Rede von Jürgen Trittin Aktuelle Stunde „Butscha“
Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Von Clausewitz stammt der Satz, dass Krieg nur die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln sei. Welche Politik wurde in Butscha mit Morden an Kindern, an Frauen, an Alten mit Folter, mit Vergewaltigung fortgesetzt? Dort, in Butscha, setzte das russische Militär Putins Politik um. Putin, der im Juli davon sprach, die Ukraine bedürfe keiner Eigenstaatlichkeit, es gebe eine einheitliche Nation von Kleinrussen – so nannte er die Ukraine –, Belarussen und Russen, hat genau dieses auf den Weg gebracht. In Butscha wurden aus Putins Ankündigungen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Und diese Verantwortung müssen wir klar benennen. Unter dem Vorwand, die Ukraine von einem jüdischen Präsidenten entnazifizieren zu wollen, kopiert die russische Soldateska bei ihrem Überfall auf die Ukraine die Methoden der Einsatzgruppen der deutschen Wehrmacht, der SS und der deutschen Polizei. Das ist die Realität, vor der wir stehen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)
Michael Roth hat recht: Niemand darf davon überrascht sein, der gesehen hat, was in Grosny, in Aleppo, in Idlib geschehen ist. Aber ich muss noch etwas hinzufügen, an uns alle jenseits der Parteien gerichtet: Anfang der 2000er-Jahre haben viele geglaubt, mit Putin käme ein neuer Peter der Große nach Russland. Doch die Russen haben nicht Wohlstand, nicht Modernisierung erfahren, im Gegenteil: Ihnen wurden nur Nationalismus und Gewalt geboten. Nicht Peter der Große, Wladimir der Schreckliche arbeitet an diesem Europa.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Wir haben uns geirrt. Wir haben geirrt, als wir geglaubt haben, man könne so jemanden mit ökonomischen Mitteln abschrecken. Putin schert sich nicht um ökonomische Abschreckung. Er versteht nur Abschreckung durch Militär und Gewalt. Deswegen die 100 Milliarden Euro, deswegen die Erhöhung der Präsenz an der Ostflanke, deswegen die Waffenlieferung an die Ukraine! Aber wir müssen auch einen anderen Irrtum beenden, den Irrtum, dass Wandel durch Handel geschaffen wird. Wir haben die russischen Banken vom Zahlungsverkehr abgeklemmt. Wir haben die russische Zentralbank von der Währungsreserve abgeschnitten. Das sind die schärfsten Finanzsanktionen, die je verhängt worden sind. Wir haben uns in Europa entschieden – endlich, sage ich –, keine Kohle mehr importieren zu wollen. Deutschland arbeitet daran, dass kein Öl mehr nach Schwedt kommt. Wir arbeiten daran, unseren Gasverbrauch zu reduzieren. Wir legen ein Paket vor, mit dem wir endgültig rauswollen aus den fossilen Energien; denn wir wissen: Nur wenn wir die erneuerbaren Energien schnell ausbauen, schaffen wir Energiesicherheit und beenden unsere Abhängigkeit.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Meine Damen und Herren, glaubt eigentlich jemand, dass wir das jemals wieder rückgängig machen werden? Nein, das werden wir nicht.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Deswegen sollten wir aufhören, von „Sanktionen“ zu sprechen. Was hier stattfindet, ist nichts anderes als die Abkopplung Russlands von den Märkten Europas, von den Märkten der USA, von den Märkten der G‑7-Staaten. Darum geht es. Wir schicken das Russland von Wladimir dem Schrecklichen zurück in die Zeit der 60er-Jahre des letzten Jahrhunderts. Das ist es, woran wir arbeiten.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich muss ein Letztes hinzufügen, meine Damen und Herren. Wir dürfen keinen dieser Morde vergessen. Keiner dieser Mörder darf straffrei ausgehen. Das schulden wir den Opfern, ihren Familien und ihren Freunden. Das ist der Grund, warum wir zusammen mit der Beauftragten für Menschenrechte und dem Internationalen Strafgerichtshof alles tun werden, um Beweise zu sichern und die Verantwortlichen auch tatsächlich vor Gericht zu bringen. Wir müssen doch eines aus dieser Geschichte der Gewalt gelernt haben: Straffreiheit für Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist Beihilfe. – Dies müssen wir beenden. Wir müssen klar sagen: Es gibt nur eine wirkliche Botschaft aus Butscha: Beenden Sie diesen Krieg! Ziehen Sie die russischen Truppen aus der Ukraine ab!
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])
Vizepräsidentin Yvonne Magwas:
Die nächste Rednerin in der Debatte: Renata Alt, FDP-Fraktion.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)