Rede von Agnieszka Brugger 75 Jahre Marshall-Plan

Foto von Agnieszka Brugger MdB
31.03.2023

Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nur zwei Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs brachten die USA auf Initiative des damaligen US-Außenministers Marshall das European Recovery Program auf den Weg, heute besser bekannt und nach ihm benannt als Marshallplan. Was für ein Kraftakt, was für eine Geste, was für ein Geschenk!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Von diesem Wiederaufbauprogramm profitierten nicht nur die Länder Westeuropas, die brutal von Nazideutschland überfallen und zerstört worden sind, sondern die USA haben auch Deutschland die Hand gereicht, dem Land, das die schlimmsten Menschheitsverbrechen begangen und den Zweiten Weltkrieg mit all dem unermesslichen Leid zu verantworten hatte. Damit wurde aber auch einer der Grundsteine für die tiefe euroatlantische Freundschaft sowie die Versöhnung und das Zusammenwachsen in Europa gelegt. Auch 75 Jahre später kann man dafür eigentlich nicht genug Danke sagen. Und das tun wir anlässlich dieses Jubiläums mit unserem Antrag von SPD, Grünen und FDP.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der FDP)

Meine Damen und Herren, zum kompletten historischen Gesamtbild gehört aber ebenso dazu: So wenig selbstverständlich, so großzügig und visionär der Marshallplan auch war, er war nicht nur ein Akt reiner Selbstlosigkeit, sondern von dieser Kooperation profitierte natürlich auch die US-amerikanische Wirtschaft. Und nicht zuletzt haben die USA angesichts der Systemkonfrontation im Kalten Krieg natürlich wichtige Bande mit Verbündeten geknüpft, wobei das ursprüngliche Angebot durchaus auch an die Staaten Osteuropas und die Sowjetunion ging, die das ausgeschlagen haben.

Meine Damen und Herren, aus heutiger Sicht ist der Marshallplan mehr als nur ein bedeutender und bewegender Moment in der deutsch-amerikanischen Geschichte. Seine Ideen sind in unserer unfriedlichen Welt voller Herausforderungen auf globaler Ebene aktueller denn je. So stellen wir auch heute immer wieder fest, wie sehr Solidarität und Wohlstand, Werte und Interessen keine Gegensätze sind, sondern zusammengehören und zusammengedacht werden müssen.

Der Marshallplan beruht auch auf der Ansicht, dass Wohlstand eine Verantwortung birgt, und nicht erst George Marshall hat erkannt, dass, nur wenn die Grundversorgung des alltäglichen Lebens gewährleistet ist, nur wenn Menschen frei von Angst, frei von Hunger, Armut und Gewalt leben können, eine echte Grundlage da ist für Demokratie, für Freiheit, für nachhaltigen Frieden und gerechten Wohlstand.

Gerade in einer Welt, in der wir anerkennen müssen, dass der Wohlstand der reichen Industriestaaten oft auf Kosten des Klimas oder der Länder des Globalen Südens entstanden ist, die wiederum in besonderer Härte die Folgen der Klimakatastrophe tragen müssen, wird diese Verantwortung im transatlantischen Bündnis für faire Partnerschaften mit unseren Verbündeten und Wertepartnern in anderen Regionen der Welt größer und nicht kleiner.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

In einer Welt, in der die Prinzipien der Charta der Vereinten Nationen und die Regeln unserer Friedensordnung von autoritären Staaten und reaktionären, rechtsextremen Kräften attackiert werden, sind solche Allianzen wichtiger denn je. In einer Welt, in der Freiheit und Sicherheit, Mitbestimmung und Menschenrechte für viele Menschen keine Selbstverständlichkeit sind, aber eine solche Strahlkraft und Sehnsucht entfalten, dass viele Menschen weltweit, ob im Iran, in der Ukraine oder in Afghanistan, bereit sind, im Widerstand gegen autoritäre Regime und menschenverachtende Terroristen ihr Leben dafür zu riskieren, da müssen und sollten wir diese Menschen mit aller Kraft unterstützen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Nirgendwo zeigt sich das so deutlich wie im Angesicht des brutalen russischen Angriffskrieges gegen die unschuldigen Menschen in der Ukraine mit den schlimmsten Kriegsverbrechen und skrupellosesten Tabubrüchen. Obwohl Deutschland damals Täter und Kriegsverbrecher war, haben uns andere Staaten nicht nur vergeben, sondern auch zu Wiederaufbau, Wohlstand und Versöhnung beigetragen. Umso mehr können wir und sollten wir einem Land, das selbst nicht angegriffen hat, sondern brutal überfallen wurde, unsere Unterstützung nicht versagen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Denn es ist nicht nur eine historische Verpflichtung, für Frieden und das internationale Recht einzustehen, sondern es ist auch mit Blick auf den Schutz unserer eigenen Sicherheit, unserer eigenen Freiheit und unseres eigenen Wohlstandes in unserem Interesse, die Ukraine auf allen Ebenen weiter entschlossen zu unterstützen – politisch, militärisch, wirtschaftlich und eben gerade beim Thema Wiederaufbau. Wir können sehr dankbar sein, dass unsere amerikanischen Freundinnen und Freunde nach 75 Jahren der Garantie, auch der Sicherheit auf unserem Kontinent, nicht sagen: Das ist jetzt euer Problem; das ist jetzt euer Krieg. Wir haben andere Herausforderungen zu meistern. – Auch dafür sind wir dankbar.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Meine Damen und Herren, aber wie es so ist, gerade wenn man eng miteinander befreundet ist, gibt es viele schöne Momente, viele Momente der gemeinsamen Kooperation, aber es gibt auch mal die ein oder andere Bewährungsprobe. Auch diese haben wir in den 75 Jahren immer wieder so gemeistert – das sprechen wir in unserem Antrag an –, dass sich unsere Beziehungen weiterentwickelt haben.

Dazu haben viele Menschen beigetragen, viele Organisationen. Ganz besonders will ich heute den German Marshall Fund nennen, dessen Vertreterinnen und Vertreter hier im Bundestag sind; denn Sie haben mit vielen anderen Organisationen dazu beigetragen, dass unsere Freundschaft zwischen den Gesellschaften und zwischen der Politik fester und tiefer wurde.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Frau Kollegin, Sie müssten bereits zum Ende gekommen sein.

Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ja. – Mein letzter Satz: Der Marschallplan birgt eben auch eine große Hoffnung für unsere eine gemeinsame Welt.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Frau Kollegin.

Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Er zeigt, dass es nach dem düstersten Kapitel der Menschheitsgeschichte möglich ist, die Gegenwart auf Basis gemeinsamer Regeln zum Wohle aller neu zu gestalten, und das ist auch eine Hoffnung für diese unfriedlichen Zeiten.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Der Kollege Dr. Johann Wadephul hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)