Rede von Tobias B. Bacherle Aktuelle Stunde „Naturkatastrophen in Marokko und Libyen“

Tobias B. Bacherle MdB
20.09.2023

Tobias B. Bacherle (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die schrecklichen Bilder, die uns letzte Woche aus unserer nächsten europäischen Nachbarschaft von den beiden Naturkatastrophen in Libyen und Marokko erreicht haben, gehen kaum mehr aus dem Kopf. Zunächst daher vielen herzlichen Dank, dass wir uns heute die Zeit nehmen, darüber zu sprechen.

Drei komplette Stadtteile der libyschen Stadt Derna wurden von der Flutkatastrophe ins Meer gespült. Ganze Dörfer liegen durch das Erdbeben in Marokko in Trümmern; sie sind wortwörtlich dem Erdboden gleichgemacht worden.

Das Ausmaß ist verheerend: Fast 3 000 Menschen haben in Marokko ihr Leben verloren. In Libyen ist die Lage unübersichtlicher; auf jeden Fall sind weit über 10 000 Menschen noch verschollen, vermisst. Einige Angaben gehen von über 10 000 Toten dort aus.

Mit großer Bestürzung, mit Trauer und großem Schock stehe ich also heute hier und – ich hoffe, wie Sie alle – an der Seite der Tausenden betroffenen Menschen und ihrer Angehörigen, die von heute auf morgen ihre Lebensgrundlagen verloren haben. Den Betroffenen und Angehörigen gilt unser tiefstes Mitgefühl und unsere Solidarität.

Natürlich gilt es jetzt, humanitäre Hilfe zu leisten, in Libyen insbesondere für sauberes Trinkwasser zu sorgen, um eine Gesundheitskrise zu verhindern. Es ist der Moment, in dem die internationale Gemeinschaft mehr denn je zusammenarbeiten und an einem Strang ziehen muss.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie wissen, dass das in Bezug auf Libyen keine hohle Phrase ist. Es ist ein eindringlicher Appell, die eigenen Interessen, die oft bei vielen aus der internationalen Gemeinschaft die Libyen-Politik dominiert haben, jetzt hintanzustellen, ein eindringlicher Appell zum Beispiel an Ägypten, an die Türkei, aber auch an europäische Staaten, allen voran Italien. Denn der Umgang mit der Flutkatastrophe zeigt, wie wichtig und dringlich ein funktionierender und einheitlich agierender Staat in Libyen wäre, ein Staat, der grundlegende Daseinsvorsorge zur Verfügung stellen kann, Infrastruktur pflegen und kontrollieren kann, effektive Krisenvorsorge garantieren kann.

Es ist jetzt nicht an der Zeit, vor Ort unangebrachten Stolz voranzustellen und internationale Expertise abzuweisen. Es ist aber vor allem nicht die Zeit für politische Machtkämpfe, wie sie Libyen in den letzten Jahren gezeichnet haben, und erst recht nicht für internationale Akteure, die danach lechzen, davon zu profitieren.

Two Governments, no Governance – diese Situation in Libyen, also zwei Regierungen, aber keine Verwaltung, kein Regieren, keine Verantwortungsübernahme, muss so bald wie möglich beendet werden. Sie ist es auch, die jetzt die Menschen mit den Protesten auf die Straße getrieben hat.

Ich glaube, als das Land, das den Berliner Prozess initiiert hat, kommt uns eine besondere Verantwortung zu, unsere Bemühungen auch weiterhin nicht nur in der humanitären Hilfe zu intensivieren, sondern auch die politischen Prozesse, den diplomatischen Beitrag an dieser Stelle zu leisten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Wichtig ist aber bei diesen tagtäglich immer schlimmer werdenden Nachrichten aus Libyen, dass wir die Opfer des Erdbebens in Marokko nicht vergessen. Das Erdbeben hat in eine Kuhle der Ungleichheit geschlagen, Marrakesch als Region mit schwacher Infrastruktur hart getroffen. Viele Menschen, die schon zuvor von Armut betroffen waren, haben jetzt alles verloren.

Eitelkeit oder falsche Eitelkeit auf unserer Seite ob deutscher Hilfe, die noch nicht angenommen wurde, ist jetzt absolut fehl am Platz. Es gilt nicht nur kurzfristig, sondern auch mittelfristig Unterstützung für den Wiederaufbau der Region Marrakesch – der Infrastruktur, der Grundversorgung und des Zuhauses vieler Menschen – anzubieten und zu leisten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Ich bin mir sicher, dass wir als Parlamentarier/-innen an der Seite der Menschen stehen, und wir müssen als Bundesrepublik Marokko weiter unsere Hilfe anbieten.

Ein letzter Gedanke, den der Kollege Mijatovic gleich noch weiter ausführen wird, eine Lektion aus beiden Ereignissen: Angesichts einer Welt mit komplexer geopolitischer Lage, einer sich immer weiter verschärfenden Klimakrise und einer weiter existierenden globalen Ungerechtigkeit zeigt sich: Die Notwendigkeit humanitärer Hilfe ist so groß wie noch nie, und sie wird weiter steigen statt abzunehmen. Dem müssen wir hier politisch, aber auch finanziell und mit den vorhandenen Ressourcen gerecht werden.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Jürgen Hardt hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)