Rede von Anja Hajduk Aktuelle Stunde "Schuldenbremse im Bundeshaushalt"
Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir hatten ja gestern schon eine ähnliche Debatte auf Antrag der Linken. Ich möchte hier sagen: Ja, der Kurs der SPD, bezogen auf die Haushalts- und Finanzpolitik,
(Andreas Schwarz [SPD]: Ist gut!)
ist in der Tat völlig unklar.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP – Bernhard Daldrup [SPD]: Was?)
Das kann man schon allein damit beschreiben, dass der Bundesfinanzminister Olaf Scholz, der ja der SPD angehört,
(Otto Fricke [FDP]: Na ja!)
hier in der letzten Sitzungswoche noch klar gesagt hat, es sei nicht nötig, sich von einem ausgeglichenen Haushalt, von der schwarzen Null zu verabschieden. Der Parteivorsitzende der SPD, Walter-Borjans, vertritt eine ganz entgegengesetzte Auffassung; denn er sagt, die schwarze Null stehe einer zukunftsgerichteten Finanzpolitik entgegen,
(Bernhard Daldrup [SPD]: Gar nicht wahr! – Andreas Schwarz [SPD]: Stimmt nicht!)
und die Schuldenbremse müsse man eigentlich auch abschaffen.
(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Sie reden von anderen Zeiten! Die darf man nicht vergleichen! – Gegenruf des Abg. Otto Fricke [FDP]: Dass ihr von anderen Zeiten redet, ist klar!)
– Ach, jetzt stehen Sie doch mal dazu und halten Sie es mal aus, dass man feststellt, dass das die Bürgerinnen und Bürger irritieren muss,
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP – Andreas Schwarz [SPD]: Das irritiert die Grünen! Für Sie ist das irritierend!)
insbesondere im Zusammenhang mit der Haltung einer CDU, die die schwarze Null verteidigt und die nicht ganz zu Unrecht jetzt in der Logik Ihrer gemeinsamen Entscheidungen darauf pocht: Wir haben das doch eine Woche vorher gemeinsam beschlossen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Da kann man nur sagen: Da ist Streit und Gerangel in dieser Großen Koalition wieder vorprogrammiert,
(Bernhard Daldrup [SPD]: Das hätten Sie gerne!)
und das bei einem Grundsatzthema der deutschen Politik.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Wir Grüne sind überzeugt, dass wir bei den Investitionen viel größere Anstrengungen, als bisher im Haushalt niedergelegt, brauchen. Sie sagen immer: 43 Milliarden Euro, das ist Rekord. – Mann, in absoluten Zahlen ist auch die Haushaltshöhe von 360 Milliarden Euro Rekord.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)
Das ist banal. Bitte verdummen Sie die Menschen nicht!
(Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Genau!)
Insbesondere gilt das gemessen an den Herausforderungen der Zukunft: Wenn der BDI und der DGB schon eine Allianz gründen
(Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Dann wird es gefährlich!)
und sagen: „Wir brauchen 450 Milliarden Euro auf zehn Jahre gerechnet als Zukunftsinvestitionsversprechen“, dann sollte Sie das eher zum Nachdenken anregen und nicht zum lockeren Zurücklehnen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Oder wenn die EU-Kommission mit Frau von der Leyen sagt: „Wir brauchen, um den Klimawandel zu beherrschen, um die Klimakrise zu bekämpfen, zusätzliche Milliardeninvestitionen und ein mehrjähriges Versprechen, dass wir das auch stemmen“, dann können Sie sich nicht so einfach zurücklehnen, wie Sie das bisher gemacht haben.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Deswegen – davon sind wir Grüne überzeugt – brauchen wir ein mehrjähriges Investitionsversprechen, und so ein mehrjähriges Investitionsversprechen, das muss man dann auch mit Instrumenten belegen.
Da komme ich auch noch mal auf die CDU zurück. In den Jahren 2014 bis 2017, in diesen Boomjahren, haben wir laut Zahlen des Statistischen Bundesamts, Herr Haase, die Verkehrsinfrastruktur trotz boomender Einnahmen auf Verschleiß gefahren.
(Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Das ist totaler Quatsch!)
– Die Investitionssumme war geringer als die Abschreibung und der Verschleiß; das sind nicht meine Zahlen, Herr Rehberg. – Um das zu verhindern, sagen wir Grüne nicht, dass man alle Investitionen kreditär finanzieren muss. Nein, man kann auch Investitionen aus dem Haushalt gegenfinanzieren; das ist richtig. Aber wir brauchen bei einer verschlissenen Infrastruktur zusätzlich mehr auf der aktuellen Zeitschiene. Deswegen muss man zum Aufbau von Vermögen für Investitionen in zukunftsgerichtete Infrastruktur – sei es der digitalen, sei es der Verkehrsinfrastruktur – sehr wohl Kredite aufnehmen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Jörg Cezanne [DIE LINKE])
Alle Volkswirte sagen, dass das unter ökonomischer Hinsicht sinnvoll ist.
(Karsten Klein [FDP]: Das sagen nicht alle!)
Dieser Erkenntnis sollten Sie sich nicht verschließen.
Deswegen kommen wir zu dem Schluss: Dieser Haushalt 2020, so wie Sie ihn beschlossen haben, hat große Schwächen mit Blick auf die Zukunftsfestigkeit. Was ist von daher zu tun? Wir würden Sie auffordern, im Rahmen der Verfassung und der Schuldenbremse, die wir jetzt haben, mittels Investitionsgesellschaften, also öffentlichen Unternehmen, kreditfinanzierte Investitionen zum Beispiel in neue Ladeinfrastruktur vorzunehmen. Das ist im Rahmen der Schuldenbremse erlaubt. Lassen Sie es uns einfach in Form dieser Investitionsgesellschaften anpacken.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Lassen Sie uns auch zügig in Angriff nehmen, den Spielraum, den die Schuldenbremse für zusätzliche Investitionen lässt, auszunutzen. Lassen Sie uns endlich einen Bundesinvestitionsfonds auflegen, um das mehrjährige Investitionsversprechen, wozu uns Wissenschaftler auffordern, wozu uns die EU-Kommission auffordert, wozu uns viele auffordern, einzulösen. Lassen Sie uns das angehen. Das kann man mit einer behutsamen Weiterentwicklung der Schuldenbremse schaffen, -
Vizepräsident Wolfgang Kubicki:
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.
Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
– die weiterhin auch strikte Grenzen einhält. Haben Sie davor nicht so viel Angst!
Vizepräsident Wolfgang Kubicki:
Frau Kollegin, bitte.
Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Wenn die Unklarheit der GroKo heute dort zu mehr Bewegung führt, dann wäre ich damit sehr einverstanden.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Vizepräsident Wolfgang Kubicki:
Vielen Dank. – Nun erwarten wir den Beitrag des Kollegen Dr. Hans Michelbach, CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)