Rede von Stefan Wenzel Aktuelle Stunde „Energieversorgung im Winter“

23.06.2022

Stefan Wenzel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bin froh, dass wir in dieser Lage eine Bundesregierung haben, die handelt und die sich sehr bewusst den Herausforderungen stellt, die aufgrund des Angriffskriegs auf die Ukraine im Februar dieses Jahres entstanden sind.

Es geht um drei Maßnahmen. Zum einen um Maßnahmen zur Notfallvorsorge. Herr Spahn, dafür wurden jetzt im Vorfeld die gesetzlichen Voraussetzungen geschaffen, um Prioritäten zu klären, um zu prüfen: „Wie hoch sind eigentlich die Verbräuche?“, um die Maßnahmen entsprechend administrieren zu können. Dabei wurden auch sehr unbequeme Entscheidungen getroffen: der Import von LNG, die Nutzung der Netzreserve. Das sind Maßnahmen, die in den letzten Wochen eingeleitet wurden.

Zum anderen geht es um das Thema „Effizienz und Einsparung“. Es ist deshalb von elementarer Bedeutung, weil diese Maßnahmen zur Preisdämpfung führen. Das hilft der Industrie und den Verbraucherinnen und Verbrauchern, und zwar weil einerseits die Nachfrage gedämpft wird und andererseits die Rechnungsbeträge kleiner werden.

Darüber hinaus geht es um den Ausbau der erneuerbaren Energien, der ganz entscheidend ist. Die Gesetze hierzu – mein Kollege hat darauf hingewiesen – werden zum größten Teil in zwei Wochen auf dem Tisch liegen.

(Dr. Andreas Lenz [CDU/CSU]: Das ist viel zu spät!)

Wo kommen wir her, Herr Spahn? Sie haben gesagt, das gehe alles nicht schnell genug. Im letzten Jahr um diese Zeit, den ganzen Sommer über bis zur Regierungsübernahme im Herbst haben Sie nicht gemerkt, dass der größte Gasspeicher in Deutschland schlicht und einfach fast leer war.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Wo war die Regierung, wo war der Wirtschaftsminister Altmaier? Warum haben wir nicht einmal gehört, wie die Situation tatsächlich ist, meine Damen und Herren?

(Jens Spahn [CDU/CSU]: Das funktioniert alles noch ein paar Wochen! Dann ist es vorbei!)

In den letzten drei Jahren Ihrer Regierungszeit ist der Windkraftausbau um 90 Prozent eingebrochen.

(Stephan Brandner [AfD]: Gott sei Dank! – Filiz Polat [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!)

Das ist wirklich eine heftige Zahl. Wir wären schon längst viel unabhängiger. Vor allen Dingen hätten wir auch die Industrie im Land gehalten. Die Arbeitsplätze, die hier verloren gegangen sind, hätten wir gehalten.

Ich muss manchmal auch an den letzten Ausstieg aus dem Ausstieg denken, Herr Spahn. Diese Entscheidung wurde 2010 getroffen und hat uns am Ende Milliarden gekostet. Das haben Sie mit zu verantworten.

(Filiz Polat [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!)

Meine Damen und Herren, klar ist: Wir haben ein Gasproblem, und das spüren die Firmen und die Verbraucherinnen und Verbraucher nicht erst im Winter, sondern bereits jetzt. Im Moment liegt der Gaspreis im Großhandel bei etwa 130 Euro pro Megawattstunde. Im letzten Jahr hat BASF wahrscheinlich noch für einen Preis von 15 oder 20 Euro eingekauft. Dann gibt es noch Altverträge. Einige haben möglicherweise noch kostengünstige Bezugsquellen. Aber alle, die am Spotmarkt einkaufen müssen, zahlen die hohen Preise, und die haben die Probleme natürlich schon heute. Deswegen geht es jetzt auch darum, zu überlegen: Wie können wir unsere Industrie für die Zukunft wettbewerbsfähig machen, wie sorgen wir dafür, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher ihre Wohnung zu vertretbaren Preisen beheizen können?

Eine ganz enorme Rolle spielt jetzt, dass wir vorausschauend in die Technologien investieren, die uns in Zukunft helfen. Der Blick nach Frankreich zeigt, dass der Weg, der dort eingeschlagen wurde, nicht der richtige ist. In den letzten drei, vier Monaten des letzten Jahres hatte Frankreich beispielsweise durchweg deutlich höhere Strompreise als wir hier in Mitteleuropa.

(Jens Spahn [CDU/CSU]: Ich will mal hören, was geht, und nicht immer hören, was nicht geht!)

Im Moment sehen wir das auch wieder. Atomkraft, Herr Spahn, hat sich als Preistreiber erwiesen. Und der Bau des einzigen Atomkraftwerks, das dort derzeit neu gebaut wird, ist mittlerweile zehn Jahre in Verzug. Die Kosten betrugen ursprünglich 3,5 Milliarden Euro, jetzt ist man bei 19,5 Milliarden Euro.

(Jens Spahn [CDU/CSU]: Was machen wir denn jetzt im Winter? Ich weiß es immer noch nicht!)

Wenn wir wettbewerbsfähige Preise wollen, muss das anders gehen.

Wir dürfen uns auch nicht wieder in neue Abhängigkeiten begeben. Selbst die USA haben 25 Prozent ihrer Brennelemente aus russischen Quellen bezogen. 18 nukleare Kraftwerke in Osteuropa hängen noch von russischen Quellen ab. 53 Prozent der Welturanvorkommen kommen aus Usbekistan, Kasachstan und Russland.

(Jens Spahn [CDU/CSU]: Was machen wir denn jetzt im Winter? Ich habe es immer noch nicht verstanden!)

Diese Zeit lassen wir hoffentlich bald hinter uns, Herr Spahn. Trotzdem habe ich die Hoffnung, dass wir die entscheidenden Weichenstellungen für die Zukunft hier mit möglichst breiten Mehrheiten vornehmen können.

Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:

Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Kollege.

Stefan Wenzel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Bei solch großen Herausforderungen ist es immer gut, wenn sich auch eine große Oppositionspartei den Herausforderungen stellt.

Vielen Dank fürs Zuhören.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Jens Spahn [CDU/CSU]: Jetzt weiß ich immer noch nicht, was wir für den nächsten Winter machen! Ich habe noch nichts gehört!)

Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Aktuelle Stunde ist beendet.