Rede von Monika Lazar Aktuelle Stunde: Maaßen und Chemnitz

27.09.2018

Monika Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die letzten vier Wochen haben Chemnitz aufgewühlt. Ich hoffe, dass besonders die Bürgerinnen und Bürger, die noch nicht aktiv sind, merken, dass es um etwas geht, nämlich um den Erhalt unserer Demokratie.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der AfD)

Fast unmittelbar nach Bekanntwerden des Tötungsdelikts begannen verschiedene rechtsextreme Gruppen, die Gewalttaten gegen Geflüchtete und generell gegen Migrantinnen und Migranten zu instrumentalisieren. In Chemnitz eskalierte die Situation. Seit dem 26. August kam es an mehreren Tagen zu Demonstrationen und massiven Ausschreitungen gewaltbereiter Neonazis. Ausländisch aussehende, als politisch links bewertete Menschen sowie Journalistinnen und Journalisten wurden beschimpft, eingeschüchtert, körperlich angegriffen und durch die Straßen gejagt.

Am 27. August kamen auf einer Demonstration der extrem rechten Gruppierung „Pro Chemnitz“ rund 6 000 Menschen zusammen, darunter viele gewaltbereite Hooligans. Es wurden mehrfach Hitlergrüße gezeigt. Auch die aktive Zivilgesellschaft versammelte sich an diesem Abend in Chemnitz; ich selber war mit dabei. Wir haben die aufgeheizte rassistische Stimmung unmittelbar erlebt. Durch den zahlenmäßig völlig unzureichenden Polizeieinsatz kam es zu gefährlichen Situationen. Die öffentliche Sicherheit im Stadtzentrum war nicht gewährleistet, und vom Gewaltmonopol konnte man an diesem Abend nicht immer ausgehen.

(Marian Wendt [CDU/CSU]: Andauernd Brand und Terror!)

Den gewaltbereiten, hasserfüllten Neonazis ging es nicht um das Gedenken an den Toten oder um das Leid der Angehörigen. Ganz offensichtlich sollte sein Tod für rechte Propaganda missbraucht werden. Die Opferberatungsstellen berichten, dass nach den rechten Ausschreitungen in Chemnitz die rassistischen Gewalttaten deutlich zugenommen haben: 93 Taten deutschlandweit, davon allein 34 in Chemnitz.

Die Vorkommnisse in Chemnitz haben erneut gezeigt, wie reformbedürftig die Sicherheitsbehörden gerade im Hinblick auf das Agieren rechtsextremer Strukturen sind. Immer wieder hat der Verfassungsschutz in den letzten Jahren versagt und Vertrauen verspielt: bei dem Oktoberfestattentat, den Morden des NSU und durch Leugnen der Existenz von V‑Leuten im Umfeld von Anis Amri. In der entstandenen Krise gilt es nun, die Chance für eine echte Zäsur und einen Neuanfang beim Verfassungsschutz zu nutzen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Susann Rüthrich [SPD])

Mit einem Wechsel an der Behördenspitze allein ist es jedenfalls nicht getan. Wir wollen den Verfassungsschutz in seiner bisherigen Form abschaffen und mit einem institutionellen Neustart grundlegend umgestalten. Ein eigenständiges Institut zum Schutz der Verfassung soll Strukturen und Zusammenhänge verfassungsfeindlicher Bestrebungen erkennen, wissenschaftlich analysieren, beobachten und die Sicherheitsbehörden auf mögliche Zuständigkeiten hinweisen.

(Marian Wendt [CDU/CSU]: Das gibt es schon! Nennt sich Verfassungsschutz!)

Ein Amt zur Gefahrenerkennung und Spionageabwehr soll für die Aufklärung verfassungsfeindlicher Bestrebungen im Vorfeld konkreter Gefahren zuständig sein, die durch die Analyse offen zugänglicher Quellen nicht mehr geleistet werden kann.

Aber eines darf nicht vergessen werden: Mit Repression allein lässt sich keine Sicherheit schaffen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Alle demokratischen Parteien stehen in der Verantwortung, das Problem des Rechtsextremismus angesichts der massiven Angriffe auf unsere Demokratie endlich konsequent und entschieden anzupacken.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE])

Die Prävention gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit müssen wir auf allen Ebenen verstärken. All diejenigen, die sich für unsere Demokratie engagieren, müssen verlässlich unterstützt werden, zum Beispiel durch ein Demokratiefördergesetz;

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

denn eine starke, aktive demokratische Zivilgesellschaft ist der beste Verfassungsschutz.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)