Rede von Katharina Dröge 75. Jahrestag Staatsgründung Israel

Foto von Katharina Dröge MdB
12.05.2023

Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Botschafter Prosor, ich freue mich sehr, dass Sie heute zu Gast hier im Deutschen Bundestag sind,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der AfD und der LINKEN)

dass wir Ihnen gratulieren können stellvertretend für unsere Freundinnen und Freunde in Israel. Herzlichen Glückwunsch zum 75. Jubiläum der Staatsgründung! Masel tov!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Die Gründung des Staates Israel im Jahre 1948 hat die internationale Staatengemeinschaft bereichert: um ein demokratisches Land, ein vielfältiges Land, ein Land mit ungeheurer Kreativität, Schaffenskraft und Internationalität, ein Land mit einer großen sozialen, politischen, kulturellen und auch religiösen Vielfalt, ein Land, dem wir in tiefer Freundschaft verbunden sind.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Aber dass ich das heute sagen darf, dass wir einander in Freundschaft verbunden sind, das ist in keiner Weise selbstverständlich. Dass Israel uns die Hand gereicht hat nach der Shoah, nachdem Deutschland die größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte begangen hat, nach dem Mord an den Juden Europas, der so unermessliches Leid verursacht hat, dass Israel uns die Hand gereicht hat, das ist etwas, für das wir immer dankbar sein werden. Und es ist unsere Verantwortung für immer: Die Sicherheit Israels ist deutsche Staatsräson.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, hinter dieser Freundschaft zwischen Ländern stehen die unzähligen persönlichen Geschichten und Freundschaften von Menschen. Ich persönlich war während meines Studiums zum ersten Mal in Israel. Ich wollte dort Tel Aviv und Haifa besuchen, aber wir wollten dort auch eine gute Freundin meiner Familie treffen, Karla Raveh.

Karla Raveh stammte aus Lemgo in Ostwestfalen. Als Jugendliche wurde sie deportiert. Sie hat die Konzentrationslager Theresienstadt, Bergen-Belsen und Auschwitz überlebt. Bis auf ihre Großmutter ermordeten die Nazis ihre gesamte Familie. Karla Raveh ist nach dem Krieg nach Israel ausgewandert und hat dort den Aufbau des israelischen Staates miterlebt. Deutschland hat sie für lange Zeit den Rücken gekehrt. Doch Mitte der 1980er-Jahre entschied sich Karla Raveh auf Einladung einer Lehrerin, erstmals wieder ihren Geburtsort in Deutschland zu besuchen. Seitdem besuchte sie Lemgo regelmäßig, und in dieser Zeit sind Freundschaften entstanden, Freundschaften, die blieben.

Dass Karla Raveh sich entschieden hat, diese neuen Freundschaften entstehen zu lassen, das ist für mich ein Beispiel, eine der vielen persönlichen großen Gesten, die so viele Menschen bis heute uns gegenüber gezeigt haben und für die wir einfach nur dankbar sein können.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich finde es wichtig, dass wir an Menschen wie Karla Raveh erinnern. Aber Karla Raveh wollte von uns auch, dass wir erinnern. Sie hat ein Buch über ihre Erfahrungen geschrieben, und sie hat sich bis zu ihrem Lebensende in der Erinnerungsarbeit engagiert. Sie hat gesprochen mit Schüler/-innengruppen, mit Erwachsenengruppen, weil sie wusste, dass nichts falscher ist als das Vergessen, dass nichts mehr unser Auftrag ist, als an das zu erinnern, was geschah, weil es wieder geschehen kann.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)

Deshalb sage ich gerade an einem Tag wie heute, wie wichtig es ist, dass wir immer wieder widersprechen, gerade auch hier im Deutschen Bundestag, wenn wir wissen, dass irgendwann in dieser Debatte auch Vertreter der AfD sprechen werden, Vertreter einer Partei, die darüber fabuliert, dass man einen Schlussstrich unter die deutsche Geschichte ziehen müsste, einen Schlussstrich unter die Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus.

(Stephan Brandner [AfD]: Niemand will einen Schlussstrich ziehen! Sie erzählen Unsinn, Frau Dröge! – Weitere Zurufe von der AfD)

Ich sage Ihnen ganz klar: Nichts ist falscher, und nichts ist gefährlicher.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und der LINKEN – Stephan Brandner [AfD]: Das ist perfide, dass Sie eine solche Debatte missbrauchen!)

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, es ist das dunkelste Kapitel unserer Geschichte, das der Gründung des Staates Israel vorausgegangen ist. Es ist unsere historische Verantwortung, die Existenz und die Sicherheit des Staates Israel zu stützen. Dafür haben wir uns unverbrüchlich verpflichtet.

Ich sage das gerade auch heute angesichts des 75-jährigen Jubiläums, in einer Zeit, wo Sicherheit und Frieden immer noch in Gefahr sind. Unser großer Wunsch zum 75-jährigen Jubiläum ist Sicherheit, ist Frieden – Sicherheit angesichts vielfältiger Bedrohungen. Gerade in diesen Tagen erleben wir, wie Hunderte von Raketenangriffen gegen die Zivilgesellschaft in Israel gestartet werden. Diese Gewalt muss dringend enden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir erleben Bedrohungen auch angesichts eines aggressiven und antisemitischen Regimes im Iran: ein Regime, das mit unfassbarer Brutalität gegen die eigene Bevölkerung vorgeht; ein Regime, das Israel von der Landkarte löschen will; ein Regime, das militante Organisationen unterstützt, die täglich die Sicherheit Israels gefährden. Deswegen gilt für uns als zentraler Kern unserer deutschen Außen- und Sicherheitspolitik, dass wir hier an Ihrer Seite stehen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Stephan Brandner [AfD]: Das heißt, Frau Roth auch?)

Als enge Freunde Israels unterstützen wir auch weiterhin das Streben nach Frieden, nach Frieden mit einem Teil seiner arabischen Nachbarn und insbesondere auch nach Frieden in dem schwierigen Konflikt zwischen Israel und Palästinensern. Gerade in diesen Tagen erscheint dieser Frieden weit weg. Doch genau dann, genau in diesen Tagen dürfen wir die Hoffnung und den Glauben und die Zuversicht daran, dass dieser Frieden möglich ist, nicht aufgeben.

Dafür braucht es mutige Schritte und konkrete Projekte. Dafür braucht es eine politische Perspektive, damit Gewalt sich nicht Bahn bricht. Wir hoffen auf einen echten politischen Prozess, der nicht auf das Schaffen von Fakten setzt, sondern auf den Dialog, auf einen Prozess nach Maßgabe des Völkerrechts und der Menschenrechte.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Länder verbindet nicht nur eine tiefe Freundschaft und die historische Verantwortung, sondern das Band, das uns verbindet, sind auch die Demokratie und eine starke Zivilgesellschaft. Deshalb möchte ich am Ende meiner Rede sagen, wie beeindruckt ich von der israelischen Zivilgesellschaft bin. Hunderttausende Menschen in Israel haben sich in den letzten Monaten so klar, so entschlossen jede Woche dafür engagiert, dass Demokratie und Rechtsstaatlichkeit Kern der Politik bleiben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich muss ganz ehrlich sagen: Mit diesem Engagement sind sie ein großartiges Vorbild für uns alle.

Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Präsidentin Bärbel Bas:

Nächster Redner: für die Fraktion der CDU/CSU Friedrich Merz.

(Beifall bei der CDU/CSU)