Rede von Katja Keul Aktuelle Stunde „Naturkatastrophen in Marokko und Libyen“

Foto von Katja Keul MdB
20.09.2023

Katja Keul, Staatsministerin im Auswärtigen Amt:

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Marokko und Libyen wurden in den letzten zwei Wochen von entsetzlichen Naturkatastrophen heimgesucht. Die Bilder, die uns von dort erreichen, lassen das Leid der Menschen nur ansatzweise erahnen. Unsere Gedanken sind bei den Opfern, ihren Angehörigen und allen Betroffenen. Deutschland steht auch in diesen schwierigen Zeiten an der Seite Marokkos und Libyens.

Am späten Abend des 8. September wurde Marokko von einem Erdbeben der Stärke 6,8 erschüttert. Das Rote Kreuz schätzt, dass insgesamt 320 000 Menschen von diesem Erdbeben betroffen sind. Die Katastrophe hat fast 3 000 Todesopfer gefordert; über 6 100 Menschen wurden verletzt. Das Epizentrum des Bebens lag circa 70 Kilometer entfernt von Marrakesch, vielen bekannt für die wunderschöne Altstadt, auch ein beliebtes Reiseziel für deutsche Urlauber. Die schwersten Schäden trafen aber eine Gebirgsregion im Hohen Atlas. Viele kleine Orte wurden zerstört und waren nach dem Erdbeben zunächst von der Außenwelt abgeschnitten. Die Straßen waren von Felsstürzen blockiert, was den Rettungskräften den Zugang zusätzlich erschwerte.

Umso wichtiger ist in solchen Situationen eine effektive Koordinierung der Katastrophenhilfe. Wie viele andere Staaten haben auch wir Marokko unsere Solidarität ausgesprochen und Unterstützung bei der Katastrophenhilfe angeboten. Ein Team des Technischen Hilfswerks kam bereits am Sonntag, keine zwei Tage nach dem Beben, in Rabat an, um unsere Botschaft mit Expertise zu unterstützen. Such- und Rettungskräfte standen für einen kurzfristigen Einsatz bereit. Dafür möchte ich dem THW an dieser Stelle ausdrücklich danken.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Marokko hat sich für unser Angebot bedankt, jedoch letztlich entschieden, unsere Unterstützung nicht abzurufen. Ich möchte betonen, dass wir keine politischen Motive hinter dieser Entscheidung erkennen können. Es liegt im Ermessen der marokkanischen Behörden, zu entscheiden, welche Hilfe wo gebraucht wird; nur sie haben ein vollständiges Bild von der Lage vor Ort und können die Hilfe effektiv koordinieren.

Marokko unternimmt gerade einen Kraftakt, um so schnell wie möglich ein Maß an Normalität für die Betroffenen wiederherzustellen. Staatliche Hilfe kommt mittlerweile im gesamten Schadensgebiet an. Auch viele private Initiativen sind überall im Land aktiv, um Nothilfe für die Betroffenen zu organisieren.

Die Welle der Hilfsbereitschaft und Solidarität, die durch das ganze Land geht, ist beeindruckend. Der Marokkanische Rote Halbmond wird dabei auch vom Deutschen Roten Kreuz vor Ort bei der Verteilung von Hilfsgütern unterstützt. Deutschland bleibt bereit, Marokko nach besten Kräften zu unterstützen, bei der humanitären Hilfe wie auch beim Wiederaufbau. Dafür bleiben wir im Gespräch mit unseren marokkanischen Partnern.

Nur wenige Tage nach diesem Erdbeben erreichten uns am 10. September weitere schreckliche Bilder, dieses Mal aus dem Osten Libyens, wo der Mittelmeersturm „Daniel“ auf circa 600 Kilometern Küstenlinie enorme Verwüstungen hinterließ. Es handelt sich um die schlimmste Naturkatastrophe seit Jahrzehnten. Der Zugang zu vielen Gebieten bleibt schwierig, sodass es sicher noch einige Zeit dauern wird, bis wir ein komplettes Bild haben. Allein in der Hafenstadt Derna mit ihren 100 000 Einwohnern wurden durch zwei Dammbrüche ganze Stadtviertel weggespült. Mehrere Tausend Menschen starben; Tausende werden weiter vermisst. Viele Überlebende sind obdachlos. Es mangelt an medizinischer Versorgung, Notunterkünften, Nahrungsmitteln. Die Vereinten Nationen beziffern allein die dringendsten humanitären Bedarfe auf 71,4 Millionen US-Dollar.

Libyen hat angesichts dieser Katastrophe schnell reagiert und sehr früh um internationale Hilfe gebeten. Am 12. September aktivierte Libyen das EU-Katastrophenschutzverfahren, über das auch Deutschland seine Hilfe koordiniert. Nur zwei Tage später, am 14. September, erreichten zwei Bundeswehrmaschinen, beladen mit Material des Technischen Hilfswerks wie Zelten, Decken, Wasserfiltern und Generatoren, Bengasi. Unser Botschafter war bei der Übergabe an das dafür gegründete Krisenkomitee vor Ort.

Wir haben die humanitäre Hilfe für Libyen kurzfristig auf insgesamt 12,2 Millionen Euro aufgestockt. Diese wird über die Vereinten Nationen, insbesondere das Welternährungsprogramm, die Weltgesundheitsorganisation und UNHCR, für Libyen eingesetzt.

Indem wir mit bewährten Partnern zusammenarbeiten, stellen wir sicher, dass die Hilfe dort ankommt, wo sie am dringendsten benötigt wird. Wir werden damit die Ernährungssicherheit und den Gesundheitsschutz besonders vulnerabler Gruppen unterstützen. Dazu gehören auch die zahlreichen Geflüchteten im Osten Libyens, von denen gerade einmal 1 000 offiziell registriert sind. Wir müssen vermutlich von einer weit höheren Anzahl nichtregistrierter Migrantinnen und Migranten in der Krisenregion ausgehen.

Wir stehen mit dem UNHCR in Kontakt, um zum Schutz und zur Versorgung dieser besonders vulnerablen Gruppe beizutragen. Und, liebe Kolleginnen von den Linken, natürlich unterstützen wir keine illegalen Pushbacks. Im Gegenteil: Diese Bundesregierung hat die Kooperation und die Ausbildung der Küstenwache beendet und aus dem Bundestagsmandat gestrichen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Das Deutsche Rote Kreuz wird vor Ort eine Soforthilfemaßnahme mit dem Schwerpunkt der Wasseraufbereitung umsetzen, zusammen mit dem Libyschen Roten Halbmond und dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz. Zusätzlich ist Deutschland größter Einzahler in den Nothilfefonds der Vereinten Nationen, der bereits 10 Millionen US-Dollar für die Bewältigung der Folgen der Überschwemmungen ausgeschüttet hat; davon stammt jeder vierte Dollar aus Deutschland. Nicht zuletzt hat das BMZ 4 Millionen Euro für kurzfristige Hilfen bereitgestellt – wir haben es vorhin schon gehört –; da geht es unter anderem um ausgebildete Ärztinnen und Ärzte aus anderen Landesteilen, die verlegt werden, und um die Stromversorgung.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sturm „Daniel“ und seine Folgen führen uns auch unsere eigene Verantwortung noch einmal deutlich vor Augen. Die menschengemachte Klimaerwärmung hat zu dieser Flutkatastrophe ihren Teil beigetragen, das Mittelmeer auf Rekordtemperaturen aufgeheizt und damit zu ungekannten Niederschlagsmengen geführt. Die schrecklichen Folgen mahnen uns, dass wir alles daransetzen müssen, das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

zumal die Folgen der Klimakatastrophe meist Länder treffen, die weniger dazu beigetragen haben als die industrialisierten Länder des Nordens.

Im Falle Libyens kommt hinzu, dass diese Katastrophe ein tief gespaltenes Land mit geteilten politischen Institutionen trifft. Und doch erleben wir angesichts der Katastrophe auch einen Willen zur Einheit, der Hoffnung macht. Sehr frühzeitig hat die libysche Regierung in Tripolis Hilfen auf den Weg gebracht. Unsere Kontakte vor Ort berichten, dass die Koordinierung der Hilfe trotz der politischen Spaltung recht gut funktioniert.

Wir hoffen, dass dieser Wille zur Einheit auch in den kommenden Tagen und Wochen anhält; denn langfristig ist die politische Spaltung für Libyen und für die Bevölkerung kaum tragbar. Durch diese Spaltung herrscht eine schwache Staatlichkeit, die es nicht schafft, den Bedürfnissen der Bevölkerung gerecht zu werden. Gerade die Bevölkerung von Derna hat schon im Bürgerkrieg besonders unter den Luftangriffen und unter der nachfolgenden Vernachlässigung gelitten.

Die Spaltung des Landes kann aus unserer Sicht nur durch einen inklusiven politischen Prozess überwunden werden, an dessen Ende demokratische Wahlen stehen. Das ist der mit den libyschen und internationalen Akteuren im Berliner Prozess vereinbarte Fahrplan. Und diesen Ansatz verfolgt auch der Sonderbeauftragte des UN-Generalsekretärs Bathily, den wir vollumfänglich unterstützen.

Lieber Kollege Hardt, Sie haben zu Recht gesagt, eine Katastrophe sollte nicht der Moment für politische Auseinandersetzungen sein. Aber zu behaupten, es sei die Außenministerin, die sich nicht genug einbringt und sonst die Katastrophe hätte verhindern können, ist, glaube ich, an dieser Stelle nicht angemessen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Jürgen Hardt [CDU/CSU]: Das habe ich nicht gesagt! Ich habe nur gesagt, der Libyen-Prozess muss geklärt werden! Was ist denn mit dem Libyen-Prozess?)

– Wir führen den Libyen-Prozess fort.

Die Außenministerin hat deutlich gemacht, dass wir für eine Berlin-3-Konferenz bereitstehen. Das ist aber auch noch nicht abgerufen. Ansonsten führen wir die Gespräche in den Arbeitsgruppen fort und stehen jederzeit bereit.

Wir lassen die Libyerinnen und Libyer jetzt nicht allein. Deutschland steht weiter an der Seite des libyschen Volkes, wenn es darum geht, die Auswirkungen dieser Katastrophe zu bewältigen und sein Schicksal mit freien und gerechten Wahlen selbst in die Hand zu nehmen.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Vizepräsidentin Yvonne Magwas:

Für die FDP-Fraktion hat das Wort Carl-Julius Cronenberg.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)