Helge Limburg MdB
29.03.2023

Helge Limburg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist mehrfach gesagt worden: Die kleine ukrainische Stadt Butscha bei Kiew war nur knapp einen Monat lang von der russischen Armee besetzt: ein Monat, der der russischen Besatzungsarmee ausgereicht hat, um zahllose Kriegsverbrechen zu verüben. Die UNO hat 73 Tötungen von Zivilisten sicher dokumentiert und 105 weitere Verdachtsfälle erfasst. Mein Kollege Boris Mijatović hat es gesagt: Die ukrainische Justiz geht von mindestens 419 getöteten Zivilisten aus, die Spuren von Folter oder einer anderweitig gewaltsamen Ermordung aufweisen. 419 Tote in einem Monat: Das ist die grausame Realität der russischen Besatzung!

Darum, meine Damen und Herren, erfüllen die ukrainische Regierung und die ukrainische Armee ihren Schutzauftrag für die eigene Bevölkerung, wenn sie nicht lockerlassen in dem Ziel, das gesamte Gebiet der Ukraine zu befreien. Es gibt immer wieder Rufe nach einem Waffenstillstand. Butscha zeigt, was „Waffenstillstand“ unter russischer Besatzung bedeutet, nämlich – Herr Erndl hat es gesagt –: Mord, sexualisierte Gewalt, Plünderungen von allem, was irgendwie als Beute abtransportiert werden kann, Verschleppen von Kindern nach Russland.

Ja, es muss einen Waffenstillstand geben, es muss Verhandlungen und irgendwann einen Frieden geben; aber es muss ein Waffenstillstand sein, der den Schutz der Zivilbevölkerung einschließt. Wir liefern keine Waffen, weil wir kriegsbegeistert sind. Krieg ist schrecklich, immer! Aber wenn es irgendwo einen gerechten Krieg gibt, dann ist es der Abwehrkampf der ukrainischen Armee, um weitere Butschas zu verhindern, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Die Ukraine strebt nicht nach Rache, sie strebt nach Gerechtigkeit. Die Strafverfahren gegen russische Soldaten, die an den Verbrechen in Butscha beteiligt waren, waren nach allem, was wir wissen, faire Gerichtsverfahren nach rechtsstaatlichen Standards, und das mitten im Krieg. Das ist bemerkenswert, und das zeigt auch – das ist gesagt worden – den großen Willen der Ukraine, ein demokratischer Rechtsstaat mitten in Europa zu bleiben. Wir sollten sie dabei weiterhin unterstützen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Kriegsverbrechen können auch vor dem Internationalen Strafgerichtshof geahndet werden. Den Weg dahin hat die Ukraine eröffnet, weil sie 2014 die Gerichtsbarkeit des IStGH für ihr Territorium anerkannt hat. Das ist gut. Noch besser und ein starkes Signal wäre es, wenn die Ukraine tatsächlich den Vollbeitritt zum Römischen Statut erklären würde und damit noch mal unterstreichen würde, dass sie in der Tat den Weg des internationalen Rechts gehen will.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der LINKEN)

Aber wichtig ist mir auch, zu betonen: Die Taten in Butscha, Irpin, Mariupol und anderswo sind nicht erst seit dem Römischen Statut strafbar. Sie verstoßen bereits gegen die älteste Regel, die wir im humanitären Völkerrecht haben: gegen die Haager Landkriegsordnung von 1907. Auch diese über 100 Jahre alten Regeln werden von der russischen Armee mit Stiefeln getreten.

Der Haftbefehl gegen Putin und seine Kinderbeauftragte, de facto Russlands oberste Kinderhändler, war ein wichtiges Symbol. Er kann aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, mehr werden. Erinnern wir uns an die Namen Ratko Mladic, Radovan Karadzic, Slobodan Milosevic: Als Haftbefehle gegen sie ausgestellt wurden, erschien eine Verhaftung oder ein Gerichtsverfahren utopisch und in weiter Ferne; aber bekanntlich mussten sie sich alle für ihre Taten vor Gericht verantworten. Die Justiz hat einen langen Atem, und Kriegsverbrechen verjähren nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)

Meine Damen und Herren, ich finde wichtig, zu betonen: Kriegsverbrechen passieren nicht einfach, Kriegsverbrechen geschehen nicht. Kriegsverbrechen werden begangen von Menschen, von Soldaten, aus eigenem Antrieb verübt oder angeordnet von Offizieren. Durch den Entschluss, diese Anordnung zu geben oder ihr Folge zu leisten, werden diese Soldaten, diese Offiziere zu Mördern, zu Verbrechern, zu Kriegsverbrechern. Keiner von ihnen darf sich in Sicherheit wiegen. Jeder muss damit rechnen, zur Verantwortung gezogen zu werden. Das ist die Aufgabe der internationalen Strafjustiz.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir sollten und müssen auch hier in Deutschland unseren Beitrag leisten. Zu Recht ist schon die Arbeit des Generalbundesanwalts mit seinen Ermittlungsverfahren gewürdigt worden. Zu Recht ist auch der Bundesjustizminister für die Initiativen gelobt worden, zum Beispiel Urteile nach dem Völkerstrafgesetzbuch endlich zu übersetzen, damit sie der internationalen Staatengemeinschaft, aber auch der Zivilgesellschaft im jeweiligen Land zur Verfügung stehen und verwendet werden können.

Es ist gut, dass wir eine Debatte über Verbesserungen im Völkerstrafgesetzbuch gestartet haben. Wir müssen die Rechte der Nebenklage im Völkerstrafgesetzbuch stärken, damit die Opfer solcher Straftaten wie in Butscha vor deutschen Gerichten eine starke Stimme haben. Wir müssen sexualisierte Gewalt angemessen als das verfolgen, was sie ist, nämlich eine systematische Kriegswaffe gegen Frauen und Mädchen. Und wir müssen beim Verschwindenlassen, wie es zum Beispiel in Donezk seit Jahren praktiziert wird, endlich das Erfordernis des Nachfragens bei Pseudobehörden, damit dieses Verbrechen verfolgt werden kann, streichen. Niemandem kann zugemutet werden, mit diesem Besatzungsregime in Kontakt zu treten. Wir müssen das Völkerstrafgesetzbuch an die Anforderungen, die die schrecklichen Verbrechen von Butscha an uns stellen, anpassen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum Schluss. Es ist bitter, dass es nicht gelungen ist, die Menschen in Butscha vor diesen Verbrechen zu bewahren. Nun müssen wir alles tun, um sie zu ahnden und um weitere Butschas zu verhindern.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Vizepräsidentin Yvonne Magwas:

Damit beende ich die Aktuelle Stunde.