Rede von Ekin Deligöz Aktuelle Stunde „Kindertagesstätten“

Foto von Ekin Deligöz MdB
09.02.2023

Ekin Deligöz, Parl. Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend:

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Geschätzter Kollege Bartsch, liebe Kollegin Silvia Breher, ja, die Lage ist ernst. Und es gibt Gründe, anzunehmen, dass sie noch ernster wird: die aktuelle Krankheitswelle; dass es Menschen auf der Flucht, zum Beispiel aus der Ukraine, gibt, die mit Kindern hierherkommen, die Gott sei Dank die Kitas besuchen.

Ja, die Lage ist ernst. Aber, ehrlich gesagt, ist sie es nicht erst seit gestern, auch nicht seit vorgestern, sondern seit Jahren. Seit Jahren wissen wir, dass es hier einen Personalmangel gibt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie des Abg. Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE])

Ich will nicht sagen, wie viele Reden alleine ich schon hier gehalten habe, in denen ich genau das immer wieder gesagt habe.

(Nina Warken [CDU/CSU]: Nur reden reicht halt nicht!)

Und ich will nicht wissen, wie viele Studien schon veröffentlicht wurden, die genau das besagt haben, von Bertelsmann-Studien bis hin zu diversen anderen Studien.

(Christoph de Vries [CDU/CSU]: Sagen Sie das mal Frau Giffey, einer Ihrer Vorgängerinnen! Wer hat das Ministerium besetzt?)

Die Lage war in den letzten Jahren schon immer ernst. Nur, Sie haben sich bisher verdrückt, und jetzt wachen Sie plötzlich auf. Das wundert mich doch sehr, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Worum geht es aber? Es geht darum, dass wir jetzt diese akute Lage entschärfen müssen. Das müssen wir mit kurzfristigen Mitteln und langfristigen Antworten tun.

(Christoph de Vries [CDU/CSU]: Indem man die Programme einstellt!)

Wir wollen motivierte, qualifizierte Menschen finden, die für die pädagogische Arbeit mit unseren Kindern in den Kitas zur Verfügung stehen – übrigens nicht nur dort, sondern auch in den Schulen und in der sozialen Arbeit.

Es geht auch darum, die Arbeitsbedingungen für diese Menschen zu verbessern; auch das dürfen wir nicht hinten runterfallen lassen. Und ja, hier sind die Kommunen, die Träger und die Länder gefragt; das können Sie drehen und wenden, wie Sie wollen. Natürlich sind sie mit gefragt, weil sie mit in der Verantwortung sind.

(Christoph Meyer [FDP]: Die sind nicht mit in der Verantwortung, die sind in der Hauptverantwortung!)

Und ja, auch wir als Bund sind gefragt. Und nein, Herr Bartsch, der Bund schreibt hier nicht nur Eckpunkte oder duckt sich weg, sondern der Bund handelt.

(Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Das ist ein bisschen wenig!)

Ich will Ihnen mal zeigen, wo wir überall handeln. Mit einem Bundesprogramm für praxisintegrierte Ausbildung analog dem dualen System haben wir derzeit 2 500 Erzieherinnen und Erzieher in Ausbildung. Sie werden die Ausbildung demnächst abschließen und auf dem Markt zur Verfügung stehen. Mit dem KiTa-Qualitätsgesetz investieren wir 4 Milliarden Euro

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

in die Länder, in die Träger, in die Einrichtungen, in Personal, in die Qualität in den Einrichtungen, in die Personalgewinnung.

(Nina Warken [CDU/CSU]: Unterm Strich ist es aber weniger!)

Dazu will ich noch eins sagen: Wir haben hart darum gerungen; denn es kann nicht sein, dass dieses Geld in die Beitragssenkungen für die Eltern geht. Ich finde, das Geld gehört dorthin, wo die Menschen mit den Kindern arbeiten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Das wurde im Bundesrat anders gesehen. Das wurde auch nicht unbedingt von CDU und CSU unterstützt, weil die CSU das Geld in Bayern genauso in die Beitragssenkung investiert. Deshalb haben wir im Bundesrat kein anderes Ergebnis hingekriegt, als einen Kompromiss zu machen. Mir wäre es aber lieber gewesen, dass dieses Bündnis, das es offensichtlich hier gibt, auch im Bundesrat existiert

(Zuruf von der SPD: Richtig! Genau!)

und mit uns gemeinsam dafür gekämpft hätte. Das haben aber auch manche Bundestagsfraktionen nicht gemacht; um das hier festzuhalten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ja, wir haben – meine Kollegin von der SPD, Frau Wagner, hat es auch gesagt – Milliarden in den Bereich der Kitabetreuung über die Umsatzsteuer investiert. Wir haben ein Aufstiegs-BAföG eingerichtet, gerade auch für die Berufe im sozialen Bereich, und demnächst gibt es eine bessere Umschulungsförderung – auch dank des Bürgergelds – im Bereich der erzieherischen Berufe durch die Bundesagentur für Arbeit.

Auch die Gewerkschaften will ich an dieser Stelle erwähnen. Sie haben in den letzten Jahren hart dafür gekämpft, dass im Zuge der Tarifabschlüsse die Bezahlung von Erzieherinnen und Erziehern und pädagogischen Kräften gestiegen ist. Das ist noch ein Grund, warum wir auch auf dem sozialen Markt und bei Trägern aller Art eine stärkere Tarifbindung brauchen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Mit den Ländern, wirklich mit den Ländern müssen wir an vielen Stellschrauben drehen – nicht gegen sie, nicht nebenher, sondern mit ihnen zusammen. Ich nenne hier nur ein paar Stichworte: Wir brauchen mehr entlohnte Ausbildungsplätze. Der Bund macht es mit seinen Programmen vor; aber es darf nicht bei Programmen bleiben, sondern das muss eigentlich flächendeckend, überall umgesetzt werden. Wir brauchen endlich den kompletten Wegfall von Schulgeld in den pädagogischen Ausbildungsschulen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Warum gibt es da ein Schulgeld? Wir brauchen die Ausweitung von Umschulungen und Weiterbildungen; daran arbeiten die Kolleginnen und Kollegen vom BMAS. Wir brauchen eine schnellere Anerkennung von ausländischen Abschlüssen und eine intensivere Berufsberatung in diesem Zusammenhang. Wir brauchen die Aufstockung der Ausbildungskapazitäten. Und wir müssen die Anerkennung und Wertschätzung gegenüber diesen Menschen auch hier im Bundestag immer und immer wieder wiederholen und dürfen ihre Arbeit nicht schlechtmachen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Christoph Meyer [FDP])

Übrigens: All das zahlt sich aus. Ich nenne Ihnen mal ein paar Zahlen: Die Anzahl der Fachkräfte im Bereich der pädagogischen Arbeit hat sich seit 2006 verdoppelt. Es arbeiten inzwischen 860 000 Beschäftigte im Bereich der frühkindlichen Bildung; das sind mehr als in der Automobilbranche in Deutschland. Das ist systemrelevant. Jede einzelne Person in diesem Bereich ist systemrelevant – für uns, für unsere Familien und für unsere Kinder.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Und ja, kurzfristig brauchen wir auch noch andere Antworten. Natürlich müssen wir die Menschen vor Ort, die Erzieherinnen und Erzieher, in ihren Aufgaben unterstützen. Gerade deswegen gibt es inzwischen schon Möglichkeiten, gerade bei den Verwaltungstätigkeiten, bei den hauswirtschaftlichen Tätigkeiten die Erzieher/-innen zu unterstützen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: der Personalergänzungsfonds in Schleswig-Holstein. Da wird genau das gemacht. Auch die Stadt Tübingen arbeitet genau an solchen Konzepten, um herauszufinden: Wie können wir die Menschen unterstützen und ihnen Rückendeckung geben, damit sie mehr Zeit haben für die pädagogische Arbeit, mehr Zeit für unsere Kinder vor Ort? Es gibt inzwischen sogar Kommunen, die Wohnraum zur Verfügung stellen, um Fachkräfte anzuwerben. Ja, warum nicht? Wenn das die Idee ist, dann ist das auch die richtige Stellschraube. Darin unterstützen wir jede Kommune.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Meine Ministerin Lisa Paus ist zur Stunde damit beschäftigt, Bund Länder, Kommunen, Träger, die da mit in der Verantwortung sind, und Verbände an einen Tisch zu holen. Wir koordinieren und nehmen alle Möglichkeiten wahr, um gemeinsam mit ihnen Ausbildung, Weiterbildung, Qualifizierung und bessere Arbeitsbedingungen in Deutschland voranzubringen. Wir argumentieren kraft der Argumente und mit all diesen Maßnahmen, die ich Ihnen gerade hier aufgezeigt habe. Und ja, wir haben auch Zuwanderung im Blick; denn auch das gehört dazu, wenn wir hier weiterkommen wollen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Wir brauchen mehr Menschen für Kitas, Horte, Kindertagespflege, und für sie brauchen wir die besten Arbeitsbedingungen. Und nein, mit uns wird es kein Qualitätsdumping in der Pädagogik geben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP – Zuruf des Abg. Dr. Götz Frömming [AfD])

Liebe Kollegen und Kolleginnen, es geht um die Chancen unserer Kinder. Es geht ums Jetzt, es geht um die Zukunft. Dafür handeln wir sofort.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Beatrix von Storch, AfD-Fraktion.

(Beifall bei der AfD)