Rede von Jürgen Trittin Aktuelle Stunde "China"

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30.11.2022

Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dieses Jahr scheint das Jahr der leeren weißen Blätter zu werden. Damit demonstrierten in Russland Menschen gegen Putins Angriffskrieg, und jetzt sind sie das Symbol jener mutigen Chinesinnen und Chinesen, die sich nicht weiter mit der repressiven Covid-Politik von Xi abfinden wollen. Ich finde, dieser Mut, dieses Selbstbewusstsein verdienen unsere Unterstützung, unseren Respekt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Kurz nach dem pompösen 20. Parteitag steht die KP Chinas offensichtlich vor einem riesigen Legitimationsproblem; denn es gab Vorboten für diese Demonstrationen. Da gab es jene Schanghaier Nachbarn, die losgezogen sind, nachdem sie monatelang ohne Essen eingesperrt waren, um ihre benachbarte KP-Zelle zu verprügeln. Da gab es jene Arbeiterinnen und Arbeiter, die, nachdem sie wochenlang bei Foxconn, dem Apple-Fertiger, in der Fabrik gefangen waren und produzieren mussten, in den Streik getreten sind und dafür von Sicherheitskräften angegriffen wurden.

Ja, die KP hat vor Kurzem mit leichten Lockerungen darauf geantwortet, aber dies beseitigt nicht die Ursache der Unzufriedenheit; denn die liegt viel tiefer. Wir müssen heute feststellen: Chinas Zero-Covid-Politik ist gescheitert. Es sind zu wenige Menschen geimpft,

(Dr. Rainer Kraft [AfD]: Hört! Hört!)

und gegen Omikron hilft es eben nicht, wegzusperren und Lockdowns zu verhängen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Dr. Rainer Kraft [AfD]: Was? Weiß der Lauterbach das schon?)

Die Coronakrise ist nicht das einzige Problem. In China ist eine riesige Immobilienblase geplatzt. Das heißt, Millionen Menschen drohen um ihr Erspartes gebracht zu werden, weil die Wohnungen, für die sie bezahlt haben, nicht gebaut werden. Inzwischen sind einige dazu übergegangen, ihre eigenen Wohnungen zu besetzen, die nicht fertig gebaut sind. Die Folgen für China sind: Millionen Wanderarbeiterinnen und Wanderarbeiter sind arbeitslos geworden und zurück in ihre Dörfer vertrieben worden. Ein Fünftel der Jugendlichen – sie sind oft hochqualifiziert und haben im Ausland studiert – ist arbeitslos. Die Lieferketten sind und bleiben gestört. China hat das geringste Wachstum in Asien und ist Schlusslicht geworden, mit verheerenden Folgen auch für unsere Wirtschaft; denn die Lieferketten bleiben gestört.

In dieser Sackgasse beschließt die chinesische Führung, nicht zu ändern, sondern Vollgas zu geben. Dagegen wird zu Recht aufbegehrt, und dagegen brauchen wir eine neue China-Politik. Selbstverständlich: Wir in Europa können nicht ohne China. Aber wir sollten gerade vor dem Hintergrund dieser Vorgänge auch ganz ruhig feststellen: China kann auch nicht ohne Europa.

Ja, es stimmt, das alte Dogma – ob man das nun Schröder oder Merkel zuschreibt – „Wandel durch Handel“ ist gescheitert.

(Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU]: Das war kein Dogma!)

Wir müssen uns klarmachen, und zwar nicht nur der Staat, auch die Wirtschaft, dass Chinas Markt auf Dauer eben kein verlässlicher Markt mehr ist. Das müssen wir in unserer Strategie berücksichtigen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen müssen wir dafür sorgen, dass wir souveräner, dass wir resilienter werden. Deshalb ist es klug, wenn viele Unternehmen sagen: Wir wollen diversifizieren, wir wollen auch Produktionen zurückverlagern. Wir werden dafür auch selber Geld in die Hand nehmen müssen, weil wir in Europa die Chip-Produktion brauchen, weil wir die Pharmaindustrie und die Photovoltaikindustrie, die mal eine schwarz-gelbe Regierung nach China vertrieben hat,

(Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU]: Ach Gott!)

rückverlagern müssen.

Es ist aber eben auch unklug, wie es vier große Unternehmen gemacht haben, die dafür alleine verantwortlich sind, die eigene Abhängigkeit von China durch steigende deutsche Direktinvestitionen in China mitten in der Coronakrise zu erhöhen. Es ist nicht klug, auch wenn man Schwierigkeiten hat, zu diversifizieren, die eigene Abhängigkeit noch weiter zu vergrößern. Das ist der Grund, warum diese Regierung gesagt hat: Ihr tut das künftig auf eigene Rechnung. Diese Investitionen garantieren wir euch nicht mehr, wenn ihr sie beispielsweise in Xinjiang tätigt. Das tut ihr auf eigene Rechnung. – Ich finde, so geht eine menschenrechtsbasierte Außenwirtschaftspolitik.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Und schließlich: Wir brauchen ein Lieferkettengesetz. Wir brauchen ein gesetzliches Verbot des Imports von Produkten aus Zwangsarbeit. Das muss unsere Antwort auf Xi Jinpings angedrohte Repressionswelle sein.

Ich will dazu noch eine Bemerkung machen: Wer unbedingt unter dem Weihnachtsbaum ein neues iPhone aus der Fabrik von Foxconn haben möchte, dem sage ich auch: Apple ist der Konzern, der dieser Tage seine AirDrop-Funktion für China eingeschränkt hat. Mit dieser AirDrop-Funktion konnten Menschen Inhalte – beispielsweise Videos von Demonstrationen – in öffentlichen Verkehrsmitteln an andere weitergeben. Diese Einschränkung gibt es nur in China.

Vizepräsidentin Petra Pau:

Kollege.

Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ich sage Ihnen allen: Wer über den chinesischen Polizeistaat schimpft, der darf über Apple in diesem Zusammenhang nicht schweigen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP und des Abg. Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU])

Vizepräsidentin Petra Pau:

Das Wort hat Dr. Johann Wadephul für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)