Tulpen in Thüringen

26.07.2010

 

Was die WM mit Schlotheim zu tun hat

18. Juni 2010, 8:32 Uhr, Berlin Hauptbahnhof

Die Grünen Tulpen staunen nicht schlecht an diesem Freitagmorgen. Die grüne Fraktionsmannschaft hat gerade ihre Plätze im ICE nach Göttingen eingenommen, da taucht überraschend die ehemalige grüne Gesundheitsministerin Andrea Fischer im Abteil auf. Wie jetzt, kommt etwa Andrea auch mit ins grüne Trainingslager?

Ist Sie der im Vorfeld angekündigte Überraschungsbesuch? Nein, sie winkt auf Nachfrage etwas verlegen ab und geht dann zügig weiter in ihr Abteil. Schade! Dabei hätte Andrea Fischer doch sicher eine gute Figur als Grüne Tulpe abgegeben. So wie damals ihre Mitarbeiterin Anke Glasmacher, die nach dem Parlamentsumzug von Bonn nach Berlin viele Jahre im Tulpe-Trikot auf Torejagd ging.

Nach der Causa Fischer diskutiert die Grüne Tulpe ein anderes Thema. Die Verspätung der Deutschen Bahn. Ein allseits beliebtes und immer brandaktuelles Thema. Denn auch dieser ICE hinkt dem Fahrplan mal wieder hinterher. Jetzt schon mehr als die 15 Minuten, die die Tulpe hat, um in Göttingen ihren Anschlusszug nach Mühlhausen zu erreichen. Ausnahmsweise funktioniert die Klimananlage, aber das hilft bei Verspätungen ja leider nicht. "Wieso muss der ICE auch ausgerechnet auch noch in Spandau halten, das braucht doch kein Berliner" bricht es aus einer Hauptstadt-Tulpe heraus.

Die Mannschaft ist nervös, denn sollte der nächste Zug verpasst werden, würde auch der Bus ins thüringische Schlotheim nicht erreicht und das hätte schwerwiegende Konsequenzen. Nein, nicht das Verfassen einer Beschwerdeeingebung bei der Deutschen Bahn, sondern viel schlimmer: Die Tulpe würde die erste Halbzeit des zweiten WM-Gruppenspiels der deutschen Mannschaft verpassen. Die ist als erste "Trainingseinheit" des Tages nun mal fest eingeplant.

Tulpe-Präsident Markus Kurdziel - der kurzfristig leider doch nicht mit von der Partie sein konnte- hatte in seiner Planung alles so exakt getimt, dass seine Mannschaft noch rechtzeitig zum WM-Spiel in Schlotheim eintrifft; natürlich vorausgesetzt alle Anschlüsse inklusive Bus in Mühlhausen werden planmäßig erreicht.

Nachdem beim Schaffner noch einmal mit Nachdruck auf die schwerwiegende Problematik hingewiesen wird, gibt dieser direkte Anweisungen an seinen Lokführer, endlich schneller zu fahren, damit die Grüne Tulpe rechtzeitig in Göttingen umsteigen kann. Dieser dreht daraufhin die Klimaanlage runter und der Zug wird überraschend schneller. In Göttingen wird der Zug und in Mühlhausen der Bus erreicht. Gerade noch rechtzeitig zum Anpfiff sitzt die Tulpe im Schlotheimischen Fernsehkeller. Genauer: Im Keller des Sporthotels zu Schlotheim.

Dort müssen die Tulpen beim Mittagessen zusehen, wie die deutsche Mannschaft gegen Serbien ihr schlechtestes WM-Spiel abliefert. 0:1 gegen Serbien und die ganze Tulpe ist kurz vor der ersten Trainingseinheit erstmal bedient. Die ganze Tulpe? Nein, eine Tulpe kann sich entspannt zurücklehnen. Ratimir. Die einzige Tulpe, die jemals bei Roter Stern Belgrad kickte. Obwohl seine serbischen Brüder taktisch nicht seiner Fußballphilosophie folgten, kann er sich über den ersten Sieg Serbiens bei einer WM trotzdem freuen.

Nach der ernüchternden Vorstellung der deutschen Mannschaft, gibt es für die grüne Mannschaft gleich die nächste Enttäuschung. Nein, es wurde nicht das örtliche Sporthotel gebucht, sondern eine Jugendherberge in der Nähe.

Nicht gerade das schönste Haus am Platz, aber –nach anfänglicher Skepsis auf Seiten der Tulpen- eine einigermaßen akzeptable Schlafstätte. Allerdings kommen sich die beiden zwei Meter-Tulpen Jochen Schieborn und Stefan Witt beim Anblick ihrer Betten vor, als wären sie zu Gast im Haus der sieben Zwerge.

Das Haus von den sieben Zwerge hinter den sieben thüringischen Bergen gehört für die drei Tage allein der Grünen Tulpe und da kann man über solche Dinge hinwegsehen. Hin und wieder schaut auch Schneewitchen von der Verwaltungsgemeinschaft Schlotheim nach dem Rechten.

Nachdem die Zimmerbelegung schnell klar ist, geht es endlich zum Bolzplatz. Der liegt gleich neben dem örtlichen Friedhof. Das Grün auf dem Friedhof ist in einem besseren Zustand, als auf dem Trainingsgelände, aber auch im WM-Stadion in Port Elisabeth gab es ja derartige Rasenprobleme. Also nicht meckern, sondern kicken.

Doch leider bleibt der Schlotheim'sche Kartoffelacker für Tulpe-Teamchef Sebastian Wienges nicht ohne Folgen. Gleich beim Trainingsauftakt stolpert Sebastian über die Grasnarbe und verletzt sich am Knie, so dass er von da an das ganze Wochenende nicht mehr selbst  spielerisch eingreifen kann. Nach einer verständlichen kleinen Fluchorgie des Teamchefs über die örtlichen Platzverhältnisse blickt er wieder nach vorn. Immerhin findet sich so die Möglichkeit in aller Ruhe die taktische Weiterbildung am Spielfeldrand zu betreiben.

Und die Tulpe hat ja noch Levent Tan. Der ehemalige Landesliga-Trainer ist wieder extra aus Konstanz angereist und wie immer voller Tatendrang. Er hat genaue Vorstellungen, was die Tulpe aus diesem Trainingslager mitnehmen soll.

Entsprechend ist auch sein Trainingsplan bis ins Detail ausgearbeitet und so gibt es einen gelungenen Mix aus Spiel, Spaß und Schokolade. Mit Schokolade sind natürlich sinnbildlich die Bauchmuskelübungen für die Bauchtanzgruppe in der Tulpe gemeint.

Wie bei der deutschen WM-Mannschaft, so ist auch bei der Grünen Tulpe die Stimmung hervorragend. Nicht zuletzt, weil wieder altverdiente Tulpen mit an Bord sind. So ist z.B. aus Brüssel überraschend der ehemalige Teamchef und grüne Ehrenspielführer Wolfgang Helm nach Schlotheim angereist. Aus Kassel ist zudem Thomas Flügge und aus Hamburg Andree Böhling gekommen.

Komplettiert wird das historische Tulpe-Abwehrbollwerk durch Martin Daus, der nach drei Jahren Spielpause auch wieder mit an Bord ist. Last but not least ist auch der durch seinen Kreuzbandriss lange verletzte Tresfore Dambe mitgekommen. Er will das Trainingslager nutzen, langsam wieder die notwendige Spielpraxis zu bekommen. Eigentlich sind aber alle gekommen, weil man einfach mal wieder zusammen ein tolles Fußballwochenende verbringen will.

Der erste Trainingstag steht somit ganz im Zeichen eines Ehemaligentreffens. Der Ball ist noch nicht Zenit und wird erstmal recht stiefmütterlich behandelt. Den Eindruck dürfte zumindest Levent Tan haben, als er die Grüne Tulpe in mehreren Übungseinheiten Grundlagen wie Ballstoppen und "in den Fuß"- Passen üben lässt. Da gibt es bei dem ein oder anderen noch deutlichen Trainingsbedarf. Aber genau dafür ist die Grüne Tulpe ja (auch) in Schlotheim.

Seien wir ehrlich: Freizeitmannschaften und spielerische Defizite sind wie ein altes Ehepaar. Die gehören einfach zusammen.  Wie das gepflegte Pils zum allabendlichen gemeinsamen WM-gucken.

Am Abend sitzt deshalb die Tulpe auch im "Wohnzimmer" der Jugendherberge mit den oben genannten Getränken zusammen und schaut sich das Knallergruppenspiel England gegen Algerien an. Nach dem enttäuschenden torlosen Remis ist die grüne Mannschaft aber um gleich drei Erkenntnisse reicher geworden:

1. Algerien hatte sich für die WM qualifiziert

2. auch selbsternannte WM-Favoriten offenbaren gravierende spielerische und taktische Mängel und unterscheiden sich nur bedingt von Freizeitmannschaften wie der Grünen Tulpe

3. England wird definitiv nicht Weltmeister 2010

Der zweite Trainingstag

"Der frühe Vogel fängt den Wurm" sagen sich Levent Tan und Wolfgang Helm und stehen pünktlich um 7 Uhr am Samstagmorgen vor dem Eingang der Jugendherberge. Am Abend nach dem unsäglichen England-Gegurke hatte Levent für den nächsten Morgen zum "Freiwilligen-Jogging" ums Dorf eingeladen. Doch bis auf Wolfgang folgen die übrigen Tulpen dem Motto "Der frühe Vogel kann mich mal" und so müssen beide alleine ihre Runden drehen. Immerhin sind dann zum Frühstück eine Stunde später alle Tulpen wieder vereint und die nächste Trainingseinheit kann kommen.

Während der verletzte Teamchef Wienges mit den Peanuts in guter Lucie-Marnier das Tulpe-Training von Außen auf sich wirken lässt, müht sich die grüne Bauchtanzgruppe mal wieder mit den berühmt- berüchtigten Tan'schen Liegestützen ab.

Am wenigsten Probleme damit hat überraschend Marek Dutschke, allerdings hat er die Übung falsch verstanden. Der Bauch darf nämlich den Boden eben nicht berühren.

Danach steht wieder das Spiel mit dem runden Leder auf dem Programm. Es werden fünf Gruppen a vier Mann gebildet und nun muss sich auf engsten Raum der Ball zugespielt werden. Nicht zu vergessen gilt auch hier nach wie vor der eiserne Grundsatz: immer in Bewegung bleiben. Jede Gruppe zählt ihre Ballkontakte und versucht in drei Minuten das non-plus-ultra rauszuholen. Und das sieht gar nicht mal so schlecht aus und nährt die Hoffnung bei einigen, dass die Grüne Tulpe bis zur nächsten WM 2014 in Brasilien vielleicht dann auch mit dem so wunderbaren One-Touch-Fußball die Massen bezaubern kann.

Bis dahin ist es aber noch ein langer Weg und jetzt wartet erstmal das wohlverdiente Schnitzel auf die Tulpenkicker. Pech allerdings für Andre Bornstein. Der ist seit kurzem Vegetarier. Und da in der Trainingslager-Planungsphase versäumt wurde, diese Info an das örtliche Koch-Komitee weiterzuleiten, muss Andre sich von da an mit diversen Beilagen satt essen.

Danach ist erstmal kurze Mittagsruhe angesagt. Die Tulpen versuchen auf unterschiedliche Weise wieder zu neuen Kräften zu kommen. Schließlich sind es nur zwei Stunden bis zur nächsten Trainingseinheit Die einen frönen dem Mittagsschlaf, während andere bei Zigarette und Espresso über neue, noch erfolgreichere grüne Spielsysteme philosophieren.

Nach ein paar "Stadionrunden" zum Auflockern der müden Muskeln und ausgiebigen Dehnungsübungen geht es nach der Ruhepause in die nächste Trainingsrunde. Jetzt steht Flanken und Verwandeln auf dem Programm. In mehreren Übungen versucht Levent seine Schützlinge auf das schelle und präzise Offensivspiel einzutakten. In dieser Hinsicht gibt es nämlich noch einiges zu tun, wie erfahrende Tulpen zu berichten wissen. Und wie erwartet, trifft zunächst auch keine einzige Tulpe ins Tor. Dazu muss man aber auch sagen, dass mit Greenkeeper Jochen Schieborn ein Teufelskerl im Kasten steht, der alles locker wegfängt, was auf sein Tor kommt.

Nach einer gefühlten halben Stunde zappelt dann endlich doch einer im Netz. Greenpeacer Andree Böhling verwandelt mit einem seiner gefürchteten Torpedos genau ins obere Eck. Der Bann ist damit gebrochen und nun treffen auch andere Tulpen ins Eckige. Das ist mal wieder ein Beweis dafür, dass erfolgreicher Fußball eben letztendlich doch nur Kopfsache ist.

Erst wenn die Spieler an sich und ihre Fähigkeiten glauben, erst dann können sie auch erfolgreich spielen. Das gilt für die Grüne Tulpe und die deutsche Nationalmannschaft gleichermaßen. Und immer dann wenn Mannschaften auf große Reise gehen, zeigt sich gleich von der ersten Minute an, ob auch der Teamgeist mitgefahren ist. Wie das deutsche Team in Südafrika perfekt harmonierte, so ist auch die Stimmung in der Grünen Tulpe einfach hervorragend.

Das sind die magischen Momente, die gute Mannschaften noch weiter nach vorne bringen. In wenigen Tagen kann man zwar den Fussball nicht neu erfinden, aber den Zusammenhalt im Team weiter festigen. Denn erst wenn man mal mit seinen Mitspieler frühmorgens die trockene Schrippe mit Dauersalami teilen musste, ist man auch eher mal bereit, den langen Weg für ihn zu laufen.    

Und auch diesmal ernten die Tulpen die Früchte des Trainingslagers. Alle Übungen gelingen am zweiten Tag viel flüssiger als am Tag zuvor und beim abschließenden Trainingsspiel geht dem Tulpe-Trainerteam gar das Herz auf. Teamchef Sebastian Wienges, Trainer Levent Tan und Philosoph Ratimir Britvec sind selbst irgendwie überrascht ob der gelungen Spielkombinationen, die sie da von ihrer Tulpe sehen. Es wird genau in den Fuß gepasst, die Seiten klug verlagert und dabei auch noch viel ohne Ball gelaufen. Die Drei vom Tulpenfeld sind jedenfalls voll des Lobes über ihre Jungs und ziehen schon eine erste positive Bilanz des Trainingslagers.

Doch noch ist das Trainingslager nicht zu Ende. Am Abend vor dem Abschlussspiel in Erfurt steht noch die obligatorische Taktikbesprechung an. Es wird dabei auch um die Frage gehen, ob die Grüne Tulpe mal wieder eine neue taktische Ausrichtung braucht.

In den ersten Tulpen-Jahren in Bonn wurde ja aus Überzeugung auf eine taktische Aufstellung verzichtet. Das würde ja nur den kreativen Geist des Spieles lähmen, so die weitgehende Überzeugung im Kader der ersten Stunde. Dementsprechend chaotisch sah aber dann auch das Spiel oft aus. Erst mit dem Regierungsumzug nach Berlin und der ersten grünen Regierungsbeteiligung, setzte auch bei der grünen Fraktionsmannschaft in dieser Hinsicht ein Umdenken ein. Das damalige Reizwort: Professionalität.

Es dauerte schon eine Weile bis eine neue Mannschaft aufgebaut werden konnte und aus dem "wilden Gekicke" (Zitat Willi Ruhl, erster Tulpen-Teammanager in den 80ern) ein durchdachtes Fussball-Spiel wurde. Dazu gehörte auch das im Jahr 2000 neu eingeführte jährlich stattfindende Trainingslager.

Jetzt genau ein Jahrzehnt später ist das Trainingslager eine feste Institution und bei der Grünen Tulpe gar nicht mehr wegzudenken. Markus Kurdziel, Wolfgang Helm und last but not least Ratimir Britvec ist es zu verdanken, dass die nicht immer leichte Gradwanderung in den professionellen Fussball tatsächlich erfolgreich klappte.

Zu Beginn des "taktischen Zeitalters" spielte man bei der Tulpe ein defensives 5-3-2 oder gar 5-4-1. Die besten Spieler kamen einfach in die Abwehr, damit erstmal Tore verhindert werden konnten. Mitte der 2000er, als das nicht mehr das Hauptproblem war, wurde auf das offensivere 4-4-2 umgestellt.

Jetzt im Juni 2010 stellt Levent Tan -der übrigens 1999 das erste Mal für die Tulpe kickte- die Frage nach einer neuen taktischen Ausrichtung: 4-2-3-1 bzw. 4-5-1. Gespielt mit einer Vierer-Kette. Levents Vorschlag trifft den Nerv der Runde und wird an diesem Abend ausführlich und engagiert diskutiert. Kurz vor Ende der Besprechung hält es dann Ratimir nicht mehr im Stuhl und er schreitet zum Flip-Chart.

Und er hält dann wieder einen seiner großen genialen Taktik-Vorlesungen, auf die sich alle Tulpen schon gefreut hatten. Denn schließlich waren seine beliebten Vorlesungen immer fester Bestandteil aller Trainingslager gewesen. Sein Fazit lautet zusammengefasst, dass der nächste Schritt zu mehr offensiven Fußball gewagt werden sollte, vielleicht sogar muss.

Die Bereitschaft der Mannschaft für einen Versuch der offensiveren Variante ist jedenfalls da. Allerdings wird sich in den nächsten Monaten zeigen, ob der Tulpe dies ohne regelmäßiges Training gelingen kann. Für das anstehende Sonntagsspiel gegen die thüringischen Grünen soll aber – so das Trainerteam- erstmal noch die alte Taktik gelten, traditionell mit Libero und Co.

Nach der Taktikbesprechung sitzt man dann erst gemütlich beim abendlichen Buffet. Andre kann sich auch freuen, denn es gibt diesmal auch Fisch und er muss diesmal nicht nur Beilagen essen. Jedenfalls ist diesmal für alle was dabei. Vielleicht profitiert die Grüne Tulpe aus kulinarischer Sicht vom parallel stattfindenen Abi-Ball im benachbarten Dortgemeinschaftshaus.

Dort ist die grüne Mannschaft aber ausnahmsweise nicht eingeladen und so zieht man sich in die Jugendherberge zum gemeinsamen WM-Gucken zurück. Dänemark gegen Kamerun. Entgegen den Erwartungen sieht die Tulpe an diesem Abend eines der besten und spannendsten Spiele der WM.

Nach dem WM-Abend zockt ein Grüppchen beim Skat und die anderen spielen Tischtennis. Aber nicht das normale Tischtennis, denn eine Tischtennisplatte gehört gar nicht zum Repertoire der Jugendherberge.

Die Tulpen sind wie immer sehr kreativ und haben schon am Vortag einen der Esstische heimlich zum Spieltisch umfunktioniert. Gut das Schneewittchen nicht im Haus ist. Das Netz bilden nämlich die herumstehenden Kunstblumen. Es wird dann mit bis zu 8 Leuten bis spät Mitternacht Rundlauf gespielt. Verletzte sind glücklicherweise nicht zu beklagen. Sieger des Abends wird Andre Bornstein. Wahrscheinlich, weil er nicht wie alle anderen die fetten Fleischbatzen gegessen hatte und somit leichtfüßiger um den Tisch tänzeln konnte. Na, vielleicht ist er auch einfach der beste Tischtennisspieler bei den Tulpen.

Egal. Am nächsten Morgen wartet der gecharterte Bus nach Erfurt. Pünktlich um 9 Uhr gehts los und die Tulpe ist trotz Muskelkater in bester Spiellaune. Gesänge im Bus. In Erfurt angekommen inspiziert man erstmal obligatorisch den Platz. Jeder auf seine Weise. Dietrich Brockhagen testet jedenfalls erst mal die Trainerbank.

Das künstliche Grün ist in hervorragendem Zustand, aber die Szenerie drum herum ziemlich trostlos. Die Gelder des Aufbaus Ost haben in diesem Viertel wohl nur für den Fußballplatz gereicht. Immerhin die richtige Schwerpunktsetzung. 

Ein halbe Stunde vor Spielbeginn trudelt dann nach und nach auch der Gegner der Tulpe ein. Der grüne Landesverband in Thüringen hatte die Grüne Tulpe schon länger zu einem Freundschaftsspiel nach Erfurt eingeladen. Und die Tulpe nahm die Einladung gerne an und verlegte dafür kurzerhand auch das Trainingslager ins beschauliche Bundesland. An die Landeshauptstadt hatte man bei der Tulpe nur gute Erinnerungen. 2004 –zu rot-grünen Zeiten- spielte man hier gegen eine Auswahl der SPD.

Die nannten sich damals Red Wheels und hatten sich extra für das Spiel ein paar Auswahlspieler aus der thüringischen Landesliga ausgeliehen. Es heißt, dass sogar ein Genosse-Nationalspieler aus Neuseeland mitkickte, der gerade auf Deutschlandreise in Erfurt Station machte.

Die SPD wollte so damals auf Nummer sicher gehen und ein Debakel gegen den Koalitionspartner unbedingt verhindern. Doch alle Trickserei nützte ihnen nix. Die grüne Fraktionsmannschaft fertigte die SPD um Kapitän Carsten Schneider deutlich mit  6:2 ab. Franz Müntefering musste sich noch am selben Abend bei "Berlin direkt" von Peter Hahne fragen lassen, was denn mit der SPD-Mannschaft eigentlich los sei. Die Formschwäche der SPD setzte sich –wie wir heute ja alle wissen -kontinuierlich fort und nur ein Jahr später warfen Schröder und Co ohne Not ganz die Brocken hin. Immer noch unglaublich, fragen sich nicht wenige politische Beobachter heutzutage. Wegen welchen Kleinigkeiten Regierungen damals so zurückgetreten sind. Aber das ist ein ja ein ganz anderes Thema, was wir hier nicht weiter erörtern wollen. Hier gehts um grünen Fussball.  

Was jedenfalls aus den "Red Wheels" nach dem roten Debakel wurde, weiß heute keiner mehr. Eine Revanche von Seiten der SPD wurde bis heute nie bei der Tulpe angefragt. So kommt es, dass 2010 die Grünen in der thüringischen Landeshauptstadt ganz unter sich bleiben.

Die grüne Landessprecherin Madeleine Henfling ist extra für große grüne Spiel ins Stadion gekommen und organisiert gleich mal ein gemeinsames Mannschaftsfoto.

Da der grüne Landesverband selten auf Großfeld zusammenspielt und auch nicht trainiert, vereinbart man eine Spielzeit von zweimal 30 Minuten. Das kommt auch der Tulpe entgegen, schließlich steckt ein anstrengendes Trainingslager in den Knochen.

Das merkt man vielen Tulpen übrigens auch beim Auflaufen an. So langsam wie da zur Mittellinie getrabt wird, das kennt man sonst nur vom Seniorenfussball.

Nichts desto trotz geht die Grüne Tulpe als klarer Favorit ins Rennen. Doch die ersten 10 Minuten gelingt ihr gar nix, nicht einmal ein Torschuss. Dagegen kommen die thüringischen Grünen mit ihren schnellen Dauerläufern zu zwei guten Torchancen.

In der ersten Halbzeit gelingt der Grünen Tulpe nichts von dem, was man sich vor dem Spiel vorgenommen hatte. Irgendwie will man zuviel des Guten und steht sich dabei selbst im Weg. Von der unbekümmerten Lockerheit, die die deutsche Nationalmannschaft ein paar Tage später gegen England und Argentinien an den Tag legen wird, ist bei der Grünen Tulpe heute jedenfalls nix zu spüren.

Man kann das Spiel in Erfurt Nord eher mit dem deutschen Spiel gegen Ghana vergleichen. Die Thüringer spielen das was sie können und nur, weil sie kurz vor Ende der ersten Hälfte nach einem Eckstoß den Ball nicht aus der Abwehr bekommen, geht die Tulpe durch Bornstein glücklich mit 1:0 in Führung. Özil lässt grüßen!

Zur Pause stellt sich dann heraus, dass die ganze erste Hälfte nur 10 Tulpen auf dem Feld standen. Teamchef Sebastian Wienges war an diesem Morgen wahrscheinlich noch so beeindruckt von der Taktikbesprechung am Abend zuvor, dass er sich einfach mal verzettelt hatte. Na, man hatte ja auch gemeinsam vereinbart, ganz sachte die neue Taktik einzuführen und das war einfach eine interessante neue Variante. Aber im Ernst: Auch mit elf Mann hätte die Tulpe im ersten Durchgang nicht wirklich besser gespielt.

 

 

 

 

Das änderte sich dann aber zum Glück in der 2. Hälfte. Die Elf (!) von Wienges komplettiert nun Trainingslager-Trainer Levent Tan im zentralen Mittelfeld. Der hatte sich die erste Hälfte noch auf der Trainerbank mit angeguckt bzw angucken müssen. Jetzt will er seinen Jungs mal zeigen, wie es richtig geht.

Und das tut er in beeindruckender Weise. Es sind nicht einmal 100 Sekunden gespielt, da schiebt nach schönem Zuspiel von Simon Bruhn freistehend vor dem gegnerischen Keeper cool zum 2:0 ein.

Von da an spielt nur noch die Grüne Tulpe. Der Knoten ist geplatzt und es fallen dann in der Folgezeit die Tore wie reife Früchte. Das 3:0 besorgt wieder Andre Bornstein, der aus elf Metern unbedrängt einnetzt. Nach wunderschönem Pass von Thomas Flügge erhöht dann nur 30 Sekunden später auch Tulpenkapitän Kristoffer Born zum 4:0.

Sein Stürmerkollege Simon Bruhn lässt sich kurz danach nicht lange bitten und schießt das schönste Tor des Tages. Er holt sich das Bällchen an der Mittellinie und läuft und läuft. Simon lässt sich das Leder einfach nicht mehr abnehmen. Er rennt durch den gesamten Thüringer Abwehrwald und schließt dann mit einem wahren Sonntagsschuss genau ins rechte obere Eck zum 5:0 ab. Tor des Monats Juni!

Die thüringischen Grünen haben sich zu diesem Zeitpunkt eigentlich schon "ergeben", aber die Grüne Tulpe stürmt einfach gnadenlos weiter. Anstatt jetzt einen Gang runterzuschalten, will man weiter nachlegen. Kurz vor Spielende erzielt dann Andre Bornstein noch seinen dritten Treffer. Und als der Schiedsrichter bekannt gibt, dass die letzte Minute läuft, schnappt sich auch noch Asgar Ergin kurzerhand das Leder und netzt mit einem satten Schuss vom 16er zum 7:0- Endstand ein.  

Der hohe Tulpen-Sieg ist aufgrund der 2. Hälfte zwar verdient, allerdings fällt er mit 7:0 dann doch zwei Tore zu hoch aus. Die tapferen grünen Thüringer konnten in der zweiten Halbzeit dem Tulpetempo einfach nichts mehr entgegensetzen. Doch das Ergebnis ist letztendlich eh nicht so wichtig. Viel wichtiger ist die darauffolgende dritte Halbzeit.

Die thüringischen Grünen haben im nahegelegenen Park beim Nordbad ein opulentes Picknick organisiert. Schon kurz nach Spielschluss wird der Grill angeworfen und die weltbekannten Thüringer Würstchen aufgelegt. Als die Grüne Tulpe eintrifft, ist bereits alles angerichtet.

 

Zum einheimischen Grillgut gibt es köstlichen selbstgemachten Kartoffelsalat und feinstes Öko-Pils.

Beim gemütlichen gemeinsamen Picknick wird dann weniger über das Spiel, als vielmehr über die WM und Fußball im Allgemeinen geredet.

Natürlich tauscht man sich auch über die jeweilige politische Arbeit aus: Landespolitik vs. Bundespolitik usw. Doch leider bleibt viel zu wenig Zeit fürs Austauschen, denn die Grüne Tulpe muss noch ihren Zug zurück nach Berlin erwischen.

Auch das haben die Thüringer bestens organisiert. Mit mehreren Autos werden die Tulpen zum Erfurter Hauptbahnhof chauffiert, Als die grüne Tulpen bereits im Zug sitzen, sind sie immer noch schwer beeindruckt ob der kulinarischen Köstlichkeiten und der Gastfreundschaft der grünen Brüder und Schwestern aus Thüringen. So endet das grüne Sommermärchen und ein wieder mal wunderschönes und unvergessliches Tulpe-Trainingslager.

Den Spielbericht von unseren thüringischen Grünen gibts übrigens hier: