Rede von Katja Keul Aktuelle Stunde: UN-Verbot von Atomwaffen

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29.01.2021

Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Atomwaffenverbotsvertrag ist in Kraft getreten. Das ist ein Meilenstein, und das werden Sie auch nicht länger ignorieren können.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Ihre Gegenargumente halten schlicht nicht stand:

(Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Doch!)

Erstens. Der Verbotsvertrag schwächt den Nichtverbreitungspakt nicht. Er verweist auf ihn und erklärt den Verifikationsstand des NVV zum Mindeststandard. Damit ist sichergestellt, dass er an keiner Stelle hintern den rechtlichen Verpflichtungen des NVV zurückbleibt.

Zweitens. Auch die politische Spaltung in Atomstaaten und Nichtatomstaaten wurde nicht durch den Verbotsvertrag geschaffen, sondern dadurch, dass die Atomstaaten ihrer Verpflichtung aus Artikel 6 NVV zur kontinuierlichen und vollständigen Abrüstung seit Jahren nicht nachkommen, sondern im Gegenteil investieren und modernisieren, als ob es den NVV nicht gäbe.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Drittens. Auch NATO-Staaten sind nicht gehindert, dem Verbotsvertrag beizutreten; denn im NATO-Vertrag ist von Nuklearwaffen keine Rede. Erst mit der Strategie von 2010 erklärte sich die NATO zum nuklearen Bündnis, erstaunlicherweise zur gleichen Zeit, als Obama für die Vision von Global Zero den Nobelpreis erhielt und wir im Bundestag gemeinsam den Abzug der Atomwaffen aus Deutschland beschlossen. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt!

Viertens. Wer an der Präsenz von Atomwaffen auf seinem Territorium festhalten will, kann dem Verbotsvertrag nicht beitreten. Richtig! Möglich ist das aber, wenn es einen politischen Willen und eine zeitliche Perspektive für einen Abzug gibt. Und ich sage hier in aller Deutlichkeit: Die grüne Partei und die grüne Fraktion haben diesen Willen, und wir werden uns mit aller Kraft dafür einsetzen, diesen auch umzusetzen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Unsere Fraktionsbeschlüsse sind in dieser Frage ebenso klar wie unser Grundsatzprogramm, und sie wurden allesamt einvernehmlich beschlossen. Wer anderes behauptet, ist auf dem Holzweg.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir wissen sehr gut, welche Widerstände es gibt, und wir sind fest entschlossen, sie zu überwinden. Denn unsere feste Überzeugung ist – damit komme ich zu fünftens –: Nukleare Abschreckung hat nie funktioniert und kann auch gar nicht funktionieren, weil sie nicht glaubwürdig sein kann. Welches soll das Szenario sein, in dem wir Atombomben in Europa einsetzen würden? Ja, wir Grüne stehen zu der Verpflichtung, unsere osteuropäischen Nachbarn in jedem Fall zu verteidigen. Aber wollen Sie unsere Partner allen Ernstes verteidigen, indem Sie sie vernichten? Was ist das für eine absurde Vorstellung, dass deutsche Piloten Atomwaffen aus Büchel gen Osten tragen, um sie dort abzuwerfen, um dadurch Millionen von Menschen zu töten und die Umwelt über Generationen hinweg zu verseuchen?

(Henning Otte [CDU/CSU]: Wieder so ein Quatsch! – Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Unsinn! Meine Güte!])

Denken Sie an die Bilder von Hiroshima, aber auch an die Atomtests auf den für immer verseuchten Marshall Islands, und machen Sie sich klar, dass jeder der aktuell 3 000 einsatzbereiten Sprengköpfe die 13-fache Sprengkraft davon hat. Es gibt schlicht kein realistisches Einsatzszenario für Atomwaffen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Ein Atomkrieg ist rational nicht führbar und kann daher auch niemanden glaubhaft abschrecken. Atomwaffen haben Kriege nicht verhindert, weder in Syrien, in der Ukraine, in Bergkarabach noch sonst wo.

(Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Der Verzicht auf Atomwaffen hat den Konflikt mit ausgelöst, Frau Keul! Das wissen Sie ganz genau!)

Die nukleare Abschreckungsdoktrin ist ein Irrweg. Die NATO wird diesen Irrweg verlassen müssen, besser früher als später.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Sie sind auf einem Irrweg unterwegs!)

Real ist allein das Risiko, und dieses Risiko einer nuklearen Katastrophe ist heute höher als jemals zuvor. Schon im Kalten Krieg sind wir der Katastrophe 46-mal allein durch göttliche Fügung entgangen, wie der frühere Oberbefehlshaber des US-Atomraketenarsenals General Georg Lee Butler sagte, den ich hier schon mal zitierte.

Aber neue Technik und schnellere Abläufe machen menschliches Eingreifen im Ernstfall immer schwieriger. Wir sind verwundbarer denn je durch Hyperschallwaffen, KI und Cyberangriffe. Gerade erst am 12. Dezember gab es einen Fehlalarm auf der US-Air Base in Ramstein, und die Bundesregierung weiß darüber so gut wie nichts. Wie viele Minuten haben denn diesmal noch gefehlt zwischen Entwarnung und Katastrophe? „Früher oder später wird unser Glück uns verlassen – wenn wir nicht handeln“, heißt es in einem offenen Brief ehemaliger NATO-Generalsekretäre sowie 53 weiterer ehemaliger NATO-Außen- und Verteidigungsminister. Den beeindruckenden Wortlaut dieses Briefes können Sie in unserem Antrag von letzter Woche vollständig nachlesen.

Die humanitären Auswirkungen von Atomwaffen sind der Art, dass schon der Internationale Gerichtshof 1996 allein die Drohung mit einem Nuklearschlag als Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht gewertet hat. Er hat damals moniert, dass es noch kein explizites Verbot von Atomwaffen gebe. Jetzt gibt es eins, und es wird seine Wirkung entfalten. Davon bin ich überzeugt. Bis dahin bleibt uns nur weiterhin die Hoffnung auf die göttliche Fügung.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Vielen Dank, Katja Keul. – Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Henning Otte.

(Beifall bei der CDU/CSU)