Rede von Dr. Manuela Rottmann Schadenersatz für Kapitalanleger*innen
Dr. Manuela Rottmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Dr. Plum, es ist gut, sich Gedanken darüber zu machen, wie man das Musterverfahren noch attraktiver, noch schneller macht. Tragisch ist, dass auch nach der Anhörung bei der Union nur ein Gedanke übrig geblieben ist, nämlich es erneut zu befristen. Das finde ich als Ergebnis auf Ihre eigene Aufforderung hin ein bisschen dünn.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Ich habe auch in den vergangenen Jahren die Erfahrung gemacht, dass es durchaus Interessen bei diesem Thema gibt. Das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz als totes Pferd zu bezeichnen, ist natürlich etwas, was Beklagte wie Ernst & Young oder die deutsche Automobilindustrie durchaus gut finden;
(Dr. Martin Plum [CDU/CSU]: Ein Vorsitzender Richter am OLG Köln hat die Frage aufgeworfen!)
denn die haben richtig Probleme mit diesen Verfahren. Wenn man das Gesetz immer wieder nur befristet, dann haben sie auch die Hoffnung, dass dieses Instrument vielleicht überhaupt nicht gegen sie genutzt wird, weil die Musterverfahren zum Beispiel gezeigt haben, dass dort Beweise erhoben werden, die oft sogar noch in den Strafverfahren verwendet werden. Also: Ein totes Pferd ist das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz sicher nicht.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD und der Abg. Katharina Willkomm [FDP] – Dr. Martin Plum [CDU/CSU]: Habe ich auch nicht gesagt!)
Ich würde aber, um mal bei Tiervergleichen zu bleiben, sagen: Es ist ein Spatz in der Hand. Es ist ein Spatz in der Hand, weil wir viel, viel größeren Bedarf an kollektivem Rechtsschutz haben, als wir ihn heute abdecken. Man muss nur mal auf die Tagesordnung der letzten Justizministerkonferenz gucken. Da ging es etwa um Massenverfahren im Arbeitsrecht. Auch im Reisevertragsrecht, bei den Verbraucherschutzrechten oder im Kapitalanlagerecht und in vielen, vielen anderen Rechtsbereichen bräuchten wir mehr kollektiven Rechtsschutz. Das ist die Taube auf dem Dach.
Aber weil es so starke Interessen in Deutschland gibt, jeden kollektiven Rechtsschutz plattzumachen, war ich sehr dankbar, dass wir die Reform des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes in den Koalitionsvertrag aufnehmen konnten.
(Dr. Martin Plum [CDU/CSU]: Mussten!)
– Nein, nicht mussten. Ich habe ihn ja verhandelt. Sie waren nicht dabei, Herr Dr. Plum. Jetzt bleiben Sie mal ganz ruhig!
(Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der FDP – Beifall bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Jürgen Kretz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Sonja Eichwede [SPD], an den Abg. Dr. Martin Plum [CDU/CSU] gewandt: Da hätten Sie mehr Stimmen gebraucht!)
Denn es hat auch eine Besonderheit im kollektiven Rechtsschutz in Deutschland. Es ist kein paternalistisches Verfahren, wo ein Verband für andere Interessen durchsetzt, sondern es ist ein Verfahren, wo sich Geschädigte zusammenschließen können, den Anwalt ihrer Wahl nehmen können und wo auch institutionelle Anleger dabei sein können. Das schafft erst die Augenhöhe mit den Beklagten. Deswegen ist dieses Verfahren so wichtig.
Also: Wir hatten einen Spatz in der Hand, wir hatten eine Befristung. Ich sage mal: Die Große Koalition hat es in dieser Situation oft gerade geschafft, das Datum auszuwechseln,
(Dr. Martin Plum [CDU/CSU]: Das haben Sie doch auch schon gemacht letztes Jahr!)
bis zu dem das Gesetz noch gilt. Ich bin sehr zufrieden mit dem, was wir jetzt vorlegen können, weil es deutlich mehr ist als Kosmetik. Es versucht, nicht nur so oberflächliche Dinge zu machen wie: Wir verkürzen irgendwelche Fristen in der Annahme, die Richterinnen und Richter seien nicht fleißig genug. – Das ist ja Schwachsinn; das ist nicht so. Die Richterinnen und Richter wollen die Verfahren gut führen. Aber wir haben uns eben auch mit den Prüfungsmaßstäben, die sie einhalten müssen, befasst. Wir haben gesagt: Lasst uns die einfacher machen! – Da gibt es – wenn Sie das BGH-Urteil lesen, sehen Sie das – einen Zusammenhang zwischen dem Zwangscharakter des bisherigen Musterverfahrens und dem Prüfungsmaßstab.
(Dr. Martin Plum [CDU/CSU]: Wir sind aber der Gesetzgeber!)
Wir haben uns auch damit befasst: Wie können wir das Musterverfahren, wenn wir es auf einen Antrag zurückstellen, trotzdem attraktiver machen? Dass wir es geschafft haben, neue Beweisregelungen einzuführen, ist wirklich – da gebe ich der Kollegin Licina-Bode vollkommen recht – ein großer Schritt nach vorne, mit dem wir uns auch mal was trauen im deutschen Zivilrecht. Wir haben uns darum gekümmert, dass es keinen Zwang zur Klage gibt, weil die Verjährung droht, weil der Verjährungszeitpunkt näher rückt. – Das sind einige Schritte nach vorne. Ich bin den Sachverständigen sehr, sehr dankbar dafür, dass sie uns dafür gute Anregungen gegeben haben.
Ich will aber auch mal ein Beispiel für etwas nennen, was wir nicht umsetzen konnten. Daran kann man vielleicht auch sehen, welche Arbeit noch vor uns liegt, wenn wir es ernst meinen. Wir haben wirklich darüber nachgedacht: Können wir für angemeldete Ansprüche auch eine Bindungswirkung einführen? Das schien uns attraktiv; denn es würde natürlich dazu führen, dass wir bei den Individualklageverfahren noch mal entschlacken oder sie unnötig machen und die Leute ihre Ansprüche einfach anmelden. Aber dann ergeben sich ganz praktische Probleme, nämlich: Was bedeutet es, am Oberlandesgericht diese Register zu führen? Dann muss ja auch wieder das Recht eingeführt werden, dass man sich abmelden kann. Das heißt, man braucht Personal dafür. Es ist aufwendig; die Gebühren fallen beim Land an. Das heißt, ein Klageregister des Bundes, wie wir es bei den Verbraucherrechten haben, passt noch nicht.
Das ist ein Beispiel, an dem man sieht, dass es nicht reicht, hehre Ziele aufzustellen, sondern man muss dann auch mit den Ländern reden: Wie können wir das operativ umsetzen, sodass wir wirklich Tempo reinkriegen? Die Arbeit jetzt einfach nur den Oberlandesgerichten zuzuschieben, wäre nicht in Ordnung gewesen.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD und der Abg. Katharina Willkomm [FDP])
Aber ich fordere uns alle auf, dass wir daran weiterarbeiten. Das ist dann, Herr Dr. Plum, schon ein bisschen mehr, als nur zu sagen: Ja, da müssen wir halt das materielle Recht ändern. – Ich habe nicht eine einzige Vorschrift gelesen, die Sie ändern wollen. Das ist eine reine Luftnummer, eine Nebelmaschine.
(Dr. Martin Plum [CDU/CSU]: Das haben Sie doch bei der Sachverständigenanhörung selbst gehört!)
Die Taube sitzt auf dem Dach. Jede Regierung – da bin ich sicher –, die nach der nächsten Bundestagswahl regiert, wird sich dem kollektiven Rechtsschutz endlich öffnen müssen und einen großen Wurf machen müssen.
(Dr. Martin Plum [CDU/CSU]: Der wird dadurch aber auch nicht schneller kommen!)
Von Ihnen kenne ich aber leider, leider keinen einzigen Vorschlag. „So nicht“ ist ein bisschen wenig in der Debatte.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der FDP)
Ich bin sehr dankbar, dass wir mit dem Justizministerium und den Kolleginnen Willkomm und Licina-Bode trotz des Zeitdrucks, den wir hatten, wirkliche Veränderungen beschlossen haben. Ich bin am Schluss der Meinung: Es ist nicht nur ein Spatz in der Hand; vielleicht ist es sogar schon ein Kanarienvogel.
Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)
Vizepräsidentin Petra Pau:
Das Wort hat der Kollege Stephan Mayer für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)