Rede von Agnieszka Brugger Aktuelle Stunde „China“

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10.11.2022

Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In den letzten Jahren mussten wir alle feststellen: Unsere Demokratie, unsere Sicherheit, unsere Wirtschaft, ja, unsere Art und Weise, zu leben, all das ist nicht selbstverständlich und auch nicht unverletzlich. Die Welt ist in den letzten Jahren rauer, krisenhafter und unfriedlicher geworden. Eine Politik, die das nicht wahrhaben will, ist nicht nur naiv, sondern gefährlich.

Das erleben wir in diesen Tagen besonders deutlich. Wenn Staaten, auch in ursprünglich gut gemeintem Interesse, miteinander in vielfältigen Beziehungen verflochten sind und ein Staat davon dann aber Machterwerb und Ideologie über die Kooperation zu beiderseitigem Vorteil stellt, dann wird aus Verflechtung schnell eine Abhängigkeit, die zu Verwundbarkeit werden und im Ernstfall nicht nur finanziell ziemlich teuer werden kann.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Jahrelange Anzeichen, ja Alarmsignale von Putins Russland zu ignorieren, weil man sie nicht wahrhaben wollte oder weil ein billiges Geschäft wichtiger war als unsere Werte und unsere echten Interessen, das war mehr als fahrlässig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Staat, der nicht in seiner Sicherheit gefährdet ist, zugleich aber immens militärisch aufrüstet und seine Nachbarn bedroht, der tut das in der Regel nicht mit einem friedlichen Ziel. Wohin das im Fall von Putins Russland geführt hat, ist eigentlich auch nicht erst am 24. Februar mit dem brutalen Überfall auf die Ukraine offenbar geworden. Diese Ignoranz und diese Naivität, auch die Fehler der alten deutschen Russlandpolitik, sie müssen uns alle eine deutliche Lehre sein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Gyde Jensen [FDP])

So wenig wir uns das wünschen würden, so sehr müssen wir doch auch anerkennen, dass sich die Politik Chinas gerade in den letzten Jahren rapide verändert hat. China wird immer mehr zur Diktatur, setzt immer stärker auf Nationalismus. Die chinesische Führung zeigt ihr wahres Gesicht bei den krassen Menschenrechtsverletzungen gegenüber den Uigurinnen und Uiguren und in der autokratischen Willkür gegenüber kritischen Stimmen im eigenen Land, bei der Eskalation im südchinesischen Meer und den immer aggressiver werdenden militärischen Drohungen gegenüber den Menschen in Taiwan.

(Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU]: Genau! Richtig!)

Sie zeigt es angesichts der Situation in Tibet und in Hongkong. All die Menschen, die dort und in China unter der Verletzung ihrer Freiheit und ihrer Rechte leiden, sie haben unsere Aufmerksamkeit, sie haben unsere Solidarität verdient, nicht nur in Worten, sondern auch in Taten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Meine Damen und Herren, der Charakter der chinesischen Führung zeigt sich aber auch beim wiederholten Schulterschluss mit dem Kriegsverbrecher Putin beim jüngsten Versuch, Kanadas Demokratie durch Korruption und Einflussnahme zu schwächen, bei den harschen Sanktionen gegenüber Litauen und auch in der Politik gegenüber den Staaten in Afrika, wo vermeintlich hilfreiche Investitionen schnell zum Hebel für chinesische Machtinteressen werden. All diese Entwicklungen können wir weder ignorieren, noch dürfen wir sie kleinreden. Wenn China seine Politik verändert, dann kann und darf unsere Politik nicht die alte bleiben. Dass Außenministerin Baerbock eine neue China-Strategie schreibt, die Schluss macht mit „Merkel-Business as usual“ ist daher Ausdruck von kluger Weitsicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Lieber Kollege Wadephul, es wäre ja gut, wenn wir heute auch mal selbstkritisch auf die Fehler der Vergangenheit geschaut hätten. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wo Bundeskanzlerin Merkel in der Frage Huawei und Telekommunikation stand oder wie lange sie gegen zahlreiche Widerstände am Investitionsabkommen mit China festgehalten hat. Sie haben diese Chance für Selbstkritik an dieser Stelle verpasst.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Jens Spahn [CDU/CSU]: Wer hat denn das Außenwirtschaftsrecht geändert?)

Natürlich können und wollen wir nicht alle Verbindungen kappen. Man muss weiter reden auch in Zeiten von Systemkonkurrenz, wenn fundamentale Krisen wie die Klimakatastrophe die Menschen in China wie in Deutschland gleichermaßen bedrohen oder auch wenn ein skrupelloser Kriegsverbrecher mit Nuklearschlägen, dem ultimativen Tabubruch im Krieg, droht.

Bundeskanzler Scholz hat bei seiner Reise erklärt, dass China und Deutschland sich einig seien, dass russische Drohgebärden mit Atomwaffen nicht akzeptabel sind. Als Mitglied im VN-Sicherheitsrat muss China diesen Worten auch Taten folgen lassen und seinen Einfluss auf Wladimir Putin geltend machen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Auch wenn wir in komplizierten Beziehungen zueinander bleiben: In kritischen und sensiblen Bereichen unseres Staates, unserer Infrastruktur, unserer Wirtschaft, müssen wir uns besser schützen. Das fängt mit einem besseren europäischen Monitoring von Lieferketten an. Das bedeutet auch die Untersagung von Investitionen, wie es die Bundesregierung gestern richtigerweise getan hat. Es kann aber auch die Verschärfung von Gesetzen zum Schutz der kritischen Infrastruktur beinhalten. Wirtschaftsminister Habeck hat es gestern treffend auf den Punkt gebracht: „Eine offene Marktwirtschaft ist keine naive Marktwirtschaft.“

(Jens Spahn [CDU/CSU]: Weiß der Kanzler davon?)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Menschenrechte sind nicht westliche Werte und keine Naivität. Es sind universelle Rechte und Regeln, die sich die Weltgemeinschaft gegeben hat.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Frau Kollegin, kommen Sie zum Schluss, bitte.

Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

In dieser Frage bin ich Außenministerin Baerbock für ihre klare Haltung dankbar und ebenso Bundeskanzler Scholz für das jüngste Treffen mit den Menschenrechtsanwälten. Für Menschenrechte einzutreten, ist Ausdruck unserer Überzeugung und unser grundlegendes Interesse.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.

Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sie gehören ins Zentrum unserer neuen China-Strategie; denn sie bilden das Rückgrat unserer Außenpolitik.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)