Rede von Helge Limburg Verstöße gegen Corona-Vorschriften
Helge Limburg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Keine Zweifel, die Coronapandemie hat bei uns allen tiefe Spuren hinterlassen. Sorge und Trauer um Freunde und Angehörige, die durch das Coronavirus ihre Gesundheit oder sogar ihr Leben verloren haben, Sorge vor Ansteckung und einem möglichen schweren Krankheitsverlauf, Sorge um die Menschen, die auf den Intensivstationen gelegen haben, und natürlich auch Sorge um diejenigen, die sich um die Menschen auf den Intensivstationen gekümmert und dadurch erhebliche Belastungen auf sich genommen haben, Sorge vor Long Covid und Ähnliches prägten über zwei Jahre lang unser aller Alltag. Aber auch Sorge um den eigenen Beruf infolge der Coronamaßnahmen, Sorge um die psychische Gesundheit insbesondere von Kindern und Jugendlichen, aber letztlich auch von uns allen, Sorge um Menschen in Wohnheimen für Menschen mit Behinderungen oder in Pflegeheimen, die teilweise fast isoliert waren, weil keine Besuche möglich waren, Sorge um deren psychische Gesundheit, Sorge um den Fortbestand von Sport und Kultur, also Sorge um all das, was uns als Gesellschaft doch ausmacht: Auch diese Sorgen waren für viele Menschen bitterer Alltag.
Anzuerkennen, dass es natürlich gute Gründe gab, Angst vor diesem Virus zu haben, dass es aber eben auch gute Gründe gab, Sorge und Angst vor einigen Maßnahmen zu haben, und anzuerkennen, dass viele Menschen beides gleichzeitig oder beides im Wechsel verspürt haben, halte ich für elementar, wenn wir zu einer ehrlichen Aufarbeitung und zu einer gemeinsamen Verarbeitung dieser Zeit kommen wollen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Matthias W. Birkwald [Die Linke])
Meine Damen und Herren, ein Teil der Maßnahmen wurde mit ordnungsrechtlichen Maßnahmen inklusive Bußgeldern durchgesetzt – eine in vielerlei Hinsicht schwierige und belastende Situation. Ich kann mir kaum vorstellen, dass es irgendeiner Polizistin oder irgendeinem Polizisten Freude bereitet hat, Bußgelder zu verhängen für Handlungen, die zu normalen Zeiten Alltag gewesen wären. Aber es waren eben keine normalen Zeiten.
Auf der anderen Seite haben sich Menschen natürlich und völlig nachvollziehbar aufgeregt, wenn sie Bußgelder bekommen haben, weil sie ein Eis zu nah an einer Eisdiele konsumiert haben, weil vielleicht zwei Tische im Restaurant zu knapp bemessen waren. Natürlich – und das ist ja schon mehrfach gesagt worden – gab es Maßnahmen, die deutlich überzogen waren. Angesprochen sind insbesondere die Schul- und Kitaschließungen, die viel zu lange und viel zu intensiv waren.
(Stephan Brandner [AfD]: Die AfD war dagegen!)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das hätten wir anders machen müssen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der FDP und des BSW und des Abg. Matthias W. Birkwald [Die Linke] – Stephan Brandner [AfD]: Sie waren dafür! Die AfD war dagegen!)
Das Vertreiben von Rentnern von Parkbänken oder auch das Einsperren eines Mannes in München, der allein ein Buch auf einer Parkbank lesen wollte, was nicht erlaubt war,
(Stephan Brandner [AfD]: Sie alle fanden das gut! Die AfD war dagegen!)
weil er sich dabei nicht bewegt hat: All dies und Weiteres waren natürlich Dinge, die nicht zur Pandemiebekämpfung beigetragen haben, die aber tiefe Spuren hinterlassen haben. Aber werden eine pauschale Amnestie und Rückzahlung aller Bußgelder der Komplexität der damaligen Situation wirklich gerecht?
(Sonja Eichwede [SPD]: Nein! – Stephan Brandner [AfD]: Ja!)
Meine Damen und Herren, da waren auch die Rücksichtslosen, die trotz Bitten ihre Masken im ÖPNV nicht aufsetzen wollten. Da waren diejenigen, die Mitarbeiter von Ordnungsamt und Polizei wüst beschimpft und angegriffen haben, diejenigen, die Hygiene und Prävention auch dann noch auf die leichte Schulter genommen haben, als Intensivstationen längst überliefen, die sogar das Coronavirus leugneten und einfachste Schutzmaßnahmen verweigerten.
(Stephan Brandner [AfD]: Alles Einzelfälle! Wenn überhaupt, waren das Einzelfälle! Das ist ein Generalverdacht! – Kay-Uwe Ziegler [AfD]: Das gab es doch nicht!)
Wir haben es auch hier im Haus gesehen von Ihrer Fraktion ganz rechts. Sie haben durch Verweigerung einfachster Schutzmaßnahmen viele Menschen in große Gefahr gebracht. Auch das gehört zur Wahrheit dieser zwei Jahre.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Jürgen Braun [AfD]: Es gab keine Überlastung der Krankenhäuser! Da wurde getrickst ohne Ende!)
Meine Damen und Herren, der Vorschlag einer pauschalen Amnestie und damit auch dieser Gesetzentwurf setzen letztlich die Art der Schwarz-Weiß-Debatten fort, die wir hier viel zu lange erleben mussten: Team Drosten oder Team Streeck? Coronaleugner oder Maßnahmen-Ultraverharmloser oder Diktaturbefürworter? Ich selbst wurde beispielsweise, weil ich hier nicht für eine allgemeine Impfpflicht gestimmt habe, im Internet als Impfgegner beschimpft, obwohl ich selber bekanntermaßen vollständig geimpft bin. Im Fernsehen war von einer Tyrannei der Ungeimpften die Rede. Genau diesen pauschalierenden, abwertenden Debattenstil, dieses Schwarz-Weiß-Denken, das nur Dafür oder Dagegen kannte – kein Grau, keine Zwischentöne –, müssen wir als Gesellschaft dringend überwinden.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Matthias W. Birkwald [Die Linke])
Dazu braucht es eine ehrliche, differenzierte Aufarbeitung der Pandemie, nicht nur aus virologischer Sicht – natürlich auch –, sondern auch aus soziologischer Sicht, aus Sicht von Praktikern, aus Sicht von Kindern und Jugendlichen, aus Sicht von Menschen aus der Pflege und weiteren Bevölkerungsgruppen. Ich bin in der Tat froh, dass wir uns nun geeinigt haben, dass es eine echte Aufarbeitung auch hier im Parlament geben wird. Es ist notwendig, damit wir als Gesellschaft wieder stärker zusammenwachsen.
Aber, meine Damen und Herren, Ihr pauschaler Gesetzentwurf ist letztlich nur mehr vom selben Schwarz-Weiß. Sie zielen eben nicht auf Befriedung der Gesellschaft, sondern auf Bedienung ganz bestimmter Gruppen. Sie wollen weiter Spaltung vertiefen, wo Versöhnung doch dringend nötig wäre. Sie von der AfD gehörten zu Beginn der Pandemie – das ist ja schon fast vergessen – zu denen, die härteste Maßnahmen gefordert haben, viel härtere als zum damaligen Zeitpunkt irgendjemand anders.
(Stephan Brandner [AfD]: Genau! Und dann wurden wir schlauer! Sie nicht!)
Und später haben Sie Ihr Fähnchen komplett in den Wind gedreht und eine andere Richtung eingeschlagen. Sie wollen leider keinen ehrlichen Beitrag leisten. Nein, Sie wollen populistisch weiter Konflikte vertiefen. Das werden wir natürlich nicht mitmachen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Meine Damen und Herren, nebenbei bemerkt offenbart Ihr Gesetzentwurf auch erhebliche handwerkliche Schwächen.
(Leni Breymaier [SPD]: Nichts Neues!)
Ihr Gesetzentwurf würde zu einer erheblichen Überlastung der Kommunen und auch der Justiz führen, die das alles ja umsetzen müssten, die über Monate lahmgelegt wären mit der pauschalen Rückzahlung von Bußgeldern.
(Stephan Brandner [AfD]: Wie war das denn bei Ihrem Cannabisgesetz? Da war es doch alles kein Problem!)
Sie sind eine kommunalfeindliche Partei. Das sieht man nicht nur im Landkreis Sonneberg, das sieht man eben auch an solchen Gesetzentwürfen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine pauschale Rückzahlung unterstellt, dass jede Maßnahme falsch war, dass jedes Bußgeld falsch war. Genauso wenig, wie jede Maßnahme richtig war und jedes Bußgeld angemessen war, ist das Gegenteil richtig. Alles war falsch? Nein. Differenzierung ist nötig
(Stephan Brandner [AfD]: Ja, dann machen Sie eine Einzelfallprüfung!)
und nicht Pauschalierung, wie Sie das hier machen.
(Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Meine Damen und Herren, es täte uns allen gut, einzuräumen, dass viele sich geirrt haben. Auch ich habe mich natürlich geirrt in dieser Zeit und teilweise Forderungen aufgestellt, die ich heute so auf keinen Fall mehr unterstützen würde. Auch Personen aus Wissenschaft, Politik und Praxis haben sich geirrt. Aber dieselben Personen haben an anderer Stelle wertvolle Beiträge zur Bekämpfung der Pandemie und zur Verhinderung von Leid geleistet.
Alle – Befürworter harter Maßnahmen und Kritiker von Maßnahmen – wollten doch letztlich das Beste für unser Land und die Menschen hier erreichen.
(Leni Breymaier [SPD]: Außer die da drüben! – Stephan Brandner [AfD]: Das bestreite ich!)
Davon ausgehend sollten wir die Debatten führen und uns vor allem gegenseitig respektvoll zuhören.
Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:
Und jetzt erhält das Wort Katrin Helling-Plahr für die FDP-Fraktion.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)