Rede von Friedrich Ostendorff Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie

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13.05.2020

Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Coronaexplosion im Westfleisch-Schlachthof im Kreis Coesfeld führt uns doch vor Augen, was viele lange Zeit nicht sehen wollten: Unser billiges Fleisch wird nicht nur auf dem Rücken der Tiere, sondern auch auf dem Rücken vieler europäischer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, vor allen Dingen aus Rumänien und Bulgarien, produziert. Unter oft menschenunwürdigen Bedingungen verrichten sie die harte Arbeit in vielen deutschen Schlachthöfen, aber auch auf den Feldern der Gemüse-, Spargel- und Erdbeerbauern. Jetzt werden die Arbeiterinnen und Arbeiter auch noch der akuten, heftigen Gefahr der Ansteckung mit dem Covid-19-Virus ausgesetzt.

Die Zahlen der letzten Tage sprechen doch für sich: 270 Infizierte bei Westfleisch in Coesfeld, 25 Prozent der Mitarbeiter, Hunderte bei Müller in Birkenfeld, über 100 auch bei VION in Bad Bramstedt, viele bei Westfleisch in Oer-Erkenschwick und bei Boeser in Schöppingen. Drohen uns Zustände wie in den USA, Zustände, wie sie schon Upton Sinclair 1905 im Roman „Der Dschungel“ problematisierte: schonungslose Ausbeutung von Mensch und Vieh?

Viele Schlachtbetriebe entwickeln sich zu Coronazentren. Seit Jahren unternimmt aber die Bundesregierung nichts gegen das Billigfleischsystem, das die Weltmärkte überschwemmt, nichts gegen die menschenunwürdige Arbeits- und Wohnsituation, nichts gegen die unzureichende Entlohnung, nichts gegen oft über 60 Wochenstunden harter Arbeit,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

aber vor allen Dingen, liebe Kolleginnen und Kollegen, nichts gegen das Werkvertragsunwesen mit oft sehr zwielichtigen Subunternehmern.

Seit Jahren liegen der Politik Berichte über die unhaltbaren Zustände in der Schlachtindustrie vor – es wird weggesehen und verdrängt –: schlecht bezahlte Akkordarbeit am Fließband, dicht an dicht zwischen toten Tieren, das oft über mehr als zehn Stunden, oft sechs Tage die Woche, über Werkverträge zum Mindestlohn bei Subunternehmern angestellt – so können Schlachthofbetreiber sehr schön jegliche Verantwortung von sich weisen. Sie betonen ja auch immer wieder gerne, dass sie von den Arbeitsverhältnissen in ihren Betrieben gar nichts wissen.

Für die Menschen heißt das: Sammelunterkünfte in oft maroden Bruchbuden, drei bis fünf Menschen zusammen in einem Zimmer, primitive Gemeinschaftsküchen, marode sanitäre Anlagen ohne wirksame Kontrollen der Kommunen, die hier zuständig sind. Vor der Krise war das schon eine Zumutung, jetzt werden die Unterkünfte aber auch noch zum Seuchenhotspot.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Pascal Meiser [DIE LINKE])

Zu allem Übel, liebe Kolleginnen und Kollegen, werden die oft überteuerten Mieten auch noch zusätzlich von dem schmalen Lohn abgezogen. Unentschuldbare, menschenverachtende Profitgier – das muss sofort verboten werden, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)

Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, es liegt doch an Ihnen, diese Zustände sofort zu beenden.

(Zuruf des Abg. Dr. Martin Rosemann [SPD])

Jetzt ist schnelles Handeln in den Unterkünften und in den Betrieben gefordert. Die Zeit des Wegsehens, die Zeit des Wegduckens, des Verdrängens muss endlich beendet werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Es kann doch nicht sein, was wir erlebt haben – Kollege Henrichmann ist hier, er hat es auch mitbekommen –: dass der Landrat von Coesfeld uns öffentlich vorschlug, dass Westfleisch selber entscheiden soll, ob sie den Betrieb schließen oder nicht. Soweit wir das bisher verstanden haben, ist es doch seine Aufgabe als Landrat, hier zu handeln. Er ist derjenige, der es machen muss.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Erst das Land NRW zwang ihn zur Umkehr, zwang ihn zum Handeln.

Doch was macht Westfleisch? Westfleisch geht zu Gericht und beantragt die Aufhebung der Schließung,

(Max Straubinger [CDU/CSU]: Das ist Rechtsstaat!)

statt sich um die unhaltbaren Zustände zu kümmern, Max Straubinger.

(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da lacht er auch noch!)

Das wäre vielleicht dran gewesen;

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

das wäre die erste Aufgabe gewesen. Vielleicht ist es in Bayern anders, aber ich sage: Wir müssen diese Zustände anfassen – nichts anderes.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Stephan Protschka [AfD]: In Bayern ist die Welt in Ordnung!)

Herr Bundesarbeitsminister, Ihre Empfehlungen und Ihre immer wieder vorgetragene Haltung sind sehr ehrenwert, aber sie müssen sich endlich in klaren Regeln mit Strafbewehrung niederschlagen. Sonst sind sie wirkungslos.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Die betroffenen Unternehmen müssen so lange geschlossen bleiben, bis die Einzelunterbringung gewährleistet ist. Bei der Arbeit muss ein Mindestabstand von 1,50 Metern eingehalten werden. Das ausbeuterische Billigfleischsystem, das europäische Mitbürger schamlos ausnutzt, muss sofort beendet werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Stoppen aber auch Sie von der CDU/CSU den Klöckner’schen Spargelhelferpakt mit dem Bundesinnenminister, der alle Schutzmaßnahmen grob missachtet. Den Betrieben sei gesagt: Stellen Sie die Menschen endlich zu angemessenen Tariflöhnen menschenwürdig ein. Das ist die Aufgabe – nichts anderes.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und der Abg. Susanne Mittag [SPD])

Vizepräsident Thomas Oppermann:

Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die Fraktion der CDU/CSU-Fraktion der Kollege Uwe Schummer.

(Beifall bei der CDU/CSU)