Rede von Lamya Kaddor Aktuelle Stunde: Terrorverherrlichung und Antisemitismus

Lamya Kaddor
18.10.2023

Lamya Kaddor (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tribünen! Über 1 400 Zivilistinnen und Zivilisten wurden in grenzenloser Brutalität durch Hamasterroristen auf israelischem Boden bestialisch ermordet. Etwa 200 Personen, darunter Kinder, wurden durch die Hamas als Geiseln in Gaza genommen. Seit dem Schrecken der Shoah wurden nicht mehr so viele Jüdinnen und Juden – wir haben es gerade gehört – an einem Tag ermordet wie am 7. Oktober 2023.

Dass nun im weit entfernten Deutschland, im Land der Shoah, Menschen den Terror glorifizieren und antisemitische Parolen skandieren, ist eine unerhörte Schande.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der LINKEN)

Dass es, wie letzte Nacht und heute Morgen geschehen, zu einem Brandanschlag auf die jüdische Gemeinde in der Brunnenstraße kam, erinnert mit Schrecken an den Terror der Nationalsozialisten. Wir sind als Politikerinnen und Politiker vielleicht mehr denn je gefordert, das Versprechen „Nie wieder!“ – Kollege Hoffmann hat es angesprochen – mit Leben zu füllen. Auch ich werde darauf zu sprechen kommen.

Wir dürfen nie wieder hinnehmen, dass die Ermordung von Jüdinnen und Juden öffentlich Zuspruch erhält.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der LINKEN)

Nie wieder dürfen wir der Ideologie des Hasses erlauben, öffentlichen Raum einzunehmen. „Nie wieder!“ heißt, dass wir nicht achselzuckend zusehen, wenn die Haustüren jüdischer Bürgerinnen und Bürger mit dem Davidstern beschmiert werden. „Nie wieder!“ ist jetzt, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Cornelia Möhring [DIE LINKE])

Selbstverständlich dürfen Menschen öffentlich und friedlich ihre Solidarität mit den Palästinenserinnen und Palästinensern kundtun. Selbstverständlich ist vor allem auch: Antisemitische Kundgebungen, die sich als vermeintliche Solidaritätsbekundungen für die Palästinenserinnen und Palästinenser tarnen, werden konsequent durch die Behörden untersagt – und das ist auch gut so.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Dass der Staat nun endlich ein Betätigungsverbot gegen die Hamas implementiert, ist ein richtiger und wichtiger Schritt. Dass wir nicht bei der Hamas stehen bleiben, sondern auch Vorfeldorganisationen wie die leninistisch-marxistische Samidoun, die mit der Terrororganisation PFLP eng verbandelt ist, verbieten werden, ist längst überfällig.

(Beatrix von Storch [AfD]: Antrag der AfD abgelehnt!)

Inzwischen hat auch Telegram reagiert und hamasnahe Gruppen gesperrt. Es darf also kein Zweifel darüber bestehen, dass die Sicherheit Israels und der Schutz jüdischen Lebens wirklich Staatsräson ist.

Sehr geehrte Damen und Herren, der Kampf gegen Antisemitismus ist zu wichtig, zu dringlich, zu zentral, um ihn parteipolitisch zu instrumentalisieren oder mit wirkungslosen Scheinlösungen zu hantieren. Wir verkürzen und relativieren die Herausforderungen durch den Antisemitismus, wenn wir ihn auf einen importierten Antisemitismus reduzieren. Wir haben reichlich hausgemachten Antisemitismus in Deutschland – einen Antisemitismus, den es in Deutschland immer gab, einen Antisemitismus, der unterstellt, Jüdinnen und Juden würden die Shoah zu ihrem Vorteil instrumentalisieren, einen Antisemitismus, der einen Schlussstrich unter die Auseinandersetzung mit deutschen Verbrechen fordert.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Dieser Antisemitismus sitzt – und ich zeige jetzt bewusst hierhin – auch heute hier im Parlament, in Gestalt einer Partei, die das Gedenken an die ermordeten Jüdinnen und Juden als – Zitat – „Mahnmal der Schande“ bezeichnet,

(Stephan Brandner [AfD]: Rudolf Augstein!)

als Schuldkult abtut und die Opfer des Nationalsozialismus mit Begriffen verhöhnt, die ich an dieser Stelle aus Respekt vor den Opfern und dem Hohen Haus nicht zitieren möchte, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)

Ja, es gibt Antisemitismus unter vielen Musliminnen und Muslimen und Menschen mit Migrationsgeschichte. Er ist in Relation sogar stärker ausgeprägt als im Rest der Bevölkerung.

(Beatrix von Storch [AfD]: Hört! Hört!)

Ich bin mir dessen als Lehrerin und Pädagogin, die mit Jugendlichen jahrelang dazu gearbeitet hat, schmerzlich bewusst.

Im Kampf gegen Antisemitismus kommt es aber auch auf eine engagierte Zivilgesellschaft an. Insbesondere die Islamverbände tragen hier eine hohe Verantwortung. Wir brauchen sie als Verbündete im Kampf gegen Antisemitismus. Es ist daher ein wichtiges Zeichen, dass alle anwesenden Islamverbände gestern im Rahmen eines interfraktionellen Austausches mit allen demokratischen Fraktionen – zuvor übrigens auch in NRW geschehen – deutlich gemacht haben, dass sie jegliche „Ja, aber“-Haltung gegenüber dem Terror der Hamas zurückweisen und die Glorifizierung des Terrors auf deutschen Straßen nicht akzeptieren. Immerhin! Allerdings waren einige Verbände nicht dabei. Und auch hier müssen wir uns ernsthaft fragen, ob das mit der Zusammenarbeit so wie bisher weiterlaufen kann.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, es ist ein starkes Signal, dass wir in einer gemeinsamen Aktuellen Stunde von Koalition und Union hier zusammenkommen. „Nie wieder!“ muss für die demokratischen Fraktionen in diesem Haus immer und ohne Abstriche gelten.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Vielen Dank, Frau Kollegin Kaddor. – Nächster Redner ist für die AfD-Fraktion der Kollege Martin Hess.

(Beifall bei der AfD)