Lamya Kaddor
25.05.2023

Lamya Kaddor (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Ministerin! Ich bin sehr froh, dass wir endlich die Reform des Staatsangehörigkeitsgesetzes angehen; denn sie wird ein zentraler Baustein für ein modernes Einwanderungsland sein.

Kollege Demir, du hast ja gerade Unwahrheiten aufgedeckt. Ich plädiere an dieser Stelle mal für einen Blickwechsel: Deutschland bleibt bisher übrigens unter seinen Möglichkeiten.

(Zuruf des Abg. Peter Beyer [CDU/CSU])

Ein Gutachten des Sachverständigenrates für Integration und Migration aus dem Jahr 2021 kommt zu folgender Einschätzung – Zitat –:

In Deutschland sind die Einbürgerungszahlen … vergleichsweise niedrig. 2019 hatten 12,6 Prozent der erwachsenen Bevölkerung Deutschlands nicht die deutsche Staatsangehörigkeit …

Wer keine Deutsche oder kein Deutscher ist, kann die Vertreterinnen und Vertreter des Volkes nicht ins Hohe Haus des Deutschen Bundestages wählen.

Seit Jahrzehnten diskutiert unser Land die Frage der An- und Zugehörigkeit so, als ob die Menschen Schlange stehen würden, um sich einbürgern zu lassen, weil das so einfach und so schnell ginge.

(Konstantin Kuhle [FDP]: Schön wär’s!)

Das ist mitnichten der Fall. Die meisten Menschen, die sich einbürgern lassen wollen, müssen diesen Prozess jahrelang vorbereiten.

(Zuruf von der AfD: Das ist gut so!)

Wir machen es den Menschen nicht leicht, die Staatsangehörigkeit zu bekommen. Im Gegenteil: Wir leben inzwischen mit anderen modernen Einwanderungsländern in Konkurrenz. Wir erschweren die Einbürgerung an vielen Stellen unnötig, und das ist der falsche Weg, meine Damen und Herren.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der FDP)

Noch immer verlangen wir von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte, die die Kompetenz mitbringen, zum Beispiel in zwei oder mehr Sprachen zu sprechen, zwei oder mehr Kulturen zu pflegen, mit unterschiedlichen historischen Bezügen die Welt zu verstehen, sich nur für eine dieser Möglichkeiten zu entscheiden.

Wieso wird man eigentlich vor diese Wahl gestellt? Das ist absurd. In einer globalisierten, mobilen Welt ist die Kompetenz, sich in verschiedenen Kulturen und sozialen Kontexten zu bewegen, ein Vorteil.

(Zurufe von der AfD)

– Ja, da müssen Sie zuhören. Ich weiß, das tut Ihnen weh.

(Lachen des Abg. Martin Hess [AfD])

Sehr geehrte Damen und Herren, es ist an der Zeit, die Integrationsleistungen der ersten und zweiten Gastarbeitergeneration – fürchterliches Wort – anzuerkennen, gerade weil die Integration in den letzten Jahrzehnten allzu oft ohne die sehr spät installierten staatlichen Angebote funktioniert hat. Diese Menschen haben einen wesentlichen Anteil an unserem Wohlstand.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Sie haben viel und hart dafür gearbeitet.

Aber angeboten haben wir diesen Menschen, die nun älter geworden und im Rentenalter sind, die deutsche Staatsbürgerschaft nicht. Sie mussten sie erwerben und haben dabei teilweise enorme bürokratische Hürden überwinden müssen. Daher brauchen wir ein modernes Staatsangehörigkeitsrecht, das alle Menschen gleichermaßen durch den schnelleren und unkomplizierteren Zugang zur Staatsbürgerschaft würdigt und allen Einwohnerinnen und Einwohnern rechtlich die Mehrstaatlichkeit ermöglicht, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Gelingt uns dies, könnte Deutschland bei der Einbürgerungspolitik künftig zur Avantgarde gehören, so führende Migrationswissenschaftlerinnen wie Professor Dr. Petra Bendel vom SVR, und das wäre doch mal was.

Eine geänderte Gesetzeslage aber wird nicht sofort zu hohen Einbürgerungszahlen führen; auch das ist ein Trugschluss. Wir brauchen für eine Erhöhung eine gute Kampagne gegen den Informationsmangel aufseiten der potenziellen Neubürgerinnen und Neubürger.

(Dr. Götz Frömming [AfD]: Ach, darum geht’s!)

Denn manche Einbürgerungsberechtigte wissen überhaupt nicht, dass sie die Voraussetzungen für eine Einbürgerung bereits erfüllt haben. Andere wiederum schrecken vor den komplizierten Verfahren und langen Antragszeiten zurück. Daher müssen Bund, Länder und Kommunen für Einbürgerungen die Werbetrommel rühren

(Dr. Götz Frömming [AfD]: Auch das noch!)

und über alle Optionen sowie Vorteile der Einbürgerung informieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Götz Frömming [AfD]: Am besten im Ausland!)

Wollen wir einen Wandel hin zu einem modernen, offenen Einwanderungsland, brauchen wir aber auch das Selbstbewusstsein eines Einbürgerungslandes. Eine würdigende Einbürgerungsfeier, beispielsweise mit dem Überreichen der Urkunde, finde ich persönlich daher eine gute Idee.

(Konstantin Kuhle [FDP]: Sehr gut! – Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Das gibt’s doch schon! Also, Wahnsinn, was Sie hier erzählen!)

– Eben.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ich möchte mit einer Mahnung enden: Wir sollten uns mit diesen Debatten – das geht vor allen Dingen an Sie von der Union – rund um Einwanderung und Einbürgerung gesellschaftlich nicht kleiner reden, als wir sind. Das schadet im Übrigen unserem Ruf im Ausland, es macht uns unattraktiver für Einwanderinnen und Einwanderer, und es verwehrt lang hier lebenden Menschen mit internationaler Biografie die Begegnungen auf Augenhöhe. Wir sind ein starkes, ein wunderbares Land mit einer lebendigen Demokratie, meine Damen und Herren.

Ministerin Faeser hat den Satz von Max Frisch von 1965 gerade zitiert; ich zitiere ihn ebenfalls: „Wir riefen Arbeitskräfte, und es kamen Menschen.“ Eigentlich müssten wir diesen Satz updaten. Eigentlich müsste er nun heißen: Wir werden zukünftig weiterhin Menschen rufen, und wir können nur hoffen, dass diese Menschen hier arbeiten und heimisch werden wollen.

(Martin Hess [AfD]: Sie hoffen darauf! Das ist das Problem!)

Ich freue mich nun, dass noch vor der ersten Ressortbeteiligung die Bundesländer und auch die Zivilgesellschaft beteiligt werden. Die Zeit drängt. Das parlamentarische Verfahren beginnt endlich. Ich freue mich sehr.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Vizepräsidentin Yvonne Magwas:

Für die FDP-Fraktion hat das Wort Konstantin Kuhle.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)