Rede von Michael Kellner Aktuelle Stunde „Industrie in Ostdeutschland“

Michael Kellner
30.11.2023

Michael Kellner, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz:

Liebe Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich wusste gar nicht, für was ich alles zuständig bin. Aber ich will gern mal anschauen, was in den letzten zwei Jahren passiert ist. Wir haben in 2022 und 2023 trotz einer sehr schwierigen konjunkturellen Entwicklung, trotz der Tatsache, dass die Entwicklung in Gesamtdeutschland durch den Krieg Russlands in der Ukraine nicht gut war, gesehen, dass die Situation in Ostdeutschland, was das Wirtschaftswachstum angeht – ein Punkt, auf den Carsten Schneider hingewiesen hat –, besser ist als in Westdeutschland. Ich finde, das ist ein Grund, sich zu freuen, gerade vor dem Hintergrund, dass die Sorgen groß waren, weil wir gerade in Ostdeutschland so hohe Verflechtungen in Richtung Osteuropa und Russland haben. Ich finde, man kann sich über diese Entwicklung, dass Ostdeutschland 2022 und 2023 ganz gut durch diese schwierigen Zeiten gekommen ist, auch freuen, und das ist allemal besser, als alles einfach nur schwarzzusehen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Wir hatten in den 90er-Jahren, wenn ich mich an diese „seligen“ Zeiten zurückerinnere, eine doppelt so hohe Arbeitslosigkeit in Brandenburg, Thüringen und Sachsen im Vergleich zu Nordrhein-Westfalen oder zum Saarland. Heute ist es umgekehrt: Die Arbeitslosigkeit ist in Brandenburg, Sachsen und Thüringen geringer als in Nordrhein-Westfalen und im Saarland.

Ich will aber auf ein Problem hinweisen, das mir wirklich Sorgen macht. Wir haben im September 2022 das erste Mal feststellen müssen, dass in Ostdeutschland die Beschäftigung deutscher Staatsbürger rückgängig ist. Denselben Effekt haben wir im April 2023 in Westdeutschland gesehen. Das ist der demografische Wandel, der da durchschlägt. Er schlägt aber in Ostdeutschland früher und stärker durch. Das ist eines der Haupthemmnisse für Entwicklung, für Wachstum in Gesamtdeutschland, aber in Ostdeutschland noch mal stärker. Und das macht mir Sorgen.

Deswegen müssen wir da an jeder Stellschraube drehen, sei es Frauenerwerbsarbeit – da ist der Osten allerdings besser als Westdeutschland –, sei es, dass ältere Menschen, die es wollen, auch im höheren Alter nach Renteneintritt arbeiten dürfen, sei es, dass wir nicht akzeptieren, dass Jugendliche die Schule ohne Abschluss verlassen und einfach in ein Loch fallen, oder sei es auch, dass wir – da haben wir als Ampel viel gemacht – Fachkräfteeinwanderung erleichtern. Dazu ist es entscheidend, dass wir in Ostdeutschland eine Willkommenskultur haben. Ich war froh, dass der Evonik-Chef Kullmann da so deutlich und klar Position bezogen hat; denn das größte Risiko für die wirtschaftliche Entwicklung ist, dass in Ostdeutschland diese Willkommenskultur nicht da ist und Leute nicht kommen. Und dieses Risiko, das verantworten Sie!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP – Carolin Bachmann [AfD]: Sie haben nicht so viel Ahnung vom Osten! Furchtbar!)

Wir sehen einen zweiten Aufholprozess in Ostdeutschland. Wir haben zum Tag der Deutschen Einheit die entsprechenden Zahlen veröffentlicht. Wenn wir uns anschauen, was an Großinvestitionen, also Investitionen von über 100 Millionen Euro, für Gesamtdeutschland in der Pipeline ist, dann stellen wir fest: Wir haben 80 Milliarden Euro an privaten Investitionen in der Pipeline. Und das Gute ist: Von diesen Investitionen sind 50 Milliarden Euro für Ostdeutschland gedacht. Das zeigt doch die Vorteile Ostdeutschlands, die in den letzten Jahren erarbeitet wurden: die Verfügbarkeit von viel grüner Energie, Platz für Industrieansiedlungen und bis heute noch gut ausgebildete Arbeitskräfte. Wir sehen, dass sich Chipfabriken, Batteriefabriken, die Solarindustrie in Deutschland wieder ansiedeln, häufig in Ostdeutschland.

Und ja, in diesem Zusammenhang ist das Urteil des Verfassungsgerichts eine riesige Herausforderung. Das Urteil haben wir zu akzeptieren, und es war ein Fehler, den KTF so aufzustellen. Es ist mir aber wichtig, darauf hinzuweisen, dass wir die Ansiedlungen, für die wir noch keine Förderbescheide erstellt haben – wir können doch nicht sagen: „Es ist gut, dass wir mit Salzgitter und thyssenkrupp durch sind“, wenn das bei Saarstahl und ArcelorMittal in Eisenhüttenstadt und Bremen noch nicht der Fall ist –, in den Haushaltsberatungen 2024 absichern. Das ist entscheidend für unser Land. Diese Investitionen müssen in Deutschland stattfinden, sie müssen in Ostdeutschland stattfinden.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der FDP)

Sonst finden sie irgendwo anders in der Welt statt. Das können wir uns nicht leisten.

Es gibt immer Stimmen, die sagen: Ja, dann sind die Subventionen, dann ist die Unterstützung halt weg. – Aber schauen Sie sich mal an, was große Wettbewerber wie die USA und China an Unterstützung geben. Deshalb ist das so wichtig, und deshalb werbe ich dafür, dass wir einen Weg finden, um die Mittel für Investitionen, die uns nach dem Verfassungsgerichtsurteil fehlen, bereitzustellen.

Ich habe mich darüber gefreut, dass Ministerpräsident Haseloff, Ministerpräsident Kretschmer, der Regierende Bürgermeister von Berlin, Kai Wegner, gesagt haben: „Ja, lassen Sie uns darüber reden, ob bzw. wie wir die Schuldenbremse reformieren“, weil es darum geht, die Investitionen zu sichern. Das war richtig und wichtig. Das war keine parteipolitische Taktiererei, sondern da standen die Interessen des Landes im Vordergrund. Das war ostdeutscher Pragmatismus, von dem ich mir mehr wünschen würde.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Lassen Sie mich noch eins sagen: Ich bin dagegen, die notwendigen Investitionen in unsere Volkswirtschaft auszuspielen gegen soziale Absicherung – dazu ist schon einiges gesagt worden – oder gegen internationale Verpflichtungen, die wir als Deutschland – heute beginnt die UN-Klimakonferenz – nun wirklich erfüllen sollten. Das ist kein Entweder-oder, sondern es ist eine gemeinsame Aufgabe, das hinzubekommen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Ich war gestern in der Lausitz und habe dort mit den Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern gesprochen. Die 40 Milliarden Euro stehen. Zusammen mit Carsten Schneider haben wir gesagt, dass diese Mittel abgesichert sind. Wir haben gesagt: Wenn es zu einem vorgezogenen Kohleausstieg in NRW kommt, dann wollen wir die Mittel flexibilisieren. – Das wollen wir auch für Ostdeutschland, weil der Kohleausstieg marktgetrieben früher kommt.

(Sepp Müller [CDU/CSU]: Hören Sie doch auf, so ein falsches Zeug zu erzählen!)

Ich würde auch gerne mit den Ländern darüber reden, wie wir diese Mittel intelligenter einsetzen können. Im InvKG war leider nicht vorgesehen, dass wir damit Wirtschaftsansiedlungen unterstützen können. Wir haben jetzt über das Temporary Crisis and Transition Framework der Europäischen Union die Möglichkeit, diese Mittel für NRW und auch für Ostdeutschland zu nutzen, um Unternehmensansiedlungen voranzubringen. Wir hätten auch die Möglichkeit, ein GRW-Sonderprogramm aufzulegen. Ich bin gerne bereit, mit den Ländern darüber zu reden – wir sind ja auch schon im Gespräch –, wie wir diese Mittel nutzen können, damit wir gut bezahlte Industriearbeitsplätze in Ostdeutschland, in Nordrhein-Westfalen, in den Kohleregionen schaffen. Lassen Sie uns dafür eine Lösung, einen Weg finden.

(Beifall des Abg. Hannes Walter [SPD])

Diesen Geist der überparteilichen Zusammenarbeit wünsche ich mir für die anstehenden Haushaltsberatungen für 2024.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der FDP – Sepp Müller [CDU/CSU]: Das Feuer legen und dann nach der Feuerwehr rufen! – Julia Klöckner [CDU/CSU]: Aber erst die Feuerwehr beschimpfen!)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Vielen Dank. – Als Nächstes hat das Wort Enrico Komning für die AfD-Fraktion.

(Beifall bei der AfD)