Rede von Ulle Schauws Aktuelle Stunde: Abschaffung des § 218 StGB

13.12.2018

Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was wir heute hier erleben, ist ein Paradebeispiel für das, was die AfD-Fraktion als politischen Auftrag versteht, nämlich Skandale herbeizureden, wo es keine gibt.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Armin-Paulus Hampel [AfD], auf die linke Seite des Hauses zeigend: Da ist der Skandal, Frau Schauws! Da sitzt er! Ist doch nicht unser Beschluss!)

Es ist kein Skandal, dass die Jusos auf ihrem Parteitag ein gesellschaftlich wichtiges Thema, nämlich einen Antrag auf straffreien Schwangerschaftsabbruch von Frauen, debattieren und über den Antrag abstimmen. Aber es wird zum Skandal, wenn Sie diesen Beschluss nehmen und daraus Fake News machen,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

wenn Sie mit bösartigen Verdrehungen und fehlerhafter Wiedergabe des Inhalts falsche Behauptungen aufstellen. Das ist nicht nur hoch kritikwürdig, das ist unverantwortlich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Wir wissen – und Sie wissen –, dass im Juso-Antrag nirgendwo was von einer Abtreibung bis zum neunten Monat steht. Was hingegen dort steht, ist, dass man eine Neuregelung finden will, die man noch diskutieren muss. Sie schreien ungeachtet dieser Zeilen „Skandal!“, obwohl Sie gar nicht wissen können, wie diese Neuregelung außerhalb des Strafgesetzbuches aussehen soll. Sie verzerren Wahrheiten, weil Sie ganz offensichtlich über das Thema Abtreibung in einer skandalisierenden Weise reden wollen. Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Armin-Paulus Hampel [AfD]: Ja, klar!)

Im Landtag von Baden-Württemberg hat Ihr Kollege von der AfD es diese Woche so auf die Spitze getrieben, genau bei diesem Thema, sich dermaßen danebenbenommen, dass er mit Polizeibegleitung aus der Sitzung geleitet werden musste.

(Thomas Ehrhorn [AfD]: Das hat jetzt nichts mit dem Thema zu tun!)

Ich kann nur sagen: Das ist megapeinlich für die AfD.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Ich sehe es wie der Kollege von der SPD: Es könnte auch ein Ablenkungsmanöver von Ihrer rechtsradikalen Jugendorganisation sein; dieses Eindrucks kann man sich hier nicht erwehren.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Dr. Bernd Baumann [AfD]: Hat keiner Kindermord vorgeschlagen!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sage aber auch ganz klar, worüber wir hier heute reden müssen – ohne die Skandalisierungsversuche der AfD –: Wir müssen reden über eine gute, umfassende Versorgung von ungewollt Schwangeren, über Rechtssicherheit von Ärztinnen und Ärzten;

(Armin-Paulus Hampel [AfD]: Denken Sie mal an die Kinder!)

wir müssen reden über eine Haltung, in der ungewollt Schwangere nicht diffamiert und moralisch verurteilt werden,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

über reproduktive Rechte von Frauen, die ohne uneingeschränkte Selbstbestimmung nicht denkbar sind, über eine emanzipatorische, positive, stärkende Gesellschaft.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, man sollte meinen, aus den vielen Debatten um den § 219a in den letzten 13 Monaten und den vielen Informationen auch aus der Fachanhörung seien Erkenntnisse bei der Regierung angekommen. Darum ist es auch für mich umso unglaublicher, dass es in dem auf den allerletzten Drücker gefundenen Kompromiss zu § 219a nicht zu einer klaren Regelung und zu Rechtssicherheit für Ärztinnen und Ärzte gekommen ist. Stattdessen tun Sie als Bundesregierung alles, um auf keinen Fall den § 219a streichen zu müssen – nur um dieses Tabu aufrechterhalten zu können. Das ist absurd, das ist unausgegoren – aber diese Debatte führen wir heute zu einem späteren Zeitpunkt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die AfD unterstellt Frauen bei den Debatten um den § 218 doch, verantwortungslos zu handeln; Sie haben es gerade genau so gemacht. In Ihrer Vorstellung brauchen Frauen Gesetze, und am besten das Strafgesetzbuch mit Gefängnis­androhung. In Ihrer Vorstellung gibt es jedes Jahr über 100 000 Mörderinnen in Deutschland. – Das ist das Bild von Schwangeren in einer ungewollten Notsituation, das ist das Bild von Schwangeren, die abtreiben müssen. Sie reden von Tötungskliniken, von Kindstötung, und Sie haben heute noch ganz andere Begriffe verwendet; das ist das Vokabular, das Sie benutzen. In Ihrer Vorstellung ist der Feminismus an all dem schuld; bei Ihnen ist allein der Begriff „Feminismus“ schon ein rotes Tuch. Für Sie ist das Ziel einer gleichberechtigten Gesellschaft mit Selbstbestimmung, sexuell-reproduktiven Rechten ein regelrechtes Hexenwerk. Bei Ihren Wahnvorstellungen – ich kann das nicht anders bezeichnen – fühlt es sich so an, dass Sie wirklich im Mittelalter stehen geblieben sind; zumindest kann ich das jeden Tag bei den Debattenbeiträgen von Ihrer Seite so wahrnehmen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Für uns Grüne steht das Ziel einer gleichberechtigten Gesellschaft im Mittelpunkt. Wir wollen eine Gesellschaft, in der Frauen und Männer gleichberechtigt sind und auf Augenhöhe. Wir wollen endlich gleichen Lohn

(Zuruf von der AfD: Es geht um die Kinder!)

für gleichwertige Arbeit, eine paritätische Besetzung in den Parlamenten, in Wirtschaft, Kultur und Medien. Wir sollten das Ehegattensplitting endlich angehen, für mehr Prävention und Schutz bei Gewalt sorgen – auch in bundespolitischer Verantwortung –, für alle Frauen. Digitalisierung mit Diversität, Armut von Frauen im Alter und bei Alleinerziehenden – da fehlen immer noch gute Lösungen. Die bedrückenden Probleme des Sexismus – das hat uns die Me-too-Debatte eindrucksvoll vor Augen geführt –, auch hierfür brauchen wir Lösungen. Das Gleiche gilt für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Das sind Themen, über die wir reden sollten, wo wir Konzepte und Lösungen vorlegen müssen. Dafür würde es sich lohnen, auch sehr kontrovers hier zu streiten.

Aber das interessiert Sie als AfD alles nicht, Sie nutzen diese Aktuelle Stunde für Lösungsvorschläge für Frauen jedenfalls nicht, sondern nur, um Ihre Hetze loszuwerden. Ich hoffe auf eine qualifiziertere Debatte heute Abend über § 219a.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)