenversicherung

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

und nicht für mehr Termine bei Fachärzten, die jetzt besser bezahlt werden. Da hätte ein schlichtes Diskriminierungsverbot gereicht, das regelt: Gesetzlich Versicherte dürfen bei der Vergabe von Terminen nicht benachteiligt werden. –

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das hätte nichts gekostet.

Selten hat ein Gesetzgebungsverfahren so viele Schlagzeilen produziert. Selten haben die halbe Republik und die Koalitionsfraktionen so erleichtert aufgeatmet, als Regelungen wieder vom Tisch genommen worden sind – auch das eine Besonderheit, die wir sonst nie erlebt haben. Selten haben wir erlebt, dass ein Minister im Nachgang am Kabinettsbeschluss vorbei Formulierungshilfen noch und nöcher in die Bevölkerung bringt, die kostenträchtig sind, die umstritten sind, die provozieren, die aber gleichzeitig der Inszenierung dienen: Da ist ein Minister, der was machen will, der keinen Konflikt scheut.

Und dann, am Ende, erleben wir: All diese Regelungen sind vom Tisch. Die Fraktionen haben sie vom Tisch nehmen müssen,

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Martina Stamm-Fibich [SPD])

weil in beiden Fraktionen der Konsens bestand: Da machen wir nicht mit, weil es keine Substanz hat und kein wirklicher Problemlösungsansatz ist.

(Tino Sorge [CDU/CSU]: Dass es im Gesetzgebungsverfahren Veränderungen gibt, gehört zum parlamentarischen Verfahren dazu! Das ist nichts Neues!)

So wird derzeit Politik gemacht.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich muss sagen: Ich bin mehr als froh, dass mit der größten Petition überhaupt die Schaffung einer zusätzlichen Hürde beim Zugang zur Psychotherapie gestoppt wurde.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und der LINKEN)

Jetzt wird es darauf ankommen, dass wir in den nächsten Gesetzgebungsverfahren tatsächlich eine gute Versorgung für Menschen mit einer psychischen Erkrankung hinkriegen.

Dann haben Sie natürlich auch ein paar gute Schritte gemacht. Ich nenne ganz ausdrücklich, dass es zu Verbesserungen bei den Heilmittelerbringern kommt. Aber Sie bleiben auf halber Strecke stehen. Es reicht nicht, alle Honorare auf das höchste bundesweit ausgehandelte Niveau anzuheben. Wir müssen davon ausgehen, dass selbständige Logopäden, Physiotherapeuten, Ergotherapeuten und Diätassistenten von diesem Geld leben können müssen, eine selbstständige Praxis führen können müssen und es gleichzeitig schaffen können müssen, tarifgerechte Gehälter zu zahlen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist mit dem, was wir jetzt vorliegen haben, immer noch nicht drin. Da müssen Sie nachsteuern.

Ich verstehe in keiner Weise, dass Sie nicht mal mehr Modellvorhaben möglich machen wollen, obwohl wir doch versuchen könnten, die Gesundheitsberufe weiterzuentwickeln, und diese Berufsgruppen so ihren besonderen Beitrag zur Gesundheitsversorgung mit einem Direktzugang eigenständig abbilden könnten. All das haben Sie aus dem Gesetzentwurf herausgenommen. Das ist ein großer Fehler.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch bei der Hilfsmittelversorgung machen Sie einen durchaus richtigen Schritt. Aus unserer Sicht fehlt aber tatsächliche Transparenz bezüglich der Qualität und hinsichtlich der Frage, wie gesetzliche Krankenkassen mit ihren Versicherten verfahren. Das ist das Nächste, das kommen muss.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Leider habe ich nicht genügend Redezeit, um auch noch auf die kleinen, stümperhaften Ansätze bei der Digitalisierung einzugehen. Dazu kann ich nur sagen: Es reicht nicht, Fristen auszureichen. Es reicht nicht, zu sagen: Bis dann habe ich eine smartphonefähige Patientenakte. – Wenn keiner weiß, was überhaupt drinstehen soll und ob die Daten zu nutzen sind, dann ist das nicht der richtige Weg. Da müssen wir etwas ganz anderes machen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sehr geehrter Herr Minister, nach einem Jahr Jens Spahn als Gesundheitsminister nehme ich es mir als Münsterländerin mal heraus, einen Rat zu geben: Weniger Schnellschüsse für die große Schlagzeile! Mehr handwerklich gut gemachte, auf die Lösung von Problemen gerichtete und mit Weitblick angelegte Gesetzesvorhaben!

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:

Frau Kollegin.

Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Weniger Investment in die Marke Jens Spahn und dafür mehr Mut, die wirklichen Zukunftsthemen anzugehen!

Wir werden diesen Gesetzentwurf ablehnen.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)