Rede von Filiz Polat Aktuelle Stunde "Flüchtlings-und Integrationspolitik"

15.06.2018

Filiz Polat (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

Was ist mit dir los, humanistisches Europa, du Verfechterin der Menschenrechte, der Demokratie und der Freiheit? Was ist mit dir los, Europa, du Heimat von Dichtern, Philosophen, Künstlern, Musikern, Literaten?

(Jürgen Braun [AfD]: Das fragen wir uns auch!)

Was ist mit dir los, Europa, du Mutter von Völkern und Nationen, Mutter großer Männer und Frauen, die die Würde ihrer Brüder und Schwestern zu verteidigen und dafür ihr Leben hinzugeben wussten?

Vier Wochen nach diesen Worten von Papst Franziskus steht dieses Europa, steht Deutschland vor einer Weichenstellung, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Es geht um den Zusammenhalt in Europa – das wurde hier deutlich –, um Solidarität, aber auch um die Aufrechterhaltung universeller Menschenrechte und um das Grundgerüst unserer Union. Es geht darum, ob die europäischen Staaten in der Lage sind, gemeinsam Probleme zu lösen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die CSU hat in dieser Woche mit ihrem selbsternannten Heimatminister gezeigt, dass sie lieber den Weg der Achse der Willigen mit den Rechtspopulisten in Europa gehen will.

(Jürgen Braun [AfD]: Hoffentlich!)

Da machen wir nicht mit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Sie verspielen damit nicht nur Ihre Glaubwürdigkeit, sondern Sie beweisen auch Ihre Unfähigkeit, für Deutschland Verantwortung zu übernehmen –

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

ein Land, das für Humanität, Menschenrechte und für das höchste Gut, den europäischen Gedanken, steht. Sie wollen keine Probleme lösen, Herr Seehofer, das wurde diese Woche deutlich. Sie wollen in Berlin Wahlkampf für Bayern machen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist schlecht!)

Mit dieser Angst, am 14. Oktober in Bayern die absolute Mehrheit zu verlieren, stürzen Sie nicht nur Deutschland, sondern auch Europa in eine Krise, und das ist unverantwortlich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie der Abg. Ute Vogt [SPD])

Aber allen geht es immer nur um die Sache.

(Jürgen Braun [AfD]: Frau Merkel hat vor drei Jahren eine große Krise ausgelöst, niemand sonst! Merkel mit Unterstützung der Grünen!)

Wenn dem tatsächlich so ist, dann erinnere ich – wir haben es heute Morgen beim Parlamentarischen Frühstück gehört – an die „Aquarius“, eine verzweifelte Rettungsmission, die in diesen Tagen vor den Küsten Europas versucht, 629 Menschen, darunter 123 unbegleitete Minderjährige, 11 Kinder und 7 schwangere Frauen, in einen sicheren Hafen zu bringen.

(Jürgen Braun [AfD]: Illegale nach Europa zu schaffen! Eine Schlepperorganisation!)

Sehen Sie, worum es geht? Es geht um Menschen, und der bayerische Ministerpräsident stellt sich hin und spricht von Asyltourismus. Wir finden das widerlich und beschämend.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Jürgen Braun [AfD]: Wo er recht hat, hat er recht!)

Sie haben eine Verantwortung, und wir sehen an keiner Stelle, dass Sie dieser gerecht werden. Markus Söder sagte gestern: Was richtig ist, muss man vertreten. – Dann mal los! Denn richtig ist die Achtung der Menschenwürde, richtig ist der europäische Gedanke, die Solidarität und richtig ist unser Grundgesetz. Sie marschieren gerade alle miteinander.in die entgegengesetzte Richtung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Das Grundrecht auf Asyl und die Genfer Flüchtlingskonvention sind infolge zweier schrecklicher Weltkriege entstanden, und Sie sind dabei, dieses in unserer Verfassung verankerte Grundrecht infrage zu stellen. Haben Sie nichts gelernt? Da machen wir nicht mit, meine Damen und Herren!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch Ihr angeblicher Masterplan – dies wurde deutlich; Herr Middelberg scheint ihn ja zu kennen – bringt tiefe Einschnitte in die Grundrechte. Das zeigen die Maßnahmen, die wir schon kennen. Herr Middelberg, ich frage: Warum entwickeln Sie keinen Masterplan „Integration“? Herr Minister, Sie haben es doch selbst im Innenausschuss gesagt. Sie sind auch der Minister für Integration. Wo bleibt der Masterplan für Integration, den wir so dringend brauchen?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Noch ein Wort zur SPD, Frau Högl – das muss ich sagen, weil ich in Niedersachsen fünf Jahre wirklich gut mit Ihnen zusammengearbeitet habe –: Ich darf Sie daran erinnern, dass Sie hier auch mitregieren. Von der Union ein „Ende des Theaterdonners“ zu fordern – Drama oder Tragödie, das wissen wir bis heute nicht –, das klingt nicht nur passiv, sondern auch recht hilflos. Sie sitzen nicht im Publikum, sondern Sie sitzen am Kabinettstisch. Also: Wo waren Sie gestern? Wo waren Sie, als die Kanzlerin den Abschiebestopp nach Afghanistan so kurz weggewischt hat? Manchmal frage ich mich: Wo waren Sie bei den Koalitionsverhandlungen? Sie haben Verantwortung übernommen, liebe SPD. Füllen Sie diese gefälligst auch aus.

(Zuruf der Abg. Dr. Eva Högl [SPD])

Was die CSU hier vorgelegt hat, ist ein Bruch des Koalitionsvertrages. Wenn Sie Ihrer Verantwortung gerecht werden wollen, dann belassen Sie es nicht bei Worthülsen wie heute Morgen im „Morgenmagazin“.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.

Filiz Polat (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ich komme zum Schluss.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Aber wirklich.

Filiz Polat (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ich möchte mit den Worten von Frau Dr. Anita Lasker Wallfisch, der Holocaust-Überlebenden, enden. Sie hat vor fünf Monaten zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus hier in diesem Hohen Hause gesprochen.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Frau Kollegin, bitte.

Filiz Polat (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident, ich zitiere:

Die Welt ist voller Flüchtlinge. Für uns haben sich die Grenzen damals hermetisch geschlossen und nicht, wie hier, geöffnet, …

(Lachen bei der AfD – Jürgen Braun [AfD]: Es geht um Wirtschaftsmigration!)

– Da brauchen Sie gar nicht zu lachen.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Frau Kollegin, bitte.

Filiz Polat (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

… dank dieser unglaublich generösen, mutigen, menschlichen Geste, die hier gemacht wurde. … Hass ist ganz einfach Gift, und letzten Endes vergiftet man sich selbst.

Es bleibt die Hoffnung, dass der Verstand siegt.

(Jürgen Braun [AfD]: Toll! Pure Wirtschaftsmigration!)

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)