Lamya Kaddor
09.11.2023

Lamya Kaddor (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Gäste auf den Tribünen! Im Juni 2014 hat der Terrorist Abu Bakr Al-Baghdadi über Gebiete des Iraks und Syriens das angebliche Kalifat des sogenannten „Islamischen Staates“ ausgerufen. Dabei vertrieb und tötete er Tausende von Menschen in dieser Region. All das gipfelte später in einem entsetzlichen Genozid an den Jesidinnen und Jesiden, einem Genozid, in dem sexualisierte Gewalt gegen Frauen, Massenhinrichtungen und Versklavungen einen gezielten Terror entfesselten. Dass Menschen auf deutschen Straßen erneut zur Gründung eines solchen Kalifats aufrufen, ist abscheulich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Das Schwarze Banner, wie es vom IS, von al-Qaida, al-Shabaab oder auch von der Hizb ut-Tahrir genutzt wird, zu tragen, ist gerade für mich als Muslimin besonders erschreckend und abstoßend. Vermutlich dürfte das fast allen Muslimen hierzulande so ähnlich gehen, sind doch Muslime weltweit die meisten Opfer von Islamisten. Die Bilder der Propagandaschau in Essen zeigen uns: Der Islamismus ist und bleibt eine reale Bedrohung für unsere freiheitliche demokratische Grundordnung – für Nichtmuslime und für Muslime.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Jetzt instrumentalisiert er zum wiederholten Male den Nahostkonflikt, um seine Propaganda im Netz und auf deutschen Straßen zu verbreiten – so weit eigentlich nichts Neues. Die Gefahr des Islamismus war niemals verschwunden, alle warnten wir stetig davor.

Sehr geehrte Damen und Herren, unser Rechtsstaat ist hier gefordert, alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel einzusetzen, um dieser islamistischen Bedrohung wirksam entgegenzutreten.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Dazu gehören unter anderem solide begründete Verbote von Kundgebungen und die strafrechtliche Verfolgung von volksverhetzenden Redebeiträgen und verfassungsfeindlichen Symbolen. Dazu gehört auch, die islamistische Szene genau zu überwachen, um frühzeitig auf Gefahren reagieren zu können. Und ja, dazu gehört auch, die im Aufenthaltsgesetz schon bestehende Möglichkeit der Ausweisung von denjenigen, die die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährden. Wir werden uns von Islamistinnen und Islamisten nicht auf der Nase herumtanzen lassen, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Die Strategie des Islamismus besteht wie bei allen anderen radikalen Ideologien darin, Emotionalisierung zu nutzen und einfache Antworten auf komplexe Fragen zu liefern. Das dürfte der AfD also sehr bekannt vorkommen.

Man weiß nicht, ob man weinen oder lachen soll. Oder doch! Zum Lachen ist es wirklich nicht, dass Sie mit Ihren hinlänglich bekannten, immer gleichen eindimensionalen und menschenverachtenden Anträgen auch noch am 9. November um die Ecke kommen, ausgerechnet am 85. Jahrestag der Reichspogromnacht. Man kann eigentlich nur mit dem Kopf schütteln. Es macht mich fassungslos.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und der LINKEN – Stephan Brandner [AfD]: Was genau jetzt? So ein Quatsch!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine der Lebensadern des Islamismus ist das Narrativ, dass die nichtmuslimische Mehrheitsgesellschaft Musliminnen und Muslime hasse, und anders herum lebt Islamfeindlichkeit von dem Narrativ: Jeder Nichtmuslim ist ein Islamhasser. Das heißt, es gibt eine Wechselwirkung zwischen Islamismus und Islamfeindlichkeit. Diese Strategie des Islamismus müssen wir durchkreuzen,

(Stephan Brandner [AfD]: So ein Unsinn!)

indem wir zeitgleich auch gegen Islamfeindlichkeit vorgehen; denn wenn wir nur den Islamismus bekämpfen und Islamfeindlichkeit nicht, bleibt ein Phänomen bestehen, das weiterhin mobilisiert und wiederum den Islamismus anfacht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Damit ist die AfD natürlich raus aus dem Thema. Sie hat bis heute nicht verstanden, dass sie kübelweise Wasser auf die Mühlen der Islamisten gießt und damit die Gefährdungslage für alle friedlichen Menschen

(Stephan Brandner [AfD]: Frau Kaddor, dass Ihnen das nicht zu doof ist! – Martin Hess [AfD]: Das ist geradezu lächerlich!)

in diesem Land nach oben schraubt.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Martin Hess [AfD]: Sie haben doch das ganze Problem verursacht!)

– Na ja, wenn es nicht so wehtun würde,

(Stephan Brandner [AfD]: Sind das intellektuelle Verrenkungen!)

wenn ich nicht recht hätte, würden Sie sich nicht aufregen. – Oder aber sie hat es sehr wohl verstanden und spielt genau damit, um weitere Ängste in der Gesellschaft zu schüren. Sie liefert mit ihrem immer wieder artikulierten antimuslimischen Rassismus den Nährboden,

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Ach, du lieber Gott!)

auf dem Islamismus besonders gut gedeihen kann. Sie und Ihr heutiger Antrag sind nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Aber es geht hier ja nicht um die AfD, es geht um Islamismus.

(Jürgen Braun [AfD]: Ihre Schüler! Ihre Schüler sind doch Terroristen!)

Und – um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen – der existiert auch ohne eine AfD.

(Jürgen Braun [AfD]: Ihre Schüler! Ihre Schüler sind Terroristen geworden!)

Sie sind allerdings der Brandbeschleuniger.

(Jürgen Braun [AfD]: Lohberger Zelle! Die Lohberger Terrorzelle, Frau Kaddor!)

Ich möchte, dass das geprüft wird: dass meine ehemaligen Schüler wegen mir zum IS gegangen seien. Das verbitte ich mir an dieser Stelle.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Dr. Bernd Baumann [AfD]: „IS“ hat er gar nicht gesagt!)

– Nein, das verbitte ich mir an dieser Stelle. Es ist schlichtweg falsch, dass Sie mir einen Anteil an diesem Schwachsinn unterstellen. Also ehrlich! Geht es noch?

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: „IS“ hat er nicht gesagt!)

– Geht es noch?

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Er hat nicht „IS“ gesagt!)

– Also, hören Sie mal! Das ist wirklich unfassbar, was Sie hier machen.

(Glocke der Präsidentin)

Unfassbar, was Sie hier machen!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Bernd Baumann [AfD]: Sie haben das Falsche behauptet! – Martin Hess [AfD]: Das ist eine Unverschämtheit! – Weitere Zurufe von der AfD)

– Der Wahrheit? Welche Wahrheit denn?

Vizepräsidentin Petra Pau:

Kollegin Kaddor, ich habe die Uhr angehalten.

Ich bitte jetzt um allgemeine Mäßigung und wiederhole nun zum dritten Mal innerhalb weniger Minuten, dass es inzwischen leider das tägliche Geschäft der Präsidentinnen und des Präsidenten ist, dass wir jedes Protokoll unserer Plenarsitzungen ordentlich prüfen, um jeder Abgeordneten und jedem Abgeordneten zu ihrem und seinem Recht zu verhelfen. Sollte es Regelüberschreitungen, Grenzüberschreitungen gegeben haben, werden die gegebenenfalls nachträglich geahndet.

Ich erwarte jetzt, dass auch die antragstellende Fraktion, auf deren Veranlassung wir in dieser Debatte sind, dafür sorgt, dass wir wieder in die Debatte kommen können. Ich schlage auf die Redezeit, die bei mir am Pult angezeigt wird, noch einmal zehn Sekunden drauf, da Ihre Rede vorhin im allgemeinen Trubel unterging. – Bitte, Sie haben das Wort.

Lamya Kaddor (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Dann fahre ich gerne mit dem letzten Satz fort: Meine Schüler sind zu einem Zeitpunkt zum IS gegangen, als sie nicht mehr meine Schüler waren.

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Das hat er nicht gesagt!)

Sollten Sie das noch ein einziges Mal hier öffentlich

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Hat er nicht gesagt!)

oder nichtöffentlich wiederholen, bekommen Sie von mir eine Anzeige dafür. Ganz einfach.

Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)