18.01.2018

Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich will am Anfang Frau Pau, weil ich auf ihre Rede folge, für ihr großes Engagement in der letzten Legislaturperiode ausdrücklich danken: in der Expertenkommission, aber auch als Mitglied des Präsidiums des Deutschen Bundestages. Sie haben viel dafür geleistet, dass wir heute eine Grundlage der Debatte haben, und Sie haben, mit persönlichen Anfeindungen verbunden, hier in Ihrer Heimatstadt Berlin und in ganz Deutschland viel geleistet, übrigens auch in der Auseinandersetzung über Antisemitismus in Ihren eigenen Reihen. Dafür herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Wir führen heute eine Debatte – es wird zu diesem Thema mit Sicherheit nicht die letzte in dieser Legislaturperiode sein –, in der wir uns mit dem Antisemitismus in unserem Land, in unserer Gesellschaft beschäftigen. Die Expertenkommission hat sehr klar festgestellt, dass es Antisemitismus landauf, landab gibt, bis in die Mitte der Gesellschaft hinein, bis in Gewerkschaften hinein, bis in Kirchengemeinden hinein und, ja, bis in Parteien hinein.

Frau von Storch, es ist ein verdammt billiges Mittel, zu sagen: Ja, das ist so; aber eigentlich kommt der Antisemitismus doch nur aus einer Richtung. – Nein! Sie haben in Ihren Reihen Herrn Höcke, der das vielleicht wichtigste Denkmal in Deutschland, das Holocaustdenkmal in der deutschen Hauptstadt, auf unflätigste Art verunglimpft. Er bleibt Mitglied Ihrer Partei, und Sie verteidigen ihn. Das ist Antisemitismus, wie wir ihn in Deutschland haben, in aller Härte.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der LINKEN)

Sie haben in Ihrer Partei Herrn Gedeon. Herr Gedeon kann zu Recht als Holocaustleugner bezeichnet werden. Aber Sie stellen sich hierhin und zeigen mit dem Finger auf andere. Nein, Frau von Storch, so geht es nicht. Wenn Herr Meuthen sagt, dass er bei Herrn Gedeon keinen Handlungsbedarf sieht, dann haben Sie ein krasses Problem mit Antisemitismus, Frau von Storch.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der LINKEN)

Drittens. Sie argumentieren hier mit Ungarn und damit, dass Synagogen dort nicht geschützt werden müssen. Ich finde, es ist ein Drama, dass es in unserem Land so ist. Ich finde, es ist ein Drama, dass in unserem Land Polizistinnen und Polizisten vor Synagogen stehen müssen. Ich habe mir niemals gewünscht, in einem solchen Land zu leben. Aber Ungarn als leuchtendes Beispiel darzustellen, ist doch absurd.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Die Synagogen in Deutschland mussten leider auch vor 2015 bewacht werden. Die Synagogen in Deutschland sind auch, bevor mehr Flüchtlinge gekommen sind, in großer Gefahr gewesen. Hören Sie auf, Herrn Orban als den Oberdemokraten oder sogar noch als denjenigen darzustellen, dem es um einen Hort gegen Antisemitismus geht!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Vizepräsident Thomas Oppermann:

Frau Göring-Eckardt, darf ich Sie unterbrechen? – Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin von Storch?

Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Nein. Ich glaube, sie hat genug geredet; es hat uns hier im Parlament gereicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Alexander Gauland [AfD]: Frechheit!)

Ich will an dieser Stelle ausdrücklich darauf hinweisen, dass wir meiner Meinung nach mehr vor uns haben als nur allgemeine Bekenntnisse. Wir werden auch in Zukunft weiter darum kämpfen müssen, dass völlig klar ist: Das Existenzrecht Israels steht in diesem Land nicht infrage.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der LINKEN)

Es gibt übrigens auch nicht irgendwelche anderen Vorzeichen. Man kann nämlich nicht sagen, es gehe doch nur um Israelkritik, wenn man Antisemitismus meint oder gar Verschwörungstheorien folgt. Ja, das kommt von allen Seiten der Gesellschaft. Wir werden also auch weiterhin über das Existenzrecht Israels reden müssen.

Zuletzt will ich einen Punkt ansprechen, der mir persönlich besonders wichtig ist, auch wenn meine Redezeit vorbei ist. Viele haben hier gesagt, es sei wichtig für die Jüdinnen und Juden in unserem Land, dass sie hier sorgenfrei und sicher leben können. Ich teile das. Ich glaube aber nicht, dass wir Antisemitismusdebatten für die Jüdinnen und Juden in diesem Land führen; wir führen sie für uns selbst, für uns und für unsere gesamte Gesellschaft. Ich ganz persönlich, als Bürgerin dieses Landes, möchte in einem Land leben, in dem Antisemitismus keinen Platz hat. Deswegen müssen wir klar und hart in der Haltung sein bei jeder und jedem, der das infrage stellt, egal woher er kommt und warum.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der LINKEN)