Rede von Prof. Dr. Armin Grau Gesundheitsversorgung in der Kommune
Dr. Armin Grau (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Parteien! Gestern haben wir das Krankenhausgesetz eingebracht, heute geht es um wichtige Reformen in der ambulanten Versorgung in den Kommunen.
Die Hausärztinnen und Hausärzte sind das Rückgrat der ärztlichen Versorgung.
(Heike Baehrens [SPD]: So ist es!)
Der größte Teil der medizinischen Probleme kann in den hausärztlichen Praxen gelöst werden. Und dort, wo Fachärztinnen und Fachärzte gebraucht werden, koordinieren die Hausärztinnen und Hausärzte die Weiterversorgung. Daher ist es so elementar, die Hausärztinnen und Hausärzte zu stärken.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Wir in der Ampel machen das!
Wir machen das – erstens – durch die Aufhebung des Budgetdeckels wie zuvor bei den Kinderärztinnen und Kinderärzten. Damit stärken wir die Hausärztinnen und Hausärzte finanziell.
Herr Sorge, Sie fordern auf der einen Seite eine Entbudgetierung auch bei den Fachärztinnen und Fachärzten und greifen uns auf der anderen Seite an, dass wir nicht über die Finanzierung sprechen. Da wollen Sie die Quadratur des Kreises. Sie müssen sich mal darüber klar werden, was Sie eigentlich wollen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Zweitens führen wir eine jährliche Versorgungspauschale für chronisch Kranke ohne intensiven Betreuungsbedarf ein. Das ist eine Abkehr vom Quartalsprinzip und hilft, nicht notwendige Arztkontakte zu reduzieren. So schaffen wir freie Arzttermine zum Wohl der Patientinnen und Patienten, die sonst trotz dringlichem Bedarf lange warten müssten.
Drittens fördern wir mit einer budgetneutralen Vorhaltepauschale eine bedarfsgerechte Versorgung mit Haus- und Pflegeheimbesuchen, die Nutzung digitaler Anwendungen und bedarfsgerechte Praxisöffnungszeiten.
Anders als die Union trauen wir uns als Ampel mutige Reformen im Gesundheitswesen zu. Ihrem Antrag ist im Grunde nichts Neues zu entnehmen; er bleibt unscharf und vage.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Gesundheitsversorgung ist Daseinsvorsorge, und bei der Daseinsvorsorge spielen die Kommunen eine zentrale Rolle. Kommunen können Medizinische Versorgungszentren – MVZ – gründen. Bei uns in Rheinland-Pfalz hat die kleine Gemeinde Katzenelnbogen diese Option vor über zehn Jahren als erste in Deutschland genutzt. Aber viel zu selten sind Kommunen bislang Gründer von MVZ. Die finanziellen Hürden – Herr Lauterbach hat es bereits gesagt – sind oft einfach zu hoch. Diese Hürden bauen wir jetzt ab. Ich kenne etliche Gemeinden, die in den Starlöchern stehen und MVZ gründen wollen.
Vizepräsidentin Yvonne Magwas:
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Müller aus der Unionsfraktion?
Dr. Armin Grau (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Selbstverständlich. – Bitte.
Axel Müller (CDU/CSU):
Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie haben gerade gesagt, dass etliche Kommunen sozusagen in den Startlöchern stehen. Das ist ein Punkt, der mir auch auf dem Herzen liegt. Im Referentenentwurf habe ich von Kiosken und – daran angedockt – von Primärversorgungszentren gelesen.
(Zuruf der Abg. Heike Baehrens [SPD])
– Im Referentenentwurf war es drin. – In dem Gesetzentwurf, den die Regierung hier heute eingebracht hat, fehlen die Primärversorgungszentren; auch die Kioske sind gestrichen. Wenn die Kommunen jetzt am Start sind, dann hätten sie gerne auch eine gesetzliche Grundlage dafür. Ich werde permanent gefragt: Welche gesetzlichen Voraussetzungen müssen wir beispielsweise als Kommune, als Genossenschaft erfüllen, um ein Primärversorgungszentrum gründen zu können? – Können Sie mir da weiterhelfen, dass ich das weitergeben kann?
Danke schön.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Dr. Armin Grau (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Da kann ich Ihnen selbstverständlich weiterhelfen. Ich habe den starken Eindruck, dass Sie die Dinge durcheinanderwerfen. Sie haben völlig recht: Die Kioske sind in diesem Gesetzentwurf nicht drin. Aber wir reden hier doch von den kommunalen Medizinischen Versorgungszentren, und die sind in dem Entwurf selbstverständlich enthalten. Da steht, dass die selbstschuldnerischen Bürgschaften der MVZ als GmbH reduziert werden sollen.
(Beifall der Abg. Dr. Kirsten Kappert-Gonther [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Dirk-Ulrich Mende [SPD])
Wir müssten mal gemeinsam ins Gesetz reingucken, dann werden wir schlauer. Ich habe sehr den Eindruck, dass das bei Ihnen ziemlich durcheinander geht.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Dirk-Ulrich Mende [SPD] – Alexander Föhr [CDU/CSU]: Sie müssen mal reingucken ins Gesetz! Ganz dringend!)
Vizepräsidentin Yvonne Magwas:
Herr Kollege, es gibt noch den Wunsch nach einer Zwischenfrage von Herrn Sorge. Wollen Sie die zulassen oder nicht? Sie dürfen entscheiden, ob Sie sie zulassen.
Dr. Armin Grau (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ja, sicher, auch wenn er gerade gesprochen hat.
Tino Sorge (CDU/CSU):
Vielen Dank, Herr Kollege Grau. – Ich will das hier gar nicht in die Länge ziehen. Mein Kollege Müller hatte gerade explizit gefragt, wo im aktuellen Gesetzentwurf der Punkt der Primärversorgungszentren steht. Genau das hat er gefragt. Sie haben gesagt, es würde drinstehen. Also, ich stelle fest: Es steht so nicht drin. Sie haben über MVZs gesprochen und nicht über Primärversorgungszentren. – Erster Punkt.
Zweiter Punkt. Können Sie mir bitte sagen, in welcher Zeile des Gesetzentwurfes etwas über die Erhöhung der Zahl der Medizinstudienplätze steht?
(Lisa Badum [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach, komm!)
Der Referentenentwurf enthielt den Vorschlag, aufgrund des Mangels in vielen Bereichen, insbesondere im ärztlichen Bereich im ländlichen Raum, die Zahl der Medizinstudienplätze zu erhöhen.
(Zuruf der Abg. Heike Baehrens [SPD])
An welcher Stelle im Gesetzentwurf steht das?
Dr. Armin Grau (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Sorge, ich hatte Ihren Kollegen Müller vorhin so verstanden, dass er von den kommunalen Medizinischen Versorgungszentren gesprochen hat,
(Axel Müller [CDU/CSU]: Nein! PVZ!)
und die stehen definitiv im Gesetzentwurf. Die Primärversorgungszentren, ein anderes Wort mit einem anderen Inhalt, stehen – da haben Sie völlig recht – nicht drin. Ich komme am Ende meiner Rede darauf zurück. Wir können den Gesetzentwurf auch mal gemeinsam lesen.
(Zuruf des Abg. Tino Sorge [CDU/CSU])
– Dann schauen wir mal.
Im Übrigen gilt das Struck’sche Gesetz: Kein Gesetz verlässt den Bundestag so, wie es eingebracht worden ist.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Alexander Föhr [CDU/CSU]: Das ist bei dem aber auch dringend notwendig!)
Wir werden alles tun, damit dieses ohnehin schon sehr gute Gesetz am Ende ein noch besseres ist. Da brauchen Sie keine Sorge zu haben.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Dann möchte ich fortfahren. – Wir haben kein staatliches, sondern ein selbstverwaltetes Gesundheitswesen mit dem G-BA als höchstem Organ. Wir entwickeln den G-BA weiter, beschleunigen seine Entscheidungen und stärken die Interessenvertretung der Pflege, der Patienten- und Hebammenvertretung und der wissenschaftlichen Fachgesellschaften. Das schafft eine breitere Partizipation vieler Betroffener.
Wir Grüne setzen auf regionale Vernetzung und das Durchbrechen der ambulant-stationären Sektorengrenzen. Die Gesundheitsregionen und andere Punkte, die aktuell nicht im Gesetz enthalten sind, sind uns besonders wichtig.
Auf das Struck’sche Gesetz habe ich bereits hingewiesen. Es ist schon ein sehr gutes Gesetz, weil es Hausärztinnen und Hausärzte, Kommunen, Selbstverwaltung und die psychotherapeutische Versorgung – dazu werden wir gleich noch mehr hören – stärkt, und es wird ein noch besseres Gesetz werden.
Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)
Vizepräsidentin Yvonne Magwas:
Jörg Schneider von der AfD-Fraktion ist der nächste Redner.
(Beifall bei der AfD sowie des Abg. Thomas Seitz [fraktionslos])