Rede von Frank Bsirske Aktuelle Stunde „Post-Beschäftigte“

Frank Bsirske MdB
11.10.2023

Frank Bsirske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Abgeordnete! Am Montag haben sich 30 000 Zustellerinnen und Zusteller zusammen mit ihrer Gewerkschaft für eine auskömmliche Finanzierung des Universaldienstes und für tariflich geschützte Arbeitsbedingungen eingesetzt. Das ist gut so. Und gut ist, dass alle Redner/-innen der demokratischen Parteien sich heute hier zum Erhalt des Universaldienstes bekannt haben.

Das verlangt aber auch, dem Erbringer des Universaldienstes einen auskömmlichen Gewinnzuschlag zuzugestehen, mit dem der Universaldienst wirtschaftlich erbracht werden kann und notwendige Investitionen in Strukturwandel und Klimaneutralität sowie anständige Arbeitsbedingungen ermöglicht werden.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Dabei muss überprüfbar sein, dass diese Investitionen auch tatsächlich vorgenommen werden.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Reinhard Houben [FDP] und Pascal Meiser [DIE LINKE])

Unter den Bedingungen rückläufiger Briefmengen ist die Sicherstellung des Universaldienstes nirgendwo – wirklich nirgendwo – in Europa über eine Intensivierung des Wettbewerbs gelungen. Im Gegenteil: Die entschiedensten Verfechter des Wettbewerbs – Großbritannien, die skandinavischen Staaten und die Niederlande – sind heute im Zuge ihrer Politik beim Gegenteil des ursprünglich Angestrebten gelandet. Die Skandinavier und die Briten subventionieren ihre nationalen Postunternehmen massivst zwecks Defizitausgleich. Und die niederländische Regierung hat der niederländischen Post vor Kurzem gestattet, das einzig verbliebene Konkurrenzunternehmen zu übernehmen, mit der vielsagenden Begründung, dass andernfalls ein auskömmlicher Universaldienst gefährdet sei. Das sollte uns für die künftige Ausgestaltung des Universaldienstes zu denken geben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Während der Briefmarkt schrumpft, hat sich die Anzahl der versendeten Pakete in Deutschland innerhalb von elf Jahren mehr als verdoppelt. An den prekären Arbeitsbedingungen in der Zustellung hat das allerdings nichts geändert. Im Gegenteil: Sie haben sich noch weiter verfestigt. Der Stundenlohn von Vollzeitbeschäftigten lag 2009 im Schnitt bei 17,12 Euro. 2020 betrug er gerade einmal 17,13 Euro, was einem realen Minus von 15 Prozent entspricht.

Um die Kosten zu drücken, hat ein Teil der Paketdienstleister die Zustellung auf eine Vielzahl von Subunternehmen ausgelagert. Mein Kollege Pascal Kober hat in der letzten Sitzung gesagt, man solle die Menschen und die Unternehmen nicht unter Generalverdacht stellen, und ich stimme ihm darin ausdrücklich zu.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

In der Paketbranche freilich ist der Einsatz von Subunternehmerstrukturen und ganzen Kettenvergaben nicht nur höchst undurchsichtig; vielmehr ist die Beschäftigung im Rahmen dieser Vergabekonstellation regelmäßig durch Verstöße gegen die Pflicht zur Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns, durch Umgehung des Kündigungsschutzes und durch die Nichteinhaltung des Arbeitszeitgesetzes gekennzeichnet. Zudem fehlen in aller Regel jedwede betriebliche Mitbestimmung und Tarifstrukturen.

Begünstigt werden die Rechtsverstöße dadurch, dass Drittstaatenangehörige mit unsicherem Aufenthaltsstatus und mit geringen Deutschkenntnissen als Zustellerinnen eingesetzt werden. Fahrer und Zusteller aus Osteuropa leben wochenlang in ihren Autos, werden von zweifelhaften Subunternehmern oft genug um ihren Lohn geprellt oder sehen sich mit Arbeitszeitvorgaben konfrontiert, mit denen der Mindestlohn unterlaufen wird. Eine Razzia des Zolls in Köln dokumentierte kürzlich an einem einzigen Tag – an einem einzigen Tag! – 220 Fälle von Unterschreitung des gesetzlichen Mindestlohns, 35 Fälle von Sozialmissbrauch, 31 Fälle fehlender Anmeldungen bei der Sozialversicherung, fehlende Fahrerlaubnis, gefälschte Ausweispapiere, Stilllegung betriebsunfähiger Fahrzeuge.

Lohn- und Sozialdumping ist inzwischen zum Geschäftsmodell geworden und führt bei Unternehmern, die nach Tarif bezahlen und sich an einschlägige Vorschriften halten, zu einem Wettbewerbsnachteil. Lohn- und Sozialdumping begünstigen zugleich Schlechtleistungen alternativer Zustelldienste. In Berlin sind im Herbst vergangenen Jahres mehr als 100 000 Sendungen in Mülleimern der Stadtreinigung und in Hausfluren gefunden worden – Sendungen eines alternativen Zustelldienstes, von dem bekannt war, dass er auch den Mindestlohn umgeht und sich offenkundig auch um Postgeheimnis und Datenschutz nicht schert. Gründe genug also, einzuschreiten. Das ist ein Auftrag, dem die Bundesnetzagentur, die laut Postgesetz dafür verantwortlich ist, Anbietern die Lizenz zu entziehen, wenn diese die üblichen Arbeitsbedingungen erheblich unterschreiten, bisher zu keinem Zeitpunkt nachgekommen ist.

Was folgt daraus? Es muss eine Struktur geschaffen werden, die die Netzagentur verpflichtet, Beschwerden nachzugehen und Sanktionen zu beschließen, bis hin zum Entzug des Marktzugangs.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Subunternehmerketten dürfen nicht länger zugelassen sein. Es braucht eine manipulationssichere, tagesgenaue elektronische Erfassung der gesamten geleisteten Arbeitszeit, und es muss Sorge dafür getragen werden, die Arbeit in der Zustellung länger gesund ausüben zu können. Dafür ist das Gewicht der zu befördernden Sendungen im Einpersonenhandling auf maximal 20 Kilogramm zu begrenzen, und das alles bei einer Zustellung an sechs Werktagen in der Woche.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Dann wird auch das Engagement der 30 000 Kolleginnen und Kollegen auf der Verdi-Kundgebung in Berlin Früchte getragen haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Vizepräsidentin Petra Pau:

Das Wort hat Pascal Kober für die FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)