Aktuelle Stunde: Dieselfahrverbote

11.10.2018

Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass in dieser Debatte rechtsstaatliche Prinzipien infrage gestellt oder nicht verstanden werden, ist schon beschämend. Gerichte sind unabhängig, und das ist gut so.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

In der gestrigen Sitzung des Verkehrsausschusses sprach Minister Scheuer von „messbaren Erfolgen“ seiner bisherigen Maßnahmen zur Reduktion der Luftschadstoffe in Städten. Das sah das Verwaltungsgericht in Berlin ganz offensichtlich anders; denn es hat streckenbezogene Fahrverbote für schmutzige Diesel verhängt. Meine Damen und Herren, die politische Verantwortung für dieses und alle anderen Fahrverbote trägt Verkehrsminister Scheuer; denn er verhindert seit drei Jahren notwendige und wirkungsvolle Hardwarenachrüstungen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Felix Schreiner [CDU/CSU]: Was hat denn das mit Herrn Scheuer zu tun!)

Das letzte Woche von der Bundesregierung präsentierte Dieselkonzept hilft jedenfalls nicht. Es ist wie ein Soufflé: Es sieht gut aus, aber piekst man hinein, fällt es in sich zusammen, und nichts anderes als heiße Luft kommt heraus. Der Bundesregierung ist es nicht gelungen, die Autohersteller zu Hardwarenachrüstungen zu verpflichten.

(Felix Schreiner [CDU/CSU]: Weil es nicht geht!)

Kaum hatte die Koalition ihr Konzept vorgelegt, erklärten schon einige Hersteller, dass sie keine Hardwarenachrüstungen vornehmen werden, geschweige denn vorhaben, die Kosten dafür zu tragen. Mit anderen Worten: Diese Bundesregierung hat nichts in der Hand.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Statt flächendeckender Lösungen für alle betroffenen Autofahrer schafft Verkehrsminister Scheuer einen Flickenteppich von Maßnahmen, die nur für wenige Städte gelten, aber nicht für alle, die von erhöhten, über dem zulässigen Grenzwert liegenden Stickoxidwerten betroffen sind. Was beim letzten Dieselgipfel noch Umstiegsprämie hieß, wird jetzt als Umtauschaktion wieder aufgewärmt. Der Verkehrsminister versteht sich offenbar als Verkaufsagent der Automobilindustrie.

Meine Damen und Herren, wenn Flottenerneuerung vor Hardwarenachrüstungen Priorität hat, werden am Ende die Verbraucherinnen und Verbraucher für die Betrügereien der Industrie draufzahlen. Viele Autofahrer können sich auch mit Prämien kein neues Auto kaufen. Einige der jetzt angebotenen Prämien werden zudem mit den bestehenden Rabatten verrechnet. Das Angebot gilt auch nur für circa 14 Städte. Alle anderen Dieselbesitzer werden mit dem Wertverlust ihrer Fahrzeuge alleingelassen. Für diese Menschen haben der Verkehrsminister und die Automobilindustrie kein Angebot.

Was bringt der Autotausch für die Verbesserung der Luftqualität? Jetzt musst du zuhören, lieber Oliver Luksic.

(Oliver Luksic [FDP]: Ja!)

Es ist noch nicht einmal sicher, dass die getauschten Autos bessere Abgaswerte haben werden als zurückgegebene Modelle; denn zahlreiche Modelle der Abgasnorm Euro 6 sind beim Stickoxidausstoß auf der Straße genauso mies wie die Euro‑5-Modelle. Wenn schon Umtausch, dann dürfte dieser nur gegen Fahrzeuge erfolgen, die die neueste Abgasnorm Euro‑6d-TEMP erfüllen.

(Bernd Reuther [FDP]: Die gibt es ja nicht!)

Doch da haben viele Hersteller entweder kaum Angebote oder lange Wartezeiten. Und wenn es Angebote gibt, dann sind das schwere und teure SUV.

Was passiert nun mit den alten Autos? Wenn schmutzige Dieselautos künftig nicht mehr in Stuttgart, Düsseldorf oder München fahren, sondern in Großstädten Mittel- und Osteuropas, hat die Autoindustrie unter dem Strich zu keiner Verbesserung der Luftqualität beigetragen. Es kann doch nicht sein, dass die ausgemusterten Autos in anderen Städten Europas zum Problem werden, weil wir hier das Problem lösen wollen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Nach dem Konzept der Bundesregierung sollen künftig Euro‑5- und Euro‑4-Dieselautos durch eine Gesetzesänderung generell von Fahrverboten ausgenommen werden, wenn diese auf einen Stickoxidausstoß von unter 270 Milligramm pro Kilometer im Realbetrieb kommen. Für alle anderen Dieselfahrzeuge gelten dann Fahrverbote. Das heißt, die Bundesregierung schafft die Voraussetzungen für Fahrverbote, lässt aber die Verbraucherinnen und Verbraucher im Regen stehen, weil sie eben keine Hardwarenachrüstungen durchsetzt.

(Oliver Luksic [FDP]: Da hat er recht!)

Ohne Nachrüstungen werden eben nur wenige Diesel-Pkw diese Auflage erfüllen können. Die jetzt gefundene Lösung ist zudem bürokratisch und schwer kontrollierbar. Mein Eindruck ist, dass das bewusst so gemacht wird. Dabei liegt die einfachste Lösung schon längst auf dem Tisch, nämlich die blaue Plakette. Autos mit niedrigen Abgaswerten könnten dann leicht anhand der Plakette erkannt werden und in die betroffenen Städte einfahren.

Ich komme zurück zum Dreh- und Angelpunkt, nämlich zur Frage der Hardwarenachrüstung; denn nur mit dieser Lösung können wir saubere Luft in den Städten gewährleisten. Hardwarenachrüstungen sind in erster Linie eine Frage des politischen Willens. Das hat jetzt auch die SPD erkannt. Richtig ist, dass die Bundesregierung der Automobilindustrie mit Bußgeldern von bis zu 5 000 Euro pro Fahrzeug drohen könnte. Ohne wirklichen politischen Druck wird nämlich nichts weiter passieren.

Wirtschaftsminister Altmaier hält Bußgelder für rechtsstaatlich nicht vertretbar. Das ist falsch. Das Verkehrsministerium hat diesen Vorschlag selber erarbeitet. Da empfehle ich einfach, einen Blick in die Unterlagen des Abgas-Untersuchungsausschusses aus der letzten Legislaturperiode zu werfen. Dort steht das schwarz auf weiß.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Herr Kollege, auch Sie müssen leider zum Schluss kommen, bitte.

Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ich komme zum Schluss. – Solange aber Verkehrsminister Scheuer weiterhin der Buddy der Automobilindustrie ist und die SPD sich leider nicht durchsetzen kann, werden Gerichte weiter Fahrverbote verhängen und die Verbraucher den Schaden haben. Diese Praxis muss endlich beendet werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)