Rede von Nyke Slawik Arbeitsplätze im Verkehrswesen

24.06.2022

Nyke Slawik (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir steuern mit dem Fahrer/-innenmangel in der Verkehrsbranche auf ein riesiges Problem zu, ein Problem, das künftig mindestens genauso dramatisch werden könnte wie der Sanierungsstau bei maroden Autobahnbrücken, dem wir uns erst unter dieser Regierung gewidmet haben, weil Andi Scheuer es nicht angegangen ist.

(Henning Rehbaum [CDU/CSU]: Das ist ein Gerücht!)

Vom akuten Fahrer/-innenmangel ist die gesamte Verkehrswirtschaft betroffen, von der Logistikbranche bis zu den Busfahrer/-innen. Aktuell fehlen deutschlandweit 60 000 bis 70 000 Fahrer/-innen. Jährlich werden in etwa 15 000 neu ausgebildet; derzeit gehen jährlich aber auch etwa 30 000 in Rente. Jedes Jahr fehlen uns also weitere 15 000 Fahrer/-innen zusätzlich. Es werden kaum mehr junge Menschen für diesen Berufsstand ausgebildet. Die meisten Fahrer/-innen sind über 55 Jahre alt. Das heißt, die Altersstruktur führt dazu, dass sich dieser Trend verschärft. Die Katastrophe ist vorprogrammiert, wenn wir nicht zeitnah etwas dagegen tun.

Die zentralen Gründe, warum der Berufsstand unattraktiv ist, liegen auf der Hand. Die Entlohnung als Berufskraftfahrer/-in ist schlecht, die Arbeitsbedingungen sind desaströs, und der Berufsstand hat ein Imageproblem. Wir stimmen mit einigen Lösungsansätzen, die die CDU/CSU in ihrem Antrag nennt, überein. Jedoch greift dieser Antrag zu kurz. Ich wünsche mir von der Koalition eine größere Ambition; das haben wir im Koalitionsvertrag verankert.

Zum einen will die Union den Lkw-Stellplatzmangel beheben und die Situation auf Raststätten verbessern sowie die Kontrolldichte durch die Behörden erhöhen. Das ist gut und richtig, aber angesichts der Situation der Branche ist es auch nur ein Tropfen auf den heißen Stein, der keine nennenswerte Verbesserung der Arbeitsbedingungen mit sich bringt. Die Union will zum anderen die Zugangsbeschränkungen für den Beruf erleichtern, sodass es beispielsweise für osteuropäische Arbeitskräfte leichter werden soll, Zugang zu diesem Berufsstand zu bekommen. Kosten für den Führerscheinklassenerwerb und die Anforderungen an Sprachkenntnisse sollen gesenkt werden.

Aber der Fahrer/-innenmangel ist ein weltweites Problem. In Polen beispielsweise spitzt sich die Situation seit Anfang des Jahres zu, da viele ukrainische Fahrer/-innen, die dort gearbeitet haben, wegen der Mobilmachung im Ukrainekrieg nicht mehr als Arbeitskräfte verfügbar sind. Im Baltikum sucht man händeringend Arbeitskräfte aus der Mongolei und den Philippinen. Das Problem wird nicht strukturell gelöst, indem wir günstige Arbeitskräfte aus dem osteuropäischen Ausland abwerben, auch wenn das kurzfristig eine Abkühlung der Symptome in Aussicht zu stellen scheint.

(Zuruf des Abg. Mike Moncsek [AfD])

Es liegt auf der Hand, was wir für die Branche benötigen. Wir müssen diesen Berufsstand wieder lohnenswert machen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE])

In der Coronakrise haben wir viel über systemrelevante Berufe gesprochen. Ich kann Ihnen sagen: Anerkennung auszusprechen und Dankbarkeit zu zeigen, dass diese Menschen unser System aufrechterhalten, reicht nicht aus. Wir müssen darüber sprechen, wie wir die Entlohnung von Berufskraftfahrer/-innen und ihre Arbeitsbedingungen verbessern können.

Die Arbeitsbedingungen sind oftmals katastrophal. Lkw-Fahrer/-innen trifft es besonders hart. Manche sind über Wochen im europäischen Ausland unterwegs. Auch bei Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben, die in der europäischen Gesetzgebung seit dem Mobilitätspaket bestehen, sind viele Lkw-Fahrer/-innen viele Stunden täglich unterwegs, unterbrechen die Arbeitszeiten nur kurzzeitig zur Einhaltung der Ruhezeiten und zum Übernachten. Das ist ein Knochenjob, für den eine Entlohnung winkt, die diesen Entbehrungen nicht gerecht wird. Ja, auch der Parkplatzmangel an Raststätten oder die oft defekten Sanitäranlagen sind ein Problem für die Branche. Und es ist auch ein Problem, dass wir kaum Frauen haben, die Lkw-Fahrerin oder Berufskraftfahrerin werden wollen. Das kommt daher, dass dieser Berufsstand zum einen kaum vereinbar ist mit der Familiengründung, zum anderen bieten Raststätten keinen sicheren Übernachtungsort für Frauen. Da müssen wir ran, damit dieser Berufsstand auch für Frauen attraktiv wird.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Wir können Sozialdumping verhindern, indem wir dafür sorgen, dass die gesetzlichen Vorgaben, die wir bereits jetzt haben, auch eingehalten werden. Das gilt für die Lenk- und Ruhezeiten, die wichtig sind, damit sich die Fahrer/-innen erholen können, aber auch, damit sie keine Gefahr für sich und andere Verkehrsteilnehmer/-innen darstellen. Das gilt auch für die Kabotageregeln der EU. Wir müssen jetzt gemeinsam daran arbeiten, dass wir die Tarifbindung stärken, um bessere Entlohnung möglich zu machen, auch ein Thema, das in den letzten Jahren liegen geblieben ist.

(Henning Rehbaum [CDU/CSU]: Wer war Arbeitsminister?)

Die europäische Gesetzgebung ist besonders wichtig; denn nur dann, wenn alle Mitgliedstaaten sich zu Mindeststandards bekennen, kann der Wettbewerb eingehalten werden. Allerdings können wir uns nicht darauf ausruhen, uns an dem Mindestmaß zu orientieren, das wir in Europa haben. Wir müssen auch bundesrechtlich alle Möglichkeiten ausschöpfen, um diesen Berufsstand aufzuwerten. Wir können beim Thema „ÖPNV und öffentliche Aufträge“ auch die Vergabe öffentlicher Mittel an Vorgaben zur Einhaltung von Sozialvorschriften knüpfen;

(Abg. Mike Moncsek [AfD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

diese Möglichkeit sollten wir nutzen, um auf faire Löhne hinzuwirken. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:

Herr Moncsek, sie hat tatsächlich schon mit ihrer Rede aufgehört. Ich warte immer, bis der Satz zu Ende ist; aber der ging leider nicht zu Ende.

(Mike Moncsek [AfD]: Das ist ein endloser Satz!)

Dann ist der nächste Redner Thomas Lutze für Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)