Rede von Lamya Kaddor Aktuelle Stunde "Öffentlich-Rechtlicher Rundfunk"

Lamya Kaddor
23.09.2022

Lamya Kaddor (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Vielen Dank. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren oben auf der Tribüne, unseren Zuhörern! Um das gleich zu Beginn klarzustellen: Ja, auch ich sehe natürlich einigen Reformbedarf bei den öffentlich-rechtlichen Sendern. Ich würde auch sagen: Die Lösungen müssen an der Struktur ansetzen; das ist ja klar. Aber was hier in den vergangenen Wochen teilweise an Dauerfeuer kommt, erschüttert die Grundfesten unseres Systems, und das kann ich als Innenpolitikerin in diesem Land nicht unkommentiert lassen.

Die öffentlich-rechtlichen Medien sind eine tragende Säule unserer Demokratie.

(Beatrix von Storch [AfD]: Jawohl!)

Sie sind ein Garant von Freiheit und Vielfalt.

(Beatrix von Storch [AfD]: Und Rechtsstaat!)

Wer Hand an ihr Fundament anlegt, richtet die Abrissbirne gegen unseren Rechtsstaat.

(Zuruf von der AfD: So ein Blödsinn!)

Es waren vor allem die Öffentlich-Rechtlichen, die in den vergangenen Jahren ausführlich und in der Regel sachlich beispielsweise über die Gefahren des Islamismus in diesem Land und in der ganzen Welt aufgeklärt haben.

(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!)

Heute sind es vor allem diese Sender, die die rechtspopulistischen und rechtsextremen Umtriebe beleuchten, Fake News zerlegen und Verschwörungsideologien aufdecken.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der FDP und der LINKEN)

Zudem geben sie gemäß ihrem Auftrag auch solchen Menschen eine reichweitenstarke Stimme, die lange Zeit gar keine Stimme hatten. Sie machen die Sorgen von jenen sichtbar, die sonst unsichtbar sind: Menschen mit Behinderungen, Menschen, die von Armut betroffen sind, Verlierer der Wiedervereinigung, alleinerziehende Mütter, Deutsche mit Zuwanderungsgeschichte, Geflüchtete, Homosexuelle, queere Menschen.

(Beatrix von Storch [AfD]: Nur die Mehrheitsgesellschaft findet nicht statt!)

Und damit sind wir auch schon bei des Pudels Kern: Es geht um gesellschaftliche Minderheiten. Deren Positionen wahrzunehmen, Vorurteile über sie zu dekonstruieren, all das ist zentral für eine sozial gerechte Gesellschaft.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)

Diese Aufgabe übernimmt das öffentlich-rechtliche System heute wie kein anderes. Das ist der eigentliche Grund, warum Politikerinnen und Politiker der AfD und einige andere in diesem Hohen Haus dieses am liebsten abschaffen wollen. Sie wollen weder, dass solche Minderheiten großartig Gehör finden – sehen wir jetzt gerade –, noch wollen Sie Störfeuer haben, wenn Sie gegen sie agitieren in Ihrer Illusion von einer Mehrheitsgesellschaft, die Sie nicht einmal definieren können.

(Dr. Götz Frömming [AfD]: Das sagt kein Mensch!)

In Wahrheit üben Sie nämlich permanent Fundamentalkritik und schießen süffisant übers Ziel hinaus.

Doch wohin das führt, sieht man an Polen und natürlich auch an Ungarn. Schamlos wie niemand sonst machen sich die Rechtskonservativen dort die Medien untertan, besetzen Chefetagen mit Günstlingen und geben ganz direkt Order, was zu berichten ist. Und gewiss müssen deren Führungskräfte nicht schon beim ersten begründeten öffentlichen Verdacht ihre Funktion aufgeben, wie übrigens etwa beim NDR.

Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch wenn man nach Westen schaut, sieht man ähnliche Entwicklungen. Nehmen Sie die Schweiz. Schauen Sie nach Frankreich. Marine Le Pen reibt sich bereits die Hände in Vorfreude auf einen erhofften Bedeutungsverlust der Öffentlich-Rechtlichen nach Abschaffung der Rundfunkgebühren. Blicken Sie nach Großbritannien, wo Boris Johnson der altehrwürdigen BBC an den Kragen gegangen ist. Und warum? Weil es seinen Tories nicht passt, was sie berichtet haben.

(Michael Frieser [CDU/CSU]: Und jetzt ist er weg!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht uns nichts an, welche Meinung Journalistinnen und Journalisten vertreten, was sie und über was sie berichten wollen – nicht Sie, nicht mich. Es herrscht Programmautonomie in diesem Land.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE])

Die Öffis sind weder die Presseabteilung der Bundesregierung noch der Opposition. Sie leben von politischer Unabhängigkeit. Nur der freiheitlichen Grundordnung sind sie verpflichtet. Darf ich Sie an den Medienstaatsvertrag erinnern? § 26 des Medienstaatsvertrages, finde ich, kam hier viel zu wenig zur Rede:

Auftrag der … Rundfunkanstalten ist, … die demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Gesellschaft zu erfüllen. … Sie sollen … die internationale Verständigung, die europäische Integration und den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Bund und Ländern fördern.

Kein Wunder also, dass sie bei reaktionären Backlashs die Ersten sind, die fallen, Beispiel Russland, Beispiel Türkei. Mal sehen, wie es nach dem Wochenende in Italien weitergeht. Was ohne starke Öffis passieren kann, können Sie in den USA studieren.

(Marco Wanderwitz [CDU/CSU]: Okay!)

Die Demokratinnen und Demokraten in diesem Hohen Haus müssen zusammenstehen, um derartige Entwicklungen zu verhindern. Ohne vernünftiges öffentlich-rechtliches Fernsehen und Systeme ziehen dunkle Wolken auf. Wir wären nach dem Zweiten Weltkrieg nicht da, wo wir heute sind. Und vertun Sie sich alle nicht. Auch Deutschland ist nicht immun gegen Extremismus. In diesem Sinne profitieren wir als Gesellschaft im Ganzen von diesem System. Daher spielt es im Einzelfall auch keine Rolle, ob jemand das Fernseh-, Radio- oder Internetangebot tatsächlich nutzt. Die Freiheit, die die Öffentlich-Rechtlichen mit aufrechterhalten und befördern, dient uns allen; selbst Ihnen. Das sollte sich jeder vor Augen halten, wenn von irgendwo einmal wieder mit billigem Populismus versucht wird, das öffentlich-rechtliche System zum Einsturz zu bringen.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE] – Dr. Götz Frömming [AfD]: DDR-Sprech!)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Für die FDP-Fraktion hat jetzt Maximilian Funke-Kaiser das Wort.

(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)