Rede von Markus Kurth Aktuelle Stunde: Altersarmut

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11.12.2019

Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kober, Sie wollen die SPD nehmen und mit ihr zurückgehen. Sie haben die SPD ja aufgefordert, mit Ihnen zurückzugehen. Also, wissen Sie, wo Sie herkommen? Ich glaube nicht, dass es für die SPD wirklich eine attraktive Perspektive ist, sich ins Jahr 2013 zurückzubewegen.

(Pascal Kober [FDP]: Aufstieg durch Bildung!)

Das, was Sie hier erzählen, zeigt allerdings, dass Sie wirklich ganz weit zurückwollen. Kann es denn sein, dass wir hier in einer Debatte über Armut im Alter allen Ernstes quasi als Empfehlung geben, dass die Armen im Alter arbeiten gehen? Das ist wirklich wirklichkeitsfremd, muss ich sagen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Pascal Kober [FDP]: Sie haben am Anfang meiner Rede nicht zugehört!)

Wir sind auch dafür, dass man das Arbeiten auf freiwilliger Basis auch nach Erreichen der Regelaltersgrenze erleichtern und ermöglichen sollte.

(Max Straubinger [CDU/CSU]: An beidem ist nichts Schlimmes, lieber Herr Kurth!)

Aber in diesem Kontext von Armutsbekämpfung durch Arbeiten im Alter zu reden, das ist schon – ich benutze das Wort nicht so inflationär – zynisch.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Pascal Kober [FDP]: Sie sollten schon zuhören, wenn Sie kritisieren!)

Auf der anderen Seite, Herr Kober, machen Sie dann auch noch den Vorschlag, als Armutsbekämpfungsmöglichkeit einen Freibetrag in der Grundsicherung einzuführen. Wissen Sie, was das wiederum bedeutet? Das bedeutet, dass die Rentnerinnen und Rentner möglicherweise trotz sehr langer Versicherungszeiten in der Grundsicherung bleiben. Das heißt also, die Angemessenheit der Wohnung wird überprüft; das Ersparte wird angerechnet. Das ist überhaupt keine Lösung für Leute, die auf viele Jahrzehnte Mitgliedschaft in der gesetzlichen Rentenversicherung zurückblicken.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Abg. Pascal Kober [FDP] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

Da ich jetzt sehe, dass die SPD an der Stelle klatscht, worüber ich mich freue, muss ich leider doch sagen: Sie räumen dieses Problem mit Ihrer Grundrente zu weiten Teilen nicht aus. Wenn man Krankenversicherungs- und Pflegeversicherungsbeiträge nach Anwendung Ihres Berechnungsmechanismus anrechnet, und wenn man sich anguckt, wie gerade in den hochpreisigen Städten die Wohnkosten sind, dann stellt man fest – wir werden ja vielleicht irgendwann in ein Gesetzgebungsverfahren dazu kommen –, dass ein großer Teil derer, die Sie erreichen wollen, trotzdem in der Verfahrensmühle Grundsicherung stecken bleibt, obwohl es einen Freibetrag gibt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Völlig korrekt!)

Darum schlagen wir, Bündnis 90/Die Grünen, auch vor, eine Garantierente einzuführen: Nach 30 Versicherungsjahren bekommt man 30 Rentenpunkte. Es soll dabei keine Vermögensprüfung geben,

(Stephan Stracke [CDU/CSU]: Sagen Sie mal was zur Finanzierung, Herr Kurth!)

und es soll nur sichergestellt werden, dass die Ehe nicht bessergestellt ist. Es braucht einfache, unbürokratische Leistungen, auf jeden Fall oberhalb der Grundsicherung. Das wäre ein prima Modell, und dieser Richtung sollten Sie folgen. Geben Sie sich einen Ruck!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Eines muss ich jetzt zu Frau Schielke-Ziesing und der AfD sagen: Was Sie in der Rentenpolitik möchten, ist gar nicht klar. Herr Meuthen – das ist immerhin einer Ihrer Bundesvorsitzenden – hat auf dem Podium mehrerer Rentenveranstaltungen, bei denen ich mit ihm saß, das Vorbild Chile genannt. Chile hat die gesetzliche Rentenversicherung

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Um Gottes willen!)

komplett zerstört und durch eine Kapitaldeckung ersetzt. Dort ist die Armut im Vergleich zu allen OECD-Ländern mit Abstand am allerhöchsten. Das ist das, was Sie den Leuten in Mecklenburg-Vorpommern offenbar vorschlagen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Und der andere da – wie heißt er, der aus Thüringen? –, Bernd Höcke ist auch völlig auf dem Holzweg. Er sagt, er will einen Rentenaufschlag nur für Deutsche. Das ist verfassungswidrig. Das läuft dem Versicherungsprinzip zuwider, bei dem die eingezahlten Beiträge über das Ausgezahlte bestimmen. Das ist das kleine Einmaleins jeder Versicherung, nicht nur der Rentenversicherung.

(Jürgen Pohl [AfD]: Lesen Sie erst mal und dann argumentieren Sie! Keine Ahnung! Davon eine ganze Menge!)

Das ist natürlich vollkommener Unsinn und überhaupt kein rentenpolitisches Konzept.

Da Sie von der AfD gerade noch die Niedriglohnbeschäftigung in Mecklenburg-Vorpommern beklagten und Sie gleichzeitig, wie mir eine Kollegin sagte, heute im Wirtschaftsausschuss die Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen bekämpft haben,

(Ulli Nissen [SPD]: Pfui!)

sage ich Ihnen: Gerade die Beschäftigten, die Zwölf-Stunden-Schichten im Sommer an der Ostseeküste, auf Usedom, auf Rügen machen, gerade die Beschäftigten im Nahrungsmittel- und Gaststättengewerbe, gerade diejenigen, die von Altersarmut tatsächlich risikoreich betroffen sind, sind Ihnen vollkommen egal. Sie wollen die Leute instrumentalisieren

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)

und Wasser auf die Mühlen gießen. In Wirklichkeit verraten Sie von vorne bis hinten deren Interessen.

Danke.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Vielen Dank, Markus Kurth. – Herr Kober, Sie haben sich zu einer Zwischenfrage gemeldet. Aber bei einer Aktuellen Stunde ist das nicht vorgesehen.

(Ulli Nissen [SPD], an den Abg. Pascal Kober [FDP] gewandt: Wie lange sind Sie schon im Parlament?)

Als nächster Redner: Frank Heinrich für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)