Aktuelle Stunde: Cum-Fake

29.11.2018

Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben schon in der letzten Sitzungswoche über die Frage von Cum/Ex gesprochen. Deswegen ist jetzt die Frage: Warum ist das noch einmal notwendig? Der entscheidende Punkt ist, dass uns die Hinweise, die wir von Journalisten über einen neuen möglichen Trick bekommen, zeigen, dass die Probleme, die zu dem großen Steuerskandal Cum/Ex geführt haben, womöglich heute noch nicht überwunden sind, sodass wir jederzeit damit rechnen können, dass wieder Betrügerinnen und Betrüger am Finanzmarkt mit ihren Tricks durchkommen zum Schaden von uns allen. Das muss man verhindern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP – Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: In der Regel sind es Betrüger und keine Betrügerinnen!)

– Es gab sogar einzelne Frauen.

Was wir jetzt beobachten, ist, dass auf die konkrete Anfrage der Journalisten das Bundesfinanzministerium relativ zügig mit einer Veränderung des Verfahrens reagiert hat und Anweisungen an die Steuerbehörden gegeben hat. Es hat an dieser Stelle schnell agiert. Richtig so. Aber es stellt sich, wenn man sich die Prozesse genauer anschaut, die Frage: Warum nicht schon früher? Denn eigentlich ist die Informationskette in einer ordentlichen Verwaltung nicht, dass man über Anfragen von Journalisten auf große Probleme stößt, sondern es müsste eigentlich aus den nachgeordneten Behörden kommen, aus dem Haus selber. Es kann nicht dem Zufall überlassen sein, dass eine solche Information die Hausspitze erreicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)

Das genau hat der Untersuchungsausschuss gezeigt: Die mangelnde Zusammenarbeit zwischen den Finanzmarktzuständigen, also insbesondere der Finanzaufsicht, und den Steuerbehörden hat dazu geführt, dass die Finanzaufsicht gesagt hat: „Da sind wir nicht zuständig, da geht es um Steuer“, und dass Steuerleute bei diesen Finanzmarkttricks nicht wussten, was wirklich passiert.

Deswegen ist es so wichtig, dass zusammengearbeitet wird. Jetzt schauen wir uns die neuen Ergebnisse in Bezug auf diese Frage an und stellen fest: Das Bundeszentralamt für Steuern hat sich, so die Auskunft, die wir bekommen haben, schon seit 2015 mit diesem Thema grob beschäftigt. Wir stellen fest, die Finanzaufsichtsbehörde BaFin hat in ihrer Eigenschaft als Mitwirkende in der neuen europäischen Aufsichtsstruktur seit einer ganzen Zeit, spätestens im Juli dieses Jahres, genaue Hinweise gehabt, dass die Deutsche Bank und andere Banken mit den amerikanischen Aufsichtsbehörden in Konflikt waren. Aber diese Informationen sind wieder nicht zusammengeführt worden, sondern sie haben erst eine Reaktion ausgelöst, als die Journalisten kamen. Da genau ist der Fehler. Das heißt, das Strukturproblem im Bundesministerium der Finanzen ist seit Beendigung des Cum/Ex-Tricks nicht überwunden worden. Wir müssen damit rechnen, dass so etwas jederzeit wieder passieren kann.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Da müssen Sie und auch wir jetzt handeln. Das Europäische Parlament hat uns gezeigt, dass Parlamente bei solchen Sachen durchaus schnell reagieren können. Es hat beschlossen, dass die europäischen Finanzaufsichtsbehörden eine Sektoruntersuchung machen, um herauszufinden, was eigentlich los ist in Sachen Finanzbetrug. Meine Bitte ist, dass der Deutsche Bundestag sich mit genau derselben Tatkraft der Finanzkriminalität widmet und dafür sorgt, dass auch unsere Aufsichtsbehörden endlich so fit sind, dass sie solche Betrügereien aufdecken.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Ich finde, daran haben wir ein gemeinsames Interesse. Ich habe konzediert, dass das Bundesfinanzministerium an einer Stelle schnell reagiert hat. Ich will auch konzedieren, dass der neue Bundesfinanzminister, der noch kein Jahr im Amt ist, nicht alle Versäumnisse aus der Schäuble-Zeit zu verantworten hat. Lassen Sie uns jetzt doch einmal zusammenarbeiten. Es ist nicht gerade vertrauensbildend, wenn die Antworten auf die von mir gestellten Fragen gestern im Ausschuss zugesagt werden und dann nur an die Koalitionsfraktionen geschickt werden. Lassen Sie uns bitte einmal sauber arbeiten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das kann ja gar nicht stimmen!)

– So ist es aber.

Das Entscheidende, was zu tun ist, ist, dass die Finanzaufsicht die klare Anweisung vom Bundesministerium der Finanzen erhält, dass Steuerfragen – soweit sie Finanzkriminalität sind –, die am Finanzmarkt stattfinden, etwas sind, wofür auch die Finanzaufsichtsbehörde zuständig ist. Es kann doch nicht sein, dass die sagen: Kriminalität ist uns Wurst, wenn es um Steuern geht. – Die Finanzaufsicht muss für einen sauberen Finanzmarkt sorgen. Dafür ist sie da.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Fabio De Masi [DIE LINKE])

Wir müssen dafür sorgen, dass das, was in Sachen Steuern passiert, wo Auszahlungen und Erstattungen stattfinden, systematisch analysiert wird im Hinblick darauf, dass wir Fehlentwicklungen erkennen können. Da muss man dann auch – das ist ein weiterer Punkt – sinnvoll mit den Finanzmarktakteuren zusammenarbeiten. Ein Steuerspezialist kennt sich nicht unbedingt mit American Depositary Receipts aus. Das ist doch normal. Aber wenn man es so organisiert, wie es in einer modernen Verwaltung sein müsste, dann würde man die Leute in einer Taskforce zusammenbringen, damit der Staat endlich auf Augenhöhe mit den Kriminellen ist. Das ist unsere Aufgabe.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD])

Es gibt eine europäische Dimension: Die mangelnde Zusammenarbeit innerhalb Europas hat es den Betrügern leicht gemacht. Deswegen müssen wir auf europäischer Ebene stärker zusammenarbeiten. Wir schlagen eine europäische Finanzpolizei vor. Wir sollten Finanzkriminalität endlich so bekämpfen, wie wir Kriminalität an anderer Stelle auch bekämpfen. Der frühere Abteilungsleiter Steuern hat das, was bei Cum/Ex passiert ist, organisierte Kriminalität genannt. Dann lassen Sie uns endlich auch so auf diese Kriminalität reagieren, wie das notwendig ist, und nicht so tun, als seien das Kinkerlitzchen. Es ist viel Geld für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler verloren gegangen.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)