Rede von Bernhard Herrmann Aktuelle Stunde - Ölembargo

Zur Darstellung dieses Videos speichert Youtube Daten in einem Cookie und verarbeitet auch Nutzungsdaten außerhalb der EU. Weitere Infos finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

12.05.2022

Bernhard Herrmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Breite Einigkeit zumindest dort: Wir müssen der politischen und sozialen Verantwortung gerecht werden gegenüber den Arbeitenden der PCK in Schwedt, gegenüber der Stadt, für die die Raffinerie die zentrale Lebensader ist, und gegenüber den Menschen in Ostdeutschland insgesamt. Und genauso müssen wir unserer Verantwortung gegenüber unseren europäischen Nachbarn gerecht werden und natürlich auch bezüglich des Klimawandels ambitioniert vorgehen.

PCK hat eine bewegte Vergangenheit. Seit den 60er-Jahren versorgte sie große Teile der DDR zuverlässig mit Ölprodukten. Durch die wirtschaftlichen Folgen der Wende gingen in der Raffinerie viele Arbeitsplätze verloren. Die Stadt hatte eine Arbeitslosenquote von bis zu 25 Prozent, und die Einwohnerzahl sank rapide ab. Ich verstehe – und das aus eigenem Erleben – die Sorge der Menschen in Schwedt, ihre Angst um ihre eigenen wirtschaftlichen Existenzen, ihre Angst um Stadt und Region.

Umso dringlicher ist es doch gerade daher, die Raffinerie endlich auf einen Öllieferstopp vorzubereiten; denn diesen wird es allein schon aus europäischer Solidarität geben müssen. Wir hatten vor zwei Tagen ein Treffen mit jungen Menschen von Fridays for Future Ukraine und Polen. „Every month ten billion euro to the warmachine?“ – jeden Monat 10 Milliarden Euro in die Kriegsmaschinerie? –, fragten uns die jungen Menschen. Auf Erklärung unsererseits – ebenfalls von jungen Menschen – konnten die Polinnen und Polen das dann so leicht verstehen, die Ukrainerinnen und Ukrainer verständlicherweise nicht.

Kurz nachdem wir Ostdeutsche uns in der Friedlichen Revolution von der SED-Diktatur befreien konnten, gelang auch den Menschen in der Ukraine der Weg zur Unabhängigkeit. Seitdem haben sie mehrfach auf dem Maidan für Freiheit und Demokratie gerungen, und genau deswegen greift Putin sie an. Es ist der Kampf eines autoritären, inzwischen diktatorischen Systems gegen die Grundlagen auch unserer Gesellschaft.

Und, sehr geehrte Damen und Herren der Linken, was bisweilen wieder unter dem Zeichen von Hammer und Sichel daherzukommen scheint, das ist genau das Gegenteil. Putin geht gruselig vor und will konsequent zurück ins Zarenreich. Was denken Sie, warum Sie Beifall von der rechten Seite bekommen?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Sören Pellmann [DIE LINKE]: Das ist billig!)

Ich zitiere den DGB-Vorsitzenden aus Südwestsachsen

(Ates Gürpinar [DIE LINKE]: Jetzt nicht ablesen!)

– Zitate lese ich ab. – Er sagte: Putin war früher angeblich Kommunist, heute schwerreich; zusammengeraubtes Vermögen, Oligarchengünstling.

(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Ja, so ist es! Richtig! Recht hat er! – Ates Gürpinar [DIE LINKE]: Das bestreitet ja keiner!)

Ich vermisste ein Wort zum Angriffskrieg Putins in Ihrer Rede.

(Beifall der Abg. Zoe Mayer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wir wissen alle sehr genau, dass ein Öllieferstopp mit gravierenden Problemen verbunden sein kann. Wirtschaftsminister Habeck hat Finanzhilfen für PCK in Aussicht gestellt und setzt sich unermüdlich dafür ein, die Probleme zu lösen und sicherzustellen,

(Karsten Hilse [AfD]: Herzlichen Dank!)

dass auch dort kein einziger Arbeitsplatz verloren geht und von dort weiterhin Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern mit Ölprodukten beliefert werden. Aber dafür braucht es auch Solidarität, erneut Solidarität aus Polen, nämlich bei der Öllieferung aus Danzig, alles andere als selbstverständlich angesichts der Eigentumsverhältnisse bei PCK.

Wir Bündnisgrünen nehmen die Sorgen der Menschen sehr wohl ernst.

(Zuruf von der AfD: Klar!)

Wir kommunizieren ehrlich mit ihnen und arbeiten an Lösungen. Wir sollten uns davor hüten, uns auf Kosten der Betroffenen zu profilieren, und davon absehen, vorhandene Ängste noch unnötig zu schüren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Verfassungs- und europarechtlich untaugliche Steuersenkungen helfen nicht. Regionale Steuersenkungen zu fordern, wo es bisher überhaupt keine Preisunterschiede zwischen Ost und West gibt, ist sachlich grundfalsch. In Europa insgesamt wird verantwortungsvoll mit den Embargofolgen umgegangen. Ein Ölembargo soll erst ein halbes Jahr nach dem Beschluss in Kraft treten und nicht jetzt sofort. Wir als Politik müssen bis dahin gemeinsam mit den Betroffenen alles dafür tun, dass auch in Schwedt die Herausforderungen gemeistert werden.

Zu guter Letzt heißt ein verantwortlicher Umgang mit der Raffinerie in Schwedt, anzuerkennen, dass sie endlich einen Plan für Treibhausgasneutralität braucht. In Leuna ist man da viel weiter: Grüner Wasserstoff, synthetische Kraftstoffe. Wer das nicht unterstützt, wer Angst vor Lösungen hat, wer Angst vor Lösungen stellt, der hat – der Eindruck drängt sich mir leider auf – das Interesse der Arbeiterinnen und Arbeiter nicht wirklich im Blick.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD – Sören Pellmann [DIE LINKE]: Das hattet ihr noch nie!)

Minister Habeck und sein Staatssekretär haben sich dem Austausch mit der Belegschaft im Schwedt direkt gestellt. Sie werden das weiterhin tun. Wir weichen schwierigen Fragen nicht aus und arbeiten gemeinsam an Lösungen. Die ganze Region hat Transformationserfahrungen mit industriellem und gesellschaftlichem Wandel.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das ist nie einfach; aber das ist ein Erfahrungsschatz, der sogar helfen kann, den Übergang hin zur klimaneutralen Industrie gut zu bewältigen. Wir alle, in Ost und West, stehen hinter den Menschen in der Region und lassen uns nicht spalten.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP – Amira Mohamed Ali [DIE LINKE]: Das war ja mal richtig peinlich!)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Für die FDP-Fraktion gebe ich das Wort dem Kollegen Dr. Lukas Köhler.

(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)