Aktuelle Stunde: "Arbeitsplatzverluste bei Siemens"

21.11.2017

Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dieser Tage ist viel von Verantwortung die Rede,

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau!)

so auch in dieser Debatte. Dass Siemens im Windschatten der Regierungsbildung und parallel zur Verkündung von Rekordgewinnen einen Jobkahlschlag in Ostdeutschland plant, ist schlicht verantwortungslos.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Mit fast 1 000 Beschäftigten und Auszubildenden ist das Görlitzer Siemens-Werk einer der letzten verbliebenen Leuchttürme in der ansonsten industriell strukturschwachen Oberlausitz. Eine Schließung des Turbinenwerks würde die gesamte Region hart treffen. Gerade musste die östlichste Stadt Deutschlands, Görlitz, den Abbau von Arbeitsplätzen bei Bombardier in ähnlicher Größenordnung verdauen. Ich zitiere:

Es muss die Aufgabe von uns allen sein, Menschen, die sich zurückgesetzt fühlen, einzubinden und ihnen Perspektiven zu geben.

Dieser Satz von Joe Kaeser zum Ausgang der Bundestagswahl muss für die Siemens-Beschäftigten wie Hohn klingen, und zwar nicht nur in Görlitz, sondern auch in Berlin, Leipzig, Erfurt und anderswo.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Zuruf von der AfD: Warum denn?)

Seit Jahren ist bekannt, dass die Nachfrage nach Kraftwerksturbinen sinkt und weiter sinken wird. Die Belegschaft muss nun ausbaden, dass die Konzernzentrale viel zu lange an der alten Energiewelt festgehalten hat.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der AfD: Also geben Sie es auch noch zu!)

Die Begründung für den Arbeitsplatzabbau in der Sparte Power and Gas, die immerhin noch 8 Prozent Umsatzrendite erwirtschaftet, lautet: fehlende wettbewerbliche Produkte und Überkapazitäten. Das trifft aber auf Görlitz überhaupt nicht zu. Davon zeugen nicht nur die vollen Auftragsbücher, sondern auch die Tatsache, dass in Görlitz Industriedampfturbinen und keine großen Gasturbinen gefertigt werden. Diese kommen zum Beispiel in Biomasseanlagen und Solarthermiekraftwerken zum Einsatz.

Die Technologie der Industriedampfmaschine, meine Damen und Herren, spielt nicht nur heute, sondern auch in Zukunft eine wichtige Rolle, da sie eben nicht von fossilen Energieträgern abhängig ist. Ich habe kein Verständnis dafür, dass diese Fakten in der Konzernzentrale von Siemens überhaupt keine Rolle spielen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Im September konnte ich mir bei einem Besuch des Betriebsrates im Görlitzer Siemens-Werk ein Bild davon machen, auf welch hohem Niveau hier ausgebildet und produziert wird und wie stark das Werk in der Region vor allem mit der Hochschule Zittau/Görlitz in Innovations- und Entwicklungsfragen vernetzt ist. Der Standort ist ein vorbildlicher Partner für Schulen, Hochschulen und Betriebe in der Ausbildung von Fachkräften. Die Schließungspläne blenden dieses Potenzial des Standorts vollkommen aus.

Die Pläne von Siemens zeigen aber einmal mehr: Die Abhängigkeit von fernen Konzernzentralen einerseits und die Kleinteiligkeit der Wirtschaftsstruktur andererseits sind immer noch die Achillesferse der ostdeutschen Wirtschaft. So haben 90 Prozent der Unternehmen in der Oberlausitz weniger als zehn Beschäftigte.

Auch aus diesem Grund brauchen wir ein neues Fördersystem für strukturschwache Regionen, mit dem insbesondere Innovationen in jeder Hinsicht unterstützt werden, damit diese Unternehmen wachsen und die Region stärken können.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Mit zu Ende geführten Sondierungsgesprächen hätten wir mit der steuerlichen Forschungsförderung ein wichtiges Instrument vereinbaren können, um kleine Unternehmen in ihrer Innovationskraft zu stärken.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Die FDP wollte halt nicht!)

Die amtierende Bundesregierung muss jetzt erst recht zu ihrer Zusage stehen, eine Kohleregion wie die Lausitz beim Strukturwandel zu unterstützen. Wir brauchen einen Strukturwandelfonds, um die Oberlausitz voranzubringen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Ihr dürft die Kohle nicht kaputtmachen!)

Mich hat die große Demonstration der Siemens-Beschäftigten in Görlitz am 9. November sehr beeindruckt. Die ganze Stadt war dabei: Beschäftigte von Bombardier und anderen Betrieben, Schülerinnen und Schüler, Vertreter aus allen Parteien – bis auf die FDP – und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus ebenfalls betroffenen Siemens-Standorten. Gemeinsam und solidarisch! Von dieser Aktuellen Stunde, meine Damen und Herren, geht das Signal an die betroffenen Siemens-Beschäftigten: Wir stehen an eurer Seite, und wir werden mit euch für den Erhalt eurer Arbeitsplätze kämpfen!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Werner von Siemens schrieb einst: „Für augenblicklichen Gewinn verkaufe ich die Zukunft nicht.“ Da kann ich nur sagen: Joe Kaeser, übernehmen Sie Verantwortung für Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Lassen Sie uns gemeinsam mit den Beschäftigen und der Politik nach Lösungen suchen, um eine Schließung der Standorte und den Abbau von Arbeitsplätzen zu verhindern.

Herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)