Rede von Katrin Göring-Eckardt Abschiebungen

Foto von Katrin Göring-Eckardt MdB
11.05.2023

Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jeder zehnte Einwanderer bzw. jede zehnte Einwanderin verlässt Deutschland wieder. Das ist international ziemlich viel.

(Lachen bei der AfD – Zuruf von der AfD: Quatsch!)

Deutschland ist nämlich längst nicht mehr – so wie Sie immer tun; ich weiß, Sie werden jetzt wieder laut – der „Place to be“. Lange Anerkennungsverfahren, fehlende Perspektiven für die Familien, alles das – weil Sie „Handeln“ gesagt haben, Frau Lindholz – gehen wir mit unseren neuen Einwanderungsgesetzen, die so dringend notwendig sind, an.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Worum es aber auch geht – und das kann man Ihrem Antrag wieder entnehmen –, ist die Stimmung gegenüber Menschen, die zum Arbeiten und Leben nach Deutschland kommen. Sie erleben oft genug Diskriminierung, fehlende Wertschätzung, Ablehnung. Wer nur von Abschiebung und Abschottung spricht, der schürt Verunsicherung. Und ich sage Ihnen eines: Abwehren und Anwerben gehen nicht gleichzeitig. Abwehren und Anwerben passen nicht zusammen.

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Frau Göring-Eckardt, wir haben Gesetze in unserem Land! – Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Das gehört zusammen!)

Deswegen: Wir müssen dafür sorgen, dass wir mit unseren Gesetzen dieses Land nicht nur zu einem Einwanderungsland machen – was es längst ist –,

(Alexander Throm [CDU/CSU]: Sie verfehlen das Thema!)

sondern zu einem beliebten Einwanderungsland, damit das funktioniert, was wir in unserer Wirtschaft so dringend brauchen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Also wollen Sie alle Regeln abschaffen?)

– Nein. – Wer die Grenzen gegen Schutzsuchende dichtmachen, aber gleichzeitig die indische IT-Kraft anwerben will, der verkennt, dass Deutschland in der Welt eben nur ein Gesicht hat, und ich finde, es sollte ein freundliches Gesicht bleiben, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Es bleibt dabei: Zwischen Humanität und Ordnung steht kein „oder“, sondern ein „und“. Und das ist auch kein Nullsummenspiel: Ich möchte mehr Ordnung und mehr Humanität. Nur beides zusammen wird uns zum Erfolg führen. Und ja, ich will selbstverständlich – schon seit vielen Jahren übrigens –, dass an den europäischen Außengrenzen registriert wird, dass in Europa verbindlich verteilt wird, dass Asylverfahren schnell durchgeführt werden, dass zurückkehrt, wer zurückkehren muss – und übrigens auch kann.

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Dazu gehört dann auch Rückführung!)

Das ist die Aufgabe, vor der wir stehen, und es ist schwierig genug, das im gemeinsamen Europa hinzubekommen.

Viele Kommunen sind hart gefordert in diesen Zeiten: Es fehlen Kitaplätze und Schulplätze, bezahlbare Wohnungen, Sprachkurse etc. Ich bin den Kommunen sehr, sehr dankbar, dass sie so hart daran arbeiten, dass das gelingt. Das sind Ehrenamtliche, das sind Verwaltungen, das sind die Kommunen selber. Deswegen: Mein Dank gilt diesen Menschen. Aber was sie eben auch brauchen – und da stimmen wir überein, Frau Lindholz –, sind planbare Perspektiven, Anerkennung, dass wir ein Land der Migration sind, dass es Strukturen gibt, die planbar und flexibel sind. Das muss geschehen, daran arbeiten wir – ja, was denn sonst, meine Damen und Herren?

Das, was die Union heute hier auf den Tisch legt, sind in großen Teilen schon sehr alte Weinsorten, die sauer sind, noch nicht mal mehr getarnt in neuen Schläuchen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Was genau bitte hilft den Kommunen der pauschale Ruf nach Abschiebungen? Seit Jahren passiert nichts, und zwar warum nicht? Weil die Duldungsgründe eben sehr vielfältig sind, so vielfältig wie das Leben von Menschen.

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: So wenig wie derzeit ist noch nie passiert!)

Da geht es um laufende Ausbildungen, da geht es um Krankheit, da geht es um rechtsstaatliche Gründe. Viele werden bleiben. Ich bin sehr froh, dass wir mit dem Chancen-Aufenthaltsrecht schon dafür sorgen, dass klar ist: Sie können auch bleiben, wir brauchen sie hier, und sie sollen auch bleiben, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Genau! Es kommt überhaupt nicht mehr aufs Asylrecht an! Das ist das Signal, das Sie in die Welt senden!)

Das ist doch das Entscheidende. Schluss mit den Arbeitsverboten! Das hilft den Kommunen, und das will die Wirtschaft von uns. Ja, selbstverständlich! Das ist pragmatisch, und das ist heutig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Alexander Throm [CDU/CSU]: Keine Ahnung von gar nichts! – Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Es gibt gar keine Arbeitsverbote mehr! Wirklich keine Ahnung!)

Werfen wir aber auch einen Blick nach Europa. Seit 2014 sind mehr als 30 000 Menschen auf der Flucht übers Mittelmeer ertrunken und zu Tode gekommen.

(Martin Hess [AfD]: Ihre Migrationspolitik hat das verursacht! – Weiterer Zuruf von der AfD: Sie locken die doch aufs Mittelmeer!)

Das ist das europäische Drama, meine Damen und Herren. Wer jetzt von Begrenzung spricht und Ausgrenzung meint, sollte wissen, was der Preis ist, und ehrlich damit sein. Sie sprechen vom Asylrecht. Unser Grundgesetz bestimmt für den Schutz von Asylsuchenden keine Obergrenze. Das sieht unser Grundgesetz nicht vor. Genauso müssen wir auch handeln.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Unser Grundgesetz sieht was ganz anderes vor! Nämlich dass man aus einem Land kommen muss, wo man verfolgt wird!)

Man kann um Europa keine Mauer ziehen und denken, dann käme keiner mehr. Fluchtwege werden nur gefährlicher und nichts anderes. Es gibt inzwischen schon so viel mehr Zäune, es sind enorme Summen dafür ausgegeben worden; aber es gibt auf der anderen Seite nicht weniger Asylanträge. Vielleicht denken Sie mal darüber nach, was Sie die ganzen Jahre gemacht haben, was Sie ausgestrahlt haben und was eben genau nicht passiert ist. Deswegen sage ich: Ein Europa, das sich darauf konzentriert, mehr Zäune zu bauen, in dem will ich jedenfalls nicht leben. Das hatte ich schon mal in meiner Geschichte.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Zuruf von der AfD: Dann wandern Sie doch aus! – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Was ist denn Ihr Rezept? Sie haben doch überhaupt keine Lösung!)

In der europäischen Flüchtlingspolitik, meine Damen und Herren, muss endlich der Gedanke von mehr Solidarität einziehen. Ordnung und Sicherheit bedeuten, dass jeder Mensch, der in die EU kommt, registriert wird. Das bedeutet, dass jedes einzelne Asylgesuch rechtsstaatlich geprüft wird. Das ist das, wofür wir stehen. Das ist das, wofür unser Grundgesetz steht.

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Schauen Sie mal ins Grundgesetz, was da drinsteht! 16a!)

Dieser neue Start kann nur mit einem verpflichtenden Verteilmechanismus gelingen, weil sonst die Außengrenzstaaten nämlich gar keinen Grund haben, diesen Reformen zuzustimmen. Ja, es ist so. Unsere Städte und Landkreise brauchen keine harten Sprüche gegen Geflüchtete, sondern pragmatische, langfristige und flexible Lösungen. Und vergessen Sie nicht, was Herr Landsberg diese Woche gesagt hat; nicht ich oder irgendjemand von den Grünen, sondern Herr Landsberg hat gesagt: Wir werden auch mehr Klimaflüchtlinge haben.

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Ja, und was heißt das jetzt?)

Meine Damen und Herren, ich finde, in diesen Tagen kommt es auf eins an: Humanität und Ordnung.

(Dr. Götz Frömming [AfD]: Welche Ordnung denn?)

Das sind nicht nur Überschriften. Wir sollten das mit Leben füllen und nicht mit Ihren Lebenslügen aufblasen.

Herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Aber nicht mit Ihren Lebenslügen! Das war alles moralinsauer, was wir da gehört haben!)

Präsidentin Bärbel Bas:

Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Dr. Bernd Baumann.

(Beifall bei der AfD)