Rede von Filiz Polat Aktuelle Stunde „Bezahlkarte für Geflüchtete“

Foto von Filiz Polat MdB
22.02.2024

Filiz Polat (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte noch mal betonen – auch für die Zuschauer/-innen und Bürger/-innen hier im Raum –: Es wird hier diskutiert über eine Geldkarte für Geflüchtete,

(Yannick Bury [CDU/CSU]: Gut, dass das jetzt noch mal klargestellt wird!)

im Besonderen für Asylbewerberleistungsempfänger/-innen. Niemand ist dagegen. Alle Bundesländer werden und wollen eine entsprechende Geldkarte einführen.

(Karsten Hilse [AfD]: Bezahlkarte!)

Aber, meine Damen und Herren – und das wurde ja auch schon von meinem Vorredner betont –: Eine Einheitlichkeit ist von den Ländern gar nicht geplant. Die Hessische Staatskanzlei – ich glaube, dort wird mittlerweile von der CDU regiert – hat selbst betont, dass über die jeweilige Ausgestaltung jedes Bundesland selbst entscheiden wird.

(Axel Müller [CDU/CSU]: Gilt jetzt, was der Kanzler will oder was die Ministerpräsidenten wollen?)

Wir sehen schon jetzt – das wurde erwähnt –: Zwischen der SocialCard der Landeshauptstadt Hannover und der angedachten Bezahlkarte in Bayern liegen Welten.

Im Übrigen, Frau Lindholz – ich muss es noch mal betonen –, hat die Bayerische Staatskanzlei gesagt, auch ihre, ich sage mal, etwas unmenschlichere Bezahlkarte ist durch die Rechtslage abgedeckt.

Für unsere Fraktion ist entscheidend: Welchen Effekt soll diese Geldkarte eigentlich haben? Sie soll die Kommunen von unnötiger Bürokratie entlasten – das war im Übrigen der Ausgangspunkt aller Debatten beim ersten Flüchtlingsgipfel letztes Jahr in Deutschland –; denn das hilft nicht nur den Geflüchteten und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Verwaltung, sondern kommt letztendlich allen Bürgerinnen und Bürgern der Städte und Kommunen zugute. Ich denke, zumindest da sind wir uns einig.

Das Beispiel Hannover ist genannt worden. Die dort eingeführte Geldkarte hat dazu geführt, dass sechs Mitarbeiter/-innen in der Verwaltung eingespart werden konnten bzw. jetzt für andere Tätigkeiten eingesetzt werden können. Es gibt keine langen Schlangen mehr bei der Behörde, in der sich die Geflüchteten anstellen mussten, um einen Schein zu bekommen. Mit diesem mussten sie zur Sparkasse. Wer mal in Hannover vom Bahnhof in die Innenstadt gegangen ist, hat sich sicherlich gewundert, warum so lange Schlangen vor der Sparkasse standen. Die Geflüchteten mussten dort nämlich ihr Geld abholen.

(Karsten Hilse [AfD]: Es wäre besser, wenn die Schlangen kürzer wären; das ist richtig! Im Allgemeinen!)

Diese Bürokratie wurde jetzt eingespart. Alle sind glücklich.

(Zuruf von der CDU/CSU: „Alle sind glücklich“!)

Es wurde Geld gespart. Was will man mehr, meine Damen und Herren?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was die Bezahlkarte aber nicht soll – und da sind wir uns, denke ich, mit der SPD und der FDP auch einig –,

(Konstantin Kuhle [FDP]: Mal sehen!)

ist: Sie soll die Menschen nicht stigmatisieren und ausgrenzen. Der bayerische Sonderweg, der jetzt gegangen wird, sollte nicht Maßstab der Debatte hier im Bundestag sein.

(Axel Müller [CDU/CSU]: Aha! Sie wollen gar keine Bezahlkarte!)

Warum? Denn da geht es allein darum, Möglichkeiten einzuschränken. Frau Lindholz hat sie ja zum ersten Mal auch angesprochen, die Angst vor dem Bargeld. Das Bargeld ist aber in Deutschland nun mal immer noch ein reguläres Zahlungsmittel, jenseits der Karte,

(Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Was hat denn gestern der BAMF-Präsident gesagt?)

anders als in Kanada oder in Neuseeland, wo auch Wohnungslose per Geldkarte eine Spende bekommen können. Nein, in Deutschland kauft man mit Bargeld gebrauchte Kindersachen auf dem Flohmarkt. Im Internet einzukaufen, ist bei der Bezahlkarte in Bayern verboten. Und man muss sich vorstellen, was für Konflikte innerhalb der Familie es erzeugen wird, wenn eine vierköpfige Familie eine Geldkarte ausgehändigt und nur 50 Euro in bar bekommt: Wer darf die Karte haben? Wie viel wird pro Kind ausgezahlt? Sie wissen alle, in der Schule wird hin und wieder etwas Geld eingesammelt, etwa für Klassenfahrten. Auch am Arbeitsplatz wird mal für Geschenke gesammelt. Das alles wäre nicht mehr möglich. Das ist total lebensfremd, diskriminierend und ausgrenzend. Das wollen wir nicht, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Das sind letztendlich Asylrechtsverschärfungen durch die Hintertür. Dazu gibt es in den Ländern zu Recht unterschiedliche Auffassungen. Wer die Debatte genau verfolgt hat, kann die Unterschiede feststellen. Deswegen wird es unterschiedliche Bezahlkarten geben.

Ganz ehrlich, wer die 90er-Jahre miterlebt hat, weiß: Es gab schon einmal Gutscheine für Geflüchtete. Gutscheine statt Bargeld, das war damals Alltag. Für die Sozialbehörden war das Bürokratie pur. Alle sind glücklich, dass das nicht mehr so ist. Für die Betroffenen war es schrecklich diskriminierend: Sie mussten nach Geschäften suchen, die diese Gutscheine überhaupt akzeptieren; sie mussten die genervten Blicke von anderen Kundinnen und Kunden ertragen, manchmal mitleidend, manchmal herabwürdigend. Hier in diesem Parlament sitzen Kolleginnen und Kollegen, die das erlebt haben; sie stehen stellvertretend für diejenigen in unserer Gesellschaft, die zu Recht sagen: Diese unwürdige Praxis hat – nach viel Druck aus der Zivilgesellschaft, einiger Parteien hier im Bundestag und vor allem auf Wunsch der Kommunen – ein Ende gefunden, und das ist gut so, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Uns Demokratinnen und Demokraten muss einen, dass wir faktenbasiert über Flucht und Migration diskutieren – gerade weil rechtsextreme Kräfte gezielt Falschinformationen über Geflüchtete verbreiten. In der Regierungsbefragung gestern hat Finanzminister Christian Lindner selbst gesagt: Es gibt überhaupt keine validen Daten zu Rücküberweisungen in Herkunftsländer.

(Karsten Hilse [AfD]: Das ist aber ziemlich schwach!)

Auch die Pull-Effekte, –

Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Filiz Polat (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

– die jetzt zum wiederholten Male für die Einführung der Bezahlkarte bemüht werden, sind wissenschaftlich nicht belegt, sondern längst widerlegt, meine Damen und Herren.

Also: Bleiben wir bei den Fakten, und lassen Sie uns eine Bezahlkarte einführen, die nicht ausgrenzt und stigmatisiert!

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:

Die nächste Rednerin ist Martina Renner für die Gruppe Die Linke.

(Beifall bei der Linken)