Foto von Filiz Polat MdB
25.05.2023

Filiz Polat (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben Deutschland schon immer als Einwanderungsland gesehen. Dieser Einsicht können und konnten sich viele in diesem Hause nur mühsam annähern. Und das wurde gerade wieder deutlich bei der Rede von Frau Lindholz.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Einige hier bleiben sogar gänzlich im völkisch-nationalistischen Denken verhaftet.

In Deutschland wurde mit der ersten großen Reform des Staatsangehörigkeitsrechts zur Jahrtausendwende Rechtsgeschichte geschrieben. Das noch – jawohl – aus der Kaiserzeit stammende Blutsrecht wurde durch das Bodenrecht ergänzt. Das war ein wichtiger Meilenstein, aber auch ein unglaublicher Kraftakt; denn diese Reform wurde bereits von einer schlimmen Stimmungsmache begleitet, schmerzvoll für viele Einwanderungsfamilien. So etwas darf sich nicht wiederholen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Deshalb laden wir die Union ein, an einem zeitgemäßen Staatsangehörigkeitsrecht für ein modernes Einwanderungsland mitzuarbeiten. Erkennen Sie endlich die Lebensrealitäten an! Frau Lindholz, auch ich habe einen Doppelpass, und ich werde bestimmt nicht von Erdogan beeinflusst.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Senden Sie mit uns gemeinsam den Menschen in unserem Land die Botschaft, dass wir ihre Lebensleistung würdigen!

Meine Damen und Herren, bei uns leben aktuell mehr als 11 Millionen Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit – 1,5 Millionen von ihnen haben keinen deutschen Pass, obwohl sie hier geboren sind –, viele von ihnen länger als fünf Jahre. Die Einbürgerung hält mit der Einwanderung einfach nicht Schritt. Die vom Bundesverfassungsgericht angemahnte Angleichung der Wohn- und Wahlbevölkerung ist ein eklatantes Demokratiedefizit, das wir mit dieser Reform endlich beheben werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Meine Damen und Herren, die Einbürgerungsquote in Deutschland liegt im EU-Vergleich – Frau Ministerin hat es gesagt – im unteren Drittel. Auch mit der Verkürzung der Einbürgerungsfristen folgen wir als Einwanderungsland Deutschland einem internationalen Trend. Wer die Voraussetzungen erfüllt, sollte sich auch früher einbürgern lassen können. Das stärkt die Bindung zu Deutschland und stärkt auch Deutschland als ein attraktives Einwanderungsland. Das ist längst wissenschaftlich bewiesen, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Ich glaube, es wird deutlich: Warum sich die Union dem verweigert, erschließt sich uns einfach nicht.

Meine Damen und Herren, wir werden auch die Lebensleistung der Generation der sogenannten Gastarbeiter/-innen und Vertragsarbeiter/-innen würdigen, indem wir ihre Einbürgerung erleichtern, ein längst überfälliger Schritt. Wir Grüne sagen: Endlich!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Zurufe von der CDU/CSU)

– Ja, das hat sehr viel mit Respekt gegenüber all jenen zu tun, ohne die unser deutsches Wirtschaftswunder, liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, gar nicht möglich gewesen wäre.

Und wir werden endlich die Einbürgerung für alle unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit möglich machen. Schon jetzt erfolgt bei 70 Prozent der Eingebürgerten die Einbürgerung unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit. Diese Ungerechtigkeit für die anderen 30 Prozent werden wir beheben – ein wichtiger Meilenstein in der Einbürgerungspolitik.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Aber, meine Damen und Herren, wir reden ja erst über einen Entwurf aus Ihrem Haus, Frau Ministerin. Die Beratungen mit den anderen Ressorts und vor allem hier im Deutschen Bundestag haben noch gar nicht begonnen; darauf wurde eben hingewiesen.

Meine Damen und Herren, Frau Ministerin, es darf bei Einbürgerungen nicht zu Ungerechtigkeiten kommen. Die Reform darf eben nicht gegen gleichheitsrechtliche Prinzipien verstoßen, indem zum Beispiel Alleinerziehende, vor allem Frauen, bei Einbürgerungen überproportional schlechtergestellt und Menschen mit Behinderung benachteiligt werden oder indem Rentnerinnen und Rentnern mit geringer Rente oder Menschen, die unverschuldet arbeitslos geworden sind, die demokratische Teilhabe verwehrt wird. Das finden wir falsch.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Dasselbe gilt für Studentinnen und Studenten und Auszubildende, wenn sie staatliche Hilfe in Anspruch nehmen, um in ihre Bildung und Zukunft zu investieren. Auch diese Menschen leisten sehr viel für unsere Gesellschaft. Also, warum belassen wir es nicht dabei? Wer die Inanspruchnahme von Sozialleistungen nicht zu vertreten hat, kann eingebürgert werden. Das wäre der richtige Weg. Alles andere ist bürokratischer Irrsinn.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, wir alle kennen das Struck’sche Gesetz. Erst ab Juli beginnt das eigentliche parlamentarische Verfahren, in dem die Fraktionen zum Zuge kommen. Unser Ziel ist es, aus einem guten ein noch besseres Gesetz zu machen. Ich freue mich, mit Ihnen daran mitzuarbeiten, und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Das Wort hat Dr. Gottfried Curio für die AfD-Fraktion.

(Beifall bei der AfD)