Rede von Dr. Janosch Dahmen Aktuelle Stunde „Intensivbettenversorgung“

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20.05.2021

Dr. Janosch Dahmen (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ohne die zahlreichen exzellenten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in unserem Land, aber auch international, wären wir in dieser Pandemie ganz schön aufgeschmissen gewesen. Wie umfangreich, schnell und präzise unterschiedliche wissenschaftliche Disziplinen zuverlässige Daten geliefert haben, verdient zuallererst Respekt.

In der Pandemie erlangten die Registerarbeit, die Modellierung und die Intensivmedizin selbst eine besondere Bedeutung. Stellvertretend für die für das Intensivregister zuständigen Teams bei RKI und DIVI möchte ich an dieser Stelle den Kollegen Professor Weber-Carstens von der Charité und Professor Dr. Karagiannidis von der Universität Witten/Herdecke vom Intensivregister danken.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Leider wird jedoch auch immer öfter mit vermeintlicher Wissenschaft Stimmung gemacht, wie wir heute erleben. Was wir heute im Bundestag auf der Tagesordnung haben, ist wieder so ein Fall politischer Stimmungsmache. Die AfD setzt das Thema der Intensivstationen auf die Tagesordnung, weil ihr ein Papier in die Hände gefallen ist, in dem im Kern die Behauptung aufgestellt wird, es hätte niemals eine ernsthafte Belastung oder gar Überlastung in Teilen des Gesundheitswesens gegeben, und in dem der DIVI und so manchen Kliniken darüber hinaus auch noch Manipulation unterstellt wird, Manipulation an den Daten und den vorliegenden Fallzahlen.

An die AfD gerichtet, kann ich nur sagen: Ihr Verhältnis zur Wissenschaft ist höchst verwunderlich, abermals. Einerseits diskreditieren Sie seit über einem Jahr wiederholt die renommiertesten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unseres Landes, und andererseits machen Sie sich hier ein Papier zu eigen, das einer wissenschaftlichen Grundprüfung schon im ersten Anlauf nicht standhält.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dieses Papier zur intensivmedizinischen Versorgung krankt an Verzerrung, an Ungenauigkeit und an Unterstellungen. Das hätte die AfD aufgrund der öffentlichen Kritik längst wissen können. Viele Journalistinnen und Journalisten – das ist bereits angesprochen worden – haben dies in etlichen Beiträgen auch deutlich gemacht.

Aber nein, die AfD tut so, als hätte es das alles nicht gegeben, und macht aus unhaltbaren Behauptungen im Gewand der Wissenschaft sogar noch eine Kampagne, die diejenigen trifft, die es am wenigsten verdient hätten, nämlich die Menschen auf den Intensivstationen, die seit über einem Jahr für die Versorgung der Patientinnen und Patienten in dieser Pandemie kämpfen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Weil ich als Arzt auf der Intensivstation selbst viele Tage und Nächte verbracht habe, weiß ich recht genau, was die Kolleginnen und Kollegen seit über einem Jahr dort bis heute durchmachen. Ich möchte deshalb zumindest mit den gröbsten Verzerrungen aus diesem Papier aufräumen und zur Versachlichung der Debatte – dies ist eingangs eingefordert worden – beitragen.

Erstens. Die Behauptung in dem Papier, in Deutschland seien Ende April dieses Jahres permanent 61 Prozent der hospitalisierten Covid-19-Patienten auf Intensivstationen gewesen, ist tatsächlich eine aus der Luft gegriffene Zahl, letztlich eine Schätzung, die jeder wissenschaftlichen Grundlage entbehrt. Diese Angaben sind schlichtweg falsch und, wie gesagt, unseriöse Schätzungen, die einer wissenschaftlichen Auswertung keine Grundlage bieten. Der Anteil hospitalisierter Covid-19-Patienten wird seit Beginn der Pandemie gar nicht systematisch pro Tag erhoben, was man kritisieren kann, aber was auch sozusagen entsprechende Angaben in dem Papier erst gar nicht möglich macht. Er dürfte tatsächlich im Mittel eher bei 20 bis 30 Prozent und damit in der Nähe internationaler Werte liegen und nicht, wie hier in diesem Papier behauptet, in schwindelerregenden Höhen. Auch in den Korrekturen dieses Papiers ist das weiterhin falsch hoch angegeben. Letztlich muss man darauf hinweisen, dass es ja gerade an einer einheitlichen Definition von Intensivbetten fehlt, was es dahin gehend auch schwierig macht, internationale Vergleiche überhaupt anzustellen. Hier werden also eher Äpfel mit Birnen verglichen, als dass wirkliche Wissenschaft betrieben wird.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zweitens wird in dem Papier behauptet, dass die Anzahl der verfügbaren Intensivbetten nicht durch mehr Patienten, sondern durch veränderte Zählweise abgenommen habe. Auch hier wird deutlich, dass die Autoren zu weit von der Praxis entfernt sind. Zu Beginn der Pandemie wurden, wie auch bei meinen Vorrednern angeklungen war, allein freie Betten gezählt. Aber ein Bett allein reicht nicht zur Versorgung von schwerkranken Patientinnen und Patienten. Dazu gehören auch geschultes Personal sowie die technische und materielle Ausstattung. Erst als diese Faktoren durch die DIVI selbst fachlich definiert wurden und in die Statistik eingeflossen sind, haben wir ein realistisches Bild der tatsächlichen Intensivkapazitäten in Deutschland erhalten. Das war also keine Schummelei; das war fachliche wissenschaftliche Arbeit. Dafür gilt RKI und DIVI ausdrücklich Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Drittens wird der DIVI unterstellt, sie gebe eine falsche Anzahl an Pflegekräften an. Auch diese These scheitert im Praxistest. Es geht bei der DIVI nicht um Pflegekräfte im Allgemeinen, sondern um hochspezialisiertes, geschultes Pflegepersonal, das auf den Intensivstationen zur Verfügung steht. Hier ist die Realität doch eine ganz andere. Die Zahlen der DIVI zeigen eindeutig, dass mit jeder Pandemiewelle die Personalknappheit zugenommen hat und dass immer mehr Betten abgemeldet werden mussten, weil die Patienten eben nicht versorgt werden konnten.

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich:

Herr Kollege, die Zeit ist abgelaufen.

Dr. Janosch Dahmen (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Das ist die Realität.

Die Menschen auf den Intensivstationen verdienen unsere Rückendeckung, unsere Unterstützung, unseren Dank und Respekt und bessere Arbeitsbedingungen und nicht eine solche Debatte wie heute im Bundestag.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)