Rede von Stefan Gelbhaar Aktuelle Stunde: Abgasskandal 

28.09.2018

Stefan Gelbhaar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Vorab ein Wort an Herrn Grundmann, der jetzt schon verschwunden ist.

(Manfred Grund [CDU/CSU]: Kommt wieder!)

– Kommt wieder, umso besser. Richten Sie ihm aus: Ich lade ihn gern in den Prenzlauer Berg ein, damit er da seine Neidreflexe oder Ähnliches ablegen kann. Wir kriegen das gemeinsam hin.

Ich möchte Sie auf das Ergebnis einer Umfrage hinweisen, die vor zwei Wochen in der „Berliner Morgenpost“ veröffentlicht wurde. Dort stand:

80 Prozent haben den Eindruck, dass die Politik im VW-Skandal eher die Interessen der deutschen Autoindustrie vertreten hat. … Nur drei Prozent meinen hingegen, dass die Politik dabei eher die Interessen der betroffenen VW-Dieselbesitzer vertreten hat.

Herr Minister Scheuer, dieses Bild haben Sie heute wieder perfekt bestätigt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Und natürlich kennen Sie alle das Dieselurteil zu Frankfurt am Main von vor drei Wochen. Mehr und mehr Städte müssen jetzt Fahrverbote verhängen, um die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen.

(Dr. Dirk Spaniel [AfD]: Nein!)

– Doch, das steht da genau so drin.

Herr Scheuer, vor dem Hintergrund dieser jüngsten Gerichtsentscheidung sowie des krachend klaren Ergebnisses der Umfrage frage ich: Ist der Groschen nun endlich gefallen? Wir wissen ja, dass Umfragen Angela Merkel immer stark beeindrucken. Aber, Herr Scheuer, kriegen auch Sie jetzt die Kurve? Zeit wäre es.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Jörg Cezanne [DIE LINKE])

In Deutschland werden unter Ihrer Verantwortung immer noch Dieselneuwagen zugelassen, die die zulässige Stickoxidgrenze von 80 Mikrogramm überschreiten; denn erst die Euro-6-Norm hält auch im Realverkehr die Grenzwerte ein. Seit September 2017 sind 40 000 dieser Diesel-Pkw mit Euro 6 zugelassen worden. Aber insgesamt wurden seit September 2017  1,4 Millionen Diesel-Pkw zugelassen. Das heißt, gerade einmal 2,8 Prozent der neu zugelassenen Pkws sind so etwas wie sauber. Das allein ist ein rechtsstaatlich schwer verdaulicher Zustand.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Jetzt haben Sie sich, Herr Scheuer, angeblich mit VW geeinigt, dass die Dieselautos mit Hardware nachgerüstet werden. Das ist gut. Die betroffenen Dieselautofahrer werden sich freuen. Aber Achtung: In der Presse sprechen jetzt auf einmal alle von einer generellen Dieselhardware­nachrüstung. Der zugrundeliegende „Spiegel“-Artikel bezieht sich jedoch nur auf die durch Schummelsoftware manipulierten Autos. Das heißt, entweder hat der „Spiegel“ das nicht verstanden oder fasst das zu eng, oder das Verkehrsministerium und VW versuchen, mit einem Hackentrick die Öffentlichkeit zu täuschen. Was gilt jetzt, Herr Scheuer? In den letzten Stunden kam einmal diese, einmal jene Meldung zutage. Ihre Politik gleicht langsam einem glitschigen Fisch. Man kriegt Sie nicht zu fassen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Ingrid Remmers [DIE LINKE])

Deswegen sage ich: Legen Sie diese Vereinbarung endlich offen – das ist ja wohl das Mindeste –, damit dieses Kasperletheater endlich ein Ende findet.

Damit kommen wir zu einem weiteren Treppenwitz, zu dieser angepriesenen Umweltprämie. Die Verbraucher sollen ihre meist erst wenige Jahre alten Autos abgeben und sich dafür ein neues, teures Auto kaufen, worauf es dann einen Rabatt via Umweltprämie geben soll. Das ist faktisch so eine Art Konjunkturprogramm für die Automobilwirtschaft: Die Automobilwirtschaft hat betrogen und soll dafür von der Abwrackprämie profitieren. Allein das ist unglaublich. Mich persönlich erinnert das an die Geschichte eines anderen CSU-Ministers aus den letzten Tagen: Fehler machen – oder gar, wie hier, betrügen –, und die Bundesregierung springt sofort und gewährt finanzielle Zulagen. Das meinen Sie doch nicht ernst, Herr Scheuer!

Meine Priorität eins sind interessante Tauschoptionen, das haben Sie im „Morgenmagazin“ am Mittwoch gesagt. Was ist eigentlich Ihr Plan, wenn all die Autos wirklich zurückgegeben werden? Wo sollen die hinkommen? Haben Sie dazu irgendwelche Gedanken? Das war dem „Morgenmagazin“ nicht zu entnehmen. Dazu habe ich von Ihnen, ehrlich gesagt, noch nichts gehört.

Herr Scheuer, Sie sagen immer wieder, dass die ganzen Nachrüstungen 18 Monate dauern würden. Wir haben diese Aktuelle Stunde überschrieben mit „Drei Jahre Abgasskandal“. Seit drei Jahren hätten Sie also die Möglichkeit gehabt, das zu tun. Sie hätten alle Autos schon zweimal nachrüsten können. Deswegen sage ich Ihnen: Fangen Sie endlich an; sonst erzählen Sie uns dieses Märchen nächstes Jahr immer noch.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Ich werde das Gefühl nicht los, Sie haben Ihre Rolle in der ganzen Angelegenheit nicht verstanden. Sie gehören zur Bundesregierung. Selbstverständlich wird sich kein Konzernchef bei Ihnen melden und sagen: Hey, Andi, ich habe es jetzt verstanden, kein Problem, wir machen das freiwillig. – Das dürfen die gar nicht. Das sind internationale Aktienunternehmen. Sie sind die Bundesregierung. Ihre Rolle ist es deshalb nicht, Bitte zu sagen oder zu sagen: Wir machen einmal eine Gesprächstherapie. – Ihre Rolle ist es, die Autohersteller dazu zu verpflichten, die Nachrüstungen herbeizuführen – ohne „vielleicht“ und „bitte“.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ein Letztes noch, weil ich das an dieser Stelle einmal klarstellen will. Immer wieder wird vorgebracht: Fahrverbote bedeuten Enteignung. Das habe ich von der CDU gehört, das hört man von der FDP, das hört man permanent von der AfD. – Nein, das ist Quatsch, das ist juristisch Quatsch, das ist politischer Dummsinn.

(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Ja, damit kennen sich die Grünen ja aus!)

Ja, mit vielen Fahrzeugen können Sie dann nicht mehr an bestimmten Orten fahren. Auch „flächendeckend“ fiel heute wieder, völlig irre! Aber einmal ehrlich: Auf der Autobahn darf auch kein Mensch mit dem Fahrrad fahren. Deswegen frage ich Sie einmal: Werde ich durch den Bau neuer Autobahnen enteignet?

(Zurufe von der CDU/CSU)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Sie müssen jetzt zum Schluss kommen, Herr Kollege Gelbhaar.

Stefan Gelbhaar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ist Ihr Haushaltsentwurf, ist Ihr Bundesverkehrswegeplan bloß ein großer Plan zur Enteignung von mir und meinem Fahrrad? Das ist doch Quatsch! Wow, das eröffnet völlig neue Ebenen für die politische und juristische Auseinandersetzung. Ich würde sagen: Das Argument der Enteignung sollten Sie stecken lassen.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Herr Kollege Gelbhaar, bitte.

Stefan Gelbhaar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Belassen wir es dabei, und kommen wir ansatzweise wieder zurück zu einem fundierten Austausch. Das wäre sinnvoll.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)