Rede von Dr. Konstantin von Notz Aktuelle Stunde "Fall Ibrahim Miri"

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08.11.2019

Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es gibt unendlich viele spannende Themen hier im Deutschen Bundestag, zum Beispiel das ernste Problem der Clankriminalität oder menschenverachtende Schlepperbanden. Um all das, Herr Kollege Buschmann, geht es Ihnen in der Aktuellen Stunde heute leider nicht;

(Dr. Marco Buschmann [FDP]: Sie haben nicht zugehört!)

das kann man schon am Titel ablesen. Dass Sie die Zeit Ihrer Regierungsverantwortung überspringen, indem Sie bei 1998 anfangen, spricht Bände, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Konstantin Kuhle [FDP]: Aber nicht in Bremen! – Dr. Marco Buschmann [FDP]: Wann haben wir denn in Bremen regiert, Herr Kollege?)

Wir diskutieren hier einen singulären Fall, und der ist für die Legislative nie ein guter Ratgeber. Oft werden solche Debatten für den vermeintlich schnellen populistischen Punktgewinn geführt; aber es sind genau diese Symboldebatten, die unsere Gesellschaft spalten und uns alle keinen Deut voranbringen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ihr durchsichtiges Ziel, liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, war es, den Innenminister hier heute vorzuführen.

(Konstantin Kuhle [FDP]: Das ist unsere verfassungsmäßige Aufgabe!)

Doch Horst Seehofer nimmt Ihre Vorlage dankbar auf und setzt seine Dauererzählung von den notwendigen nationalen Grenzkontrollen im Schengenraum darauf. In ausdrücklich beide Richtungen sage ich im Namen meiner Fraktion: Dieser Fall eignet sich sowohl für populistische Grenzkontroll- als auch für populistische Asyldebatten überhaupt nicht, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

In der Sache geht es nämlich um den Fall eines Mannes, der wegen Drogenhandels zu sechs Jahren Haft verurteilt worden ist und der vom Oberlandesgericht Bremen nach Verbüßung von zwei Dritteln seiner Haftstrafe auf Bewährung entlassen wurde. Bald nach dieser Entlassung wurde er abgeschoben und ist dann – leider genauso bald – wieder illegal nach Deutschland eingereist. Bei seinem Besuch des BAMF, wo er Asyl beantragt hat, wurde er festgenommen und sitzt derzeit in Abschiebehaft.

(Ottmar von Holtz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo hat denn die FDP da ein Problem?)

Es könnte übrigens auch Strafhaft sein; aber über diese Fragen entscheiden richtigerweise nicht wir, sondern die Justiz.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)

Diese Systematik nennt man Gewaltenteilung, und sie ist ein bewährtes rechtsstaatliches Prinzip, meine Damen und Herren.

So weit die Fakten. Was lehrt uns das? Es lehrt uns erstens, dass Clankriminalität und Drogenhandel in unserem Rechtsstaat zu sehr empfindlichen Haftstrafen führen, zweitens, dass unser Rechtsstaat auch diesen zu langen Haftstrafen verurteilten Menschen die Chance zur Rehabilitierung und Bewährung bietet. Es lehrt uns drittens, dass Abschiebungen, auch im rot-rot-grünen Bremen, durchgeführt werden, und viertens, dass es aller Grenzkontrollen und Schleierfahndungen zum Trotz

(Beatrix von Storch [AfD]: Welche Grenzkontrollen?)

einigen Menschen tatsächlich immer noch gelingt,

(Zurufe von der AfD: Allen!)

illegal in dieses Land einzureisen bzw. wieder einzureisen, Frau von Storch. Aber es lehrt uns eben auch, dass unser Rechtsstaat funktioniert.

(Beatrix von Storch [AfD]: Er bricht zusammen!)

Denn wer das Gesetz in dieser Weise überschreitet, kann festgenommen werden. Der Rechtsstaat funktioniert sogar so gut, dass Herr Miri auch noch einen Asylantrag stellen darf – der dann aber selbstverständlich auch zügig, sehr zügig, abgelehnt werden kann.

(Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD])

So funktioniert das im Rechtsstaat, liebe AfD – willkommen hier!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Man kann das alles abschaffen wollen. Aber ich sage Ihnen in aller Deutlichkeit: Ich bin dankbar für diesen Rechtsstaat, in dem wir heute nach all den Verwerfungen der deutschen Geschichte

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Das musste ja kommen!)

leben, meine Damen und Herren. Der Minister hat es gesagt: Der Rechtsstaat gilt auch für seine Feinde. – Frau von Storch, weil Sie hier die ganze Zeit hereinrufen: Ich sage Ihnen: Sie sägen an dem Ast, auf dem Sie sitzen.

(Dr. Eva Högl [SPD]: Ja, genau!)

Ich sage Ihnen auch: Wir verteidigen den Rechtsstaat – auch für seine Feindinnen und Feinde.

(Zuruf von der AfD)

Natürlich müssen wir wissen, wer in unser Land einreist und wer hier Asyl beantragt, und wir müssen die Einreiseverbote durchsetzen, und Verstöße müssen sanktioniert werden. Genau das ist hier geschehen. Wenn dieser Fall für Horst Seehofer ein Lackmustest für die wehrhafte Demokratie ist, dann kann man nur sagen: Der Test ist bestanden.

(Beifall der Abg. Dr. Silke Launert [CDU/CSU])

Aber dann, Herr Minister, ist es schlicht widersprüchlich, wenn man unseren Rechtsstaat ständig madig macht mit Begriffen wie „Herrschaft des Unrechts“ oder der Forderung nach einem Zurück zu innereuropäischen Grenzregimen, die den Schengenraum bis zur Unkenntlichkeit zerschneiden. Meine Damen und Herren, wer die Debatte so führt, agiert rechtspolitisch und europapolitisch unter seinem Niveau.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Wir sollten intensiv und konstruktiv – den Ball nehme ich gerne auf, Herr Seehofer – miteinander über die Bekämpfung der organisierten Kriminalität und Clankriminalität, über die Beschleunigung von Asylverfahren und über die entschiedene, effektive und rechtsstaatliche Verbesserung des Schutzes der europäischen Außengrenzen diskutieren. Aber überlassen wir doch bitte die Einzelfälle

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Das ist ein Clan, kein Einzelfall!)

unserer Justiz und unserem Rechtsstaat! Er ist dafür sehr, sehr gut gerüstet.

Ganz herzlichen Dank und einen schönen Abend.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)

Vizepräsidentin Petra Pau:

Das Wort hat der Kollege Thorsten Frei für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)